„Toni Erdmann“ von Maren Ade
Über die Käsereibe als Gradmesser familiärer Beziehungen und die befreiende Kraft von Furzkissen
„Toni Erdmann“ ist der diesjährige deutsche Festivalbeitrag in Cannes und der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass es sich um den ersten deutschen Film im großen Wettbewerb der Filmfestspiele in Cannes seit ganzen acht Jahren handelt. Regisseurin des Films ist Maren Ade, die dem deutschen Kino-Publikum seit ihrem Berlinale-Erfolg „Alle Anderen„, für den sie 2009 mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet wurde, ein Begriff ist. Ihr neuster Film, „Toni Erdmann“ ist ein filmischer Paukenschlag, mit dem die Regisseurin nicht nur die Croisette ordentlich aufmischt: Die Feuilletons überschlagen sich mit Lobeshymnen, Ade gilt als eine der beinahe unbestrittenen Favoritinnen im Wettstreit um die Goldene Palme.
Die Tatsache, dass der filmische Festivalfavorit in diesem Jahr von einer Frau gedreht wurde, ist nach all den in der Vergangenheit immer wieder vehement aneinander vorbei geführten Diskussionen über die Unterrepräsentation weiblich dirigierter Filme in den Wettbewerben der großen internationalen Filmfestivals eine kleine Sensation für sich. Dennoch muss jetzt nicht betont werden, wie großartig der Film ist, gerade weil oder trotz dessen, dass er von einer Frau gemacht wurde. – Im Übrigen sind auch in diesem Jahr die Regisseurinnen im offiziellen Wettbewerb immer noch in der Unterzahl. – „Toni Erdmann“ ist ein verdammt kluger, lustiger und unglaublich gut beobachteter Film, über die Absurdität unserer modernen menschlichen Existenzen.
Das Thema des Films ist auf den ersten Blick relativ einfach: Es geht um eine schwierige Vater-Tochter-Beziehung. Würde man „Toni Erdmann“ jedoch darauf reduzieren wollen, würde man diesem auf so vielen Ebenen so gut durchdachten Film Unrecht tun.
Der Vater, Winfried Conradi, gespielt von Peter Simonischek, ist einer von diesen im Dunstkreis der 1968er sozialisierten, grün-romantischen, freigeistigen Babyboomer, von Beruf Musiklehrer und notorischer, fast schon zwanghafter, Spaßvogel, der für alle Notfälle immer ein schiefes Gebiss in der Hemdstasche trägt. Er ist der Typ „witziger Vater“ der beim Abschlussball meint, den ganzen Tisch unterhalten zu müssen, aber der einzige ist, der seine Scherze wirklich lustig findet. Er ist der Vater, den alle Nicht-Familienmitglieder so sympathisch albern finden und der bei den eigenen Kindern nur ein Gefühl tiefer Scham und Betroffenheit hervor ruft, wie es kein RTL II-Nachmittagsprogramm zu erzeugen vermag.
Die Tochter, Ines Conradi, dargestellt von Sandra Hüller, verkörpert so ziemlich alles, was die Generation ihres Vaters eigentlich ablehnt: Sie ist eine erfolgreiche Unternehmensberaterin, Anzug-tragende Karrierefrau, immer das Handy am Ohr und immer auf dem Sprung zu einem wichtigen Meeting. Ihre Eltern, beide getrennt lebend, haben keine Ahnung was genau sie da tut: „Ich sollte mir das alles einmal aufschreiben“, sagt ihr Vater einmal. Auf Ines‘ kurzem Heimatbesuch in Remchingen reicht es gerade nur für ein Abendessen mit den Eltern, Gesprächen geht sie durch vorgetäuschte wichtige Telefonanrufe aus dem Weg. Die Familiendynamik ist eine, wie man sie aus dem persönlichen Umkreis kennt: Irgendwann hat man diesen Menschen, die einem die Windeln gewechselt und Fernsehverbot erteilt haben, nicht mehr so viel zu sagen. Und doch gibt es kaum eine Verbindung, die prägender und stärker ist: Ein Leben lang bleibt man das Kind seiner Eltern. Eine Rolle, die für alle Beteiligten nur eingeschränkten Handlungs- und Entwicklungsspielraum ermöglicht und somit in nicht wenigen Fällen zur Entfremdung führt.