„Tschick“ von Fatih Akin



„Würde“ und „Wahrhaftigkeit“ sind die Erwartungen, die Akin an die Fotografie des Films hatte. Die Kamera sollte sich niemals über die beiden Hauptdarsteller lustig machen. Akin wählt reduzierte Kameraeinstellungen – und Special Effects sind gar nicht nötig, die Geschichte wirkt für sich allein. Eine Ausnahme bildet z.B. die im Roman nicht enthaltene Szene, in der sich Maik vorstellt, er würde seinen Vater und dessen Geliebte erschießen. An dieser Stelle wird Maiks Fantasie durch eine Trickaufnahme in Szene gesetzt, in der Maik wie der Darsteller eines Westerns wirkt.

Im Roman ist Maik der Ich-Erzähler, der in kreativen und phantasievollen, aber sehr treffenden Metaphern und Gedankengängen über das Leben sinniert. Maiks Erzählstimme hat als Voice-Over Eingang in den Film gefunden, das am Anfang, in der Mitte und am Ende des Films eingesetzt wird. Ursprünglich wollte Akin auf diese etwas in die Jahre gekommene Technik verzichten, entschied sich dann aber doch dafür, um Maiks Gedanken und Motive deutlicher zu machen.

Leider müssen einige der wunderbar skurrilen Romanfiguren, denen Maik und Tschick auf ihrem Roadtrip begegnen, im Film wegfallen. Dadurch geht die episodenhafte Struktur des Romans im Film etwas verloren. Zu gern hätte man die flusspferdähnliche Sprachtherapeutin oder den Schützen Horst Fricke auf der Leinwand gesehen. Die Ausflugsgruppe „Adel auf dem Radel“ und die kinderreiche „Risi-Pisi-Familie“ haben es dagegen in den Film geschafft.

Die Filmmusik reicht von Richard Clayderman („Ballade pour Adeline„) über Seeed, Bilderbuch und K.I.Z. feat. Henning May bis hin zu den Beatsteaks, die sich für den Leadtrack des Films, ein Cover des Stereolab-Songs „French Disko“, mit Dirk von Lowtzow von Tocotronic zusammengetan haben. Entstanden ist diese ungewöhnliche Zusammenarbeit, da die Beatsteaks und der Tocotronic-Sänger und Texter große Fans des Romans sind. Dirk von Lowtzow singt zur Beatsteaks-Version von „French Disko“ seinen eigenen deutschen Text: „Es ist sicherlich absurd, in dieser Welt zu leben. Sie erscheint dir sinnentleert, doch zieh dich nicht zurück. Spontane Rebellion und Solidarität sind Akte, die jetzt wertvoll sind. Es ist nie zu spät.“ Die Beginner steuern ihren Song „Thomas Anders“ zum Soundtrack bei, der Zeilen enthält wie: „Ich bleibe außerhalb der Box wie Geschenkschleifen. Sie reden Fließband. Ich rede Unikat.” Beide Songs vermitteln dieselbe Aussage wie der Film: Es ist okay, anders zu sein.

Akin, der bisher viele Filme zu interkulturellen Themen gedreht hat, gelingt es, die Geschichte von Maik und Tschick auf berührende Weise zu erzählen und das Gefühl dieses besonderen Sommers in warmen, leuchtenden Bildern zu erzählen. Der Film funktioniert wie der Roman als zeitlose Coming-of-Age-Story, in der sich Jugendliche und Erwachsene gleichermaßen wiederfinden werden, denn (fast) jeder hat als Jugendlicher einmal einen Sommer erlebt, wie Maik und Tschick ihn erleben: einen Sommer, der alles verändert. Fatih Akins sehens- und hörenswerte Version von „Tschick“ sollte man eine Chance geben und sie nicht zu sehr an der Romanvorlage messen.

Stefanie Borowsky

„Tschick“, Regie: Fatih Akin, DarstellerInnen: Anand Batbileg, Tristan Göbel, Uwe Bohm, Anja Schneider, Nicole Mercedes Müller, Kinostart: 14. September 2016

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