„The Salesman“ von Asghar Farhadi


Asghar Farhadis "The Salesman" ist ein echter Festivalabräumer des 2016er Jahrgangs! In Cannes gewann er den Preis für das beste Drehbuch und Shahab Hosseini wurde als bester Hauptdarsteller, beim Filmfest München folgte die Auszeichnung als bester ausländischer Film. © FILMFEST MÜNCHEN 2016

Asghar Farhadis „The Salesman“ ist ein echter Festivalabräumer des 2016er Jahrgangs! In Cannes gewann er den Preis für das beste Drehbuch und Shahab Hosseini wurde als bester Hauptdarsteller, beim Filmfest München folgte die Auszeichnung als bester ausländischer Film. © FILMFEST MÜNCHEN 2016

Einstürzende Bauten

Es ist mitten in der Nacht, Menschen rennen panisch rufend durch den Hausflur, die Treppen herunter, große Risse ziehen sich durch Wände und Decken: Die Bauarbeiten von der Baugrube nebenan haben die Statik des Mietshauses empfindlich gestört und das Ganze droht nun jeden Moment einzustürzen.
Emad (Shahab Hosseini) und Rana (Taraneh Alidoosti), ein junges Akademiker-Paar aus Teheran, stehen über Nacht mehr oder weniger auf der Straße und müssen sich nach einer neuen Wohnung umsehen. Da in der iranischen Hauptstadt die Suche nach bewohn- und bezahlbarem Wohnraum ungefähr so frustrierend sein muss, wie in sämtlichen Metropolen weltweit, sind sie froh, als ihnen ein Freund aus ihrer Amateur-Schauspieltruppe schnell und unkompliziert eine neue Wohnung vermittelt.
Zunächst sieht alles nach einem Neuanfang aus, vielleicht werden sie in diesem Haus sogar Kinder bekommen. Wenn doch nur die Vormieterin, eine Frau zweifelhaften Rufs mit häufig wechselndem Männerbesuch, ihre Sachen, die noch in der Wohnung stehen, endlich abholen würde.
Ein unglücklicher Zwischenfall reißt tiefe Risse in diese zunächst so harmonisch wirkende Beziehung und fördert archaische Emotionen und Verhaltensmuster zutage, über die sich gerade die akademisch-aufgeklärte Klasse weltweit so erhaben fühlt.

Nach dem Umzug kehrt sehr schnell wieder Alltag in das Leben des Paares ein: Emad arbeitet tagsüber als Lehrer für Literatur an einem Gymnasium für Jungen, abends treffen die beiden sich dann mit ihren Schauspielkollegen zu den Proben für Arthur Millers „Tod eines Handlungsreisenden“ (im englischen Original „Death of a Salesman„), wo Emad und Rana die beiden Hauptrollen besetzen. Da das Problem mit den in der Wohnung zurück gelassenen Habseligkeiten vorerst nicht zu klären ist, stellen Emad und Rana die Gegenstände kurzerhand auf die Terrasse.
Eines Abends passiert jedoch das Unglück: Rana, etwas früher von der Theaterprobe heimgekehrt und in Erwartung der Rückkehr ihres Mannes, öffnet beim Klingeln die Tür und geht wieder zurück ins Bad, um eine Dusche zu nehmen. Wer jedoch die Wohnung betritt, ist nicht Emad, sondern ein fremder Mann, vermutlich einer der Kunden der Vormieterin. – Was dann genau passiert, erfährt man nicht, Rana wird jedoch am Kopf schwer verletzt und ins Krankenhaus gebracht. Der Zwischenfall traumatisiert sie nachhaltig, sie fühlt sich in der gemeinsamen Wohnung nicht mehr sicher.

Die Polizei kontaktieren sie nicht. Ein Umstand, der zunächst wirkt wie eine Nebensächlichkeit, aber in einem Land, in dem Vergewaltigung unter Umständen straffrei bleibt und Frauen, die sich gegen sexuelle Übergriffe wehren, im Zweifelsfall selbst angeklagt werden, ist dies eventuell nachvollziehbar. Rana müsste sich wohl der – vielleicht ein wenig berechtigten – Frage stellen, warum sie die Tür überhaupt geöffnet habe, ohne zuvor durch die Gegensprechanlage zu horchen, ob es sich bei dem Mann vor der Tür, auch tatsächlich um ihren eigenen Mann handelte. Der Zwischenfall wäre somit auf ihr eigenes Verschulden zurückzuführen.

Emad, der seiner Frau zunächst mit Verständnis und Einfühlung begegnet, verliert nach und nach die Geduld: Ranas Angst wird zu einer Belastung für das Paar und für die Theateraufführung. Sie sieht sich nicht in der Lage zu spielen, möchte aber auch nicht von den Proben ausgeschlossen werden. Sie verstrickt sich in Widersprüche, fordert einerseits Emads Nähe als Beschützer, schiebt ihn aber als Partner und Liebhaber – seine Männlichkeit markiert ihn als potenziellen Aggressor – von sich. Emad, eigentlich ein bedachter, intellektueller Mann, der gerade auch bei seinen Schülern für seine gerechte, ehrliche und liberale Art sehr beliebt ist, reagiert daraufhin ungeduldig und wütend. Er ist in seinem (männlichen) Stolz verletzt.

Wo sie depressiv-lethargisch reagiert, sich ganz in ihre Angst und ihre Selbstvorwürfe einrollt, handelt er hilflos aggressiv, sagt ihr, sie solle sich zusammen reißen, sich nicht in die Opferrolle fallen lassen und sinnt heimlich auf Rache: Der Täter hat neben seinem vor dem Haus geparkten Wagen auch noch einiges an Geld, sein Handy und seine Autoschlüssel in der Wohnung vergessen. Und so begibt sich Emad auf die Suche nach dem Besitzer des Autos und setzt damit eine Lawine in Gang, die das Paar vor eine folgenschwere Entscheidung stellt, die nicht nur ihr eigenes Leben maßgeblich verändern wird.

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