Eine Minute mit Madonna – Berlinale-Fotograf Kassner im Interview (Teil 2)


Berlinale-Jurorin Zellweger

Gerhard Kassner fotografiert seit 2003 die Stars der Internationalen Filmfestspiele Berlin. Im zweiten Teil unseres Gesprächs vergleicht er seine Arbeit mit die seiner Kollegen am Roten Teppich, erinnert sich an eine einmalige Paparazzi-Episode und seine Minute mit Superstar Madonna!

Und wie bewerten Sie die Fotografie Ihrer Kollegen am Roten Teppich?
Kassner: Ich mache das ja im Prinzip sonst auch. Vor kurzem musste ich bei einer Metro-Eröffnung auch im Schulterschluss mit den anderen um die Bilder kämpfen. Mit meiner Situation bei der Berlinale ist das nicht zu vergleichen. Übrigens auch rechtlich nicht: Bei mir werden die Personen mit ihrer Einwilligung portraitiert, im anderen Fall werden die Schauspieler als Personen des öffentlichen Lebens abgelichtet. Das sind unterschiedliche Bedingungen, die für eine andere Intimität sorgen.

Und Sie bekommen die Einwilligung bei der Berlinale von jedem?
Kassner: Bei der letzten Berlinale kam übrigens auch ein Regisseur zu mir, der sagte, er wollte das nicht. In der Galerie ist er an der Mütze, die er sich vors Gesicht hält, zu erkennen.

Wäre eigentlich ein Job als Paparazzi was für Sie?
Kassner: Ich habe das schon einmal gemacht. Da hat mich ein Verlag auf Leo Kirch angesetzt, der Anfang der 80er Jahre eine der Öffentlichkeit unbekannte Person war. Als Mogul, der im Hintergrund wirkte war er zwar schon groß, aber sehr öffentlichkeitsscheu. Der Verlag lieferte mir detektivisch genaue Details, wann er aus dem Haus, wann und wo in die Kirche geht und wo er einkauft… So folgte ich an einem kalten Wintertag Leo Kirch, um ihn abzulichten, was er auch bemerkte. Das war Paparazzi-Arbeit mit fotografierten, intimen Momenten, im Restaurant oder in der Kirche. Das war zwar spannend, aber mir war klar, dass ich das nicht weitermachen wollte – obwohl ich meinen Auftrag bravourös erfüllt hatte.

Oft hat bei Hollywood-Stars deren Management die Hand über Fotos. Welche Erfahrungen haben Sie da gemacht?
Kassner: Gerade in der Anfangszeit waren es die Repräsentanten der Stars, die die Bilder ausgewählt haben. Nur selten kam der Star selbst noch einmal rein, wie zum Beispiel Catherine Deneuve oder Madonna. Bei Madonna war ich nicht sicher, ob das logistisch klappt, wegen ihrer vielen Termine, aber nein: Direkt nach Ende der Pressekonferenz kam Madonna herein und wollte den Fotografen sehen. Nicht mehr mit kompletter Entourage, sondern nur mit einer Beraterin. Sie setzte sich neben mich und ich zeigte ihr die Bilder. Erst das, welches ich ausgesucht hatte und dann die anderen. Natürlich hatte ich mich darauf vorbereitet. Die Blöße, darauf nicht vorbereitet zu sein, wollte ich mir nicht geben. Wir legten zwei der Bilder nebeneinander und sie entschied. Sie war entzückt. Ihre Assistentin fragte sogar nach drei weiteren Ausdrucken, die wir natürlich gerne ins Hotel geschickt haben. Das hat mich natürlich sehr gefreut, weil alle so hibbelig waren, als sie da war. Selbst Kosslick.

Das schmeichelt natürlich auch…
Kassner: Ja, denn es war auch nicht einfach mit ihr. Als Madonna hereinkam ging sie direkt zum Hintergrund. Ich aber bat sie vor vollem Studio doch bitte erst den Hauptdarsteller ihres Films zu fotografieren. Während sie also vor dem Hintergrund stand erklärte ich ihr, dass sie so den Ablauf sehen und ich ihr danach mehr Zeit widmen kann. Sie erwiderte spitz, an ihre Entourage gerichtet: „Wie sie wünschen. Wenn der Fotograf das sagt.“ Sehr zickig. Das fanden natürlich alle sehr witzig, da Madonna ja sonst das Sagen hat und das im ersten Moment ein Affront meinerseits war. Doch sie verstand, dass ich so die Zeit ihr widmen konnte. Mit ihr ging es dann letztenlich sehr rasch. Anhand meiner Aufnahmen, die akkurat mit Datum und Zeit versehen sind, lässt sich rekonstruieren, dass es ziemlich genau eine Minute war, die ich mit Madonna verbrachte.

Berlinale-Star-Portraits von Gerhard Kassner

Wie empfangen Sie die Stars?
Kassner: Ich gehe offen auf die Leute zu, was in der Regel auch so zurückkommt. Aber es gibt Personen bei denen das nicht so ist, wie bei Guillaume Depardieu, dem Sohn von Gerard Depardieu. Der kam rein und ich spürte die Wand dazwischen. Der war in seinen Bemerkungen auch sehr abweisend und kontrollierend, wollte gleich alles sehen. Da hoffe ich, dass noch irgendwas passiert. Das war bei Keanu Reeves so, der total eigen war, als er rein kam und sofort den ersten Schuss sehen wollte, als er etwas ausprobiert hatte. Wo ich mir dachte: Oh, schrecklich. Da müssen wir was anderes machen. Das wiederholte sich noch einige Male, in denen er das Bild immer direkt sehen wollte. Dann kam der Moment, in dem er sagte: Na gut, dann stehe ich eben einfach. Danach war er entspannt. Betrachtet man das Bild mit der Geschichte, erzählt es etwas. Einige Jahre zuvor hatten er oder sein Management entschieden kein Foto machen zu wollen.

Was machen Sie in den anderen elf Monaten des Jahres?
Kassner: Genau genommen sind es sogar 355 Tage, wenn das Jahr 365 Tage hat. Wobei, mit Vor- und Nachbereitung der Berlinale bin ich sicher eineinhalb Monate beschäftigt. Es gab mal die Überlegung die Portraits auch für das Filmfestival Dubai zu machen, aber die merkten dann, dass das doch nicht ganz so einfach ist, weil das Verfahren doch ganz spezielle Rahmenbedingungen erfordert. So wie ich für die Berlinale mittlerweile seit sieben Jahren arbeite, bin ich für einen anderen Kunden schon 16 Jahre aktiv. Bei einem Festival ist das schon ungewöhnlich, da sicher andere mit den Füßen scharren und denken das besser machen zu können. Aber da ist Dieter Kosslick ein ganz treuer Mensch – so lange ich gut arbeite. Sonst arbeite ich lokal in Berlin für große Firmen, Kongresse und Versammlungen, die ich Reportage-artig, dokumentarisch begleite. Überregional nur für Kunstdokumentationen. Nicht mehr für Magazine, das habe ich vor 15, 20 Jahren gemacht. Dieses Tagesgeschäft ist mir zu unruhig. Ich habe zwei Kinder und kümmere mich um die, da bin ich nicht mehr ganz so flexibel. Mit Firmen-Portraits und Firmen-Reportagen bin ich das Jahr über beschäftigt. Neben dieser angewandten Fotografie, mit der ich mein Geld verdiene, bin ich künstlerisch tätig. So ist in dieser Woche bei Dumont das Buch „Flower Power“ erschienen, wo Matthias Harder, der Kurator des Newton Museums, eine Blumen-Serie zusammenstellte. Da bin ich auch mit dabei.

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