„The Cut“ von Fatih Akin



Schnell wird klar, Akin will zu viel und verfranzt sich in den eigenen Ansprüchen. Der Regisseur ringt um historische Genauigkeit, die Beherrschbarkeit seiner offensichtlich stattlich angesammelten stofflichen Fülle und die Entscheidung für oder gegen eine erzählerische Form. Am Ende will er alles: Heldenepos, ein in Cinemascope fotografiertes, klassisch amerikanisches Roadmovie, Western, Familientragödie und die Aufarbeitung des historisch belegten Verbrechens. Logisch, dass da schnell der Rahmen platzt und alles nur wie eine lose aneinander gereihte Verknüpfung historischer Fragmente mit einzelnen Stationen der Leidensgeschichte Nazarets wirkt.
Obwohl diese Versatzstücke oft visuell herausragend komponiert sind – zumal in fantastischem Cinemascope abgedreht – bleiben sie doch nur leer, weil museal und vitrinenhaft ausgestellt, und münden schlussendlich in einer oberflächlich kitschigen und plakativen, naiven Darstellung von Gewalt und Leid. Dabei gibt sich der Filmemacher mit einem dürftigen Minen- und Gestenspiel seiner Protagonisten zufrieden, deren Schauspielvokabular hier von Hundeblick bis Hundeblick reichen. Minimalistische, leise und subtile Töne fehlen gänzlich. Daran konnte auch Scorseses langjähriger und zufälligerweise armenischstämmiger Drehbuchautor Mardik Martin („Wie ein wilder Stier„) nichts ändern, den Fatih Akin bat, die ersten Drehbuchentwürfe und Dialoge zu überarbeiten.

Weiterlesen: „The Cut“ feierte seine Weltpremiere auf der 71. La Biennale Di Venezia – hier unser Festival-Tagebuch.

The Cut“ scheitert an Akins eifriger Überinszenierung und nicht zuletzt dem fehlenden Vertrauen in die Stille und sein Publikum. Nichts bleibt dem Zuschauer überlassen. Jedes Bild, jede Tragödie, jeder Horror, jeder Teil der Geschichte wird wie eine Buchstabensuppe ausbuchstabiert und nicht selten wiederholen seine Figuren in dümmlich plumpen Dialogen, was der Zuschauer ohnehin im Bild sieht. Auf diese Weise verplappert Akin seinen gesamten Film, in dessen Zentrum ausgerechnet ein stummer Held steht. Wie kraftvoll hätte die Inszenierung der Stille sein können.
In Cannes war sich die Jury uneins. „Die Chancen, dass der Film ins Hauptprogramm genommen wird: 50:50.“, so das SZ-Magazin im Portrait über Akin. Ein Warnschuss, den der Regisseur nicht hören wollte. Stattdessen zog er mit Pauken und Trompeten in Venedig ein und ging am Ende dennoch baden.
Ungeachtet aller Kritik wird der Film sein Publikum finden. Nur wird es diesmal möglicherweise ein anderes als das in der Arthouse-Ecke angestammte sein. Denn trotz allem bricht der türkischstämmige Hamburger mit viel Ehrgeiz eine Lanze für die Aufarbeitung eines dunklen Kapitels türkischer Geschichte.

SuT

The Cut“, Regie: Fatih Akin, DarstellerInnen: Arsinée Khanjian, Simon Abkarian, Tahar Rahim, Makram Khoury, Numan Açar, Akin Gazi, George Georgiou, Anna Savva, Lara Heller, Kinostart: 16. Oktober 2014, auf DVD ab 30. April 2015

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