Zelluloid im Schwimmbad beim Emergeandsee
Kurzfilmfestivals sind so eine Sache. Nach einem Langfilm kann man sich meist entscheiden, ob der nun gut oder schlecht war. Kurzfilmfestivals dagegen stellen einen vor eine weitaus schwierigere Aufgabe: Sie bieten meist ebenso viele gelungene wie miese Produktionen. Ob ein Abend nun gelungen ist oder nicht, läßt sich nur schlecht erklären. Hatten die Festivalmacher ein gutes Händchen bei der Auswahl? Sind die Pausen zwischen den guten Filmen kurz? Denn oft genug verleiden einem die mittelmäßigen Arbeiten den Genuss und der Abend tröpfelt so dahin.
Anders beim Emergeandsee Media-Arts-Festival im Stattbad Wedding, das in diesem Jahr alles richtig gemacht hat. Auf den Inhalt der Filme hat das Team ohnehin keinen Einfluss, auf den Ablauf schon. Und der stimmte an diesem Samstagabend. Aufgeteilt in zwei Blöcke wurden bis in die Nacht insgesamt 21 Kurzfilme gezeigt. Am Ende kürte eine vierköpfige Jury den Gewinnerfilm, die Zuschauer wählten mittels Handzettel den Publikumspreisträger.
In diesem Jahr war aber nicht nur die Filmauswahl stimmig. Unter dem Motto „Hybride Metropolis: Zwischen Räumen.“ wurden schon am Freitag im stillgelegten Schwimmbad Vorträge gehalten und eine Ausstellung organisiert. Durch die konnte man bei weniger interessanten Produktionen entspannt schlendern und danach wieder voll Elan ins ausgemusterte Schwimmbecken steigen, in dem die Filme gezeigt wurden. Durchaus bemerkenswert war die Installation „The Lightmachine“ von Jonas Arsleben, Carl-John Hoffmann und Sebastian Kubersky – auch wenn schwer zu ermitteln war, was genau diese Maschine nun sein sollte. Das aufgebaute Ding ähnelte einem Modellbaukastensatz, der Bilder eines riesigen Verdauungstraktes an die Wand warf. Aus den Duschräumen tönten fremdartige Laute versetzt mit Musik, vermutlich chinesisch. Im Eingangsbereich erwartete den Betrachter ein übergroßes, silbernes Ohr. Die Audioinstallation von Benno Schmitz und J. Bialek lud zum Entdecken und Reinhören ein, so denn man gewillt war, sein Ohr an die trichterförmige Ausstülpung des Objekts zu legen. Manch einer vernahm Schritte, andere meinten ein trabendes Pferd zu hören.
Ein schöner Einfall waren die kurzen Videopassagen vor den eigentlichen Filmen, in denen sich die FilmemacherInnen persönlich vorstellten. Eröffnet wurde der Abend von „Swallow Your Fears“ der Regisseurin Laura Rytkönen (Finland), ein teilweise animiertes Psychogramm einer Frau, die am Ende von ihrer Angst aufgefressen wird. Matis Burkhardts Film „Leerfahrt“ erzählt die Geschichte eines arbeitslosen Schauspielers, der sich in der U-Bahn als Kontrolleur ausgibt. Er schlüpft dafür in 114 verschiedene Verkleidungen und kann zumindest so seiner Berufung nachgehen. Estela Estupinyá Garcias Beitrag „Utopia“ setzt sich in sieben Minuten collagenartig mit dem Habitus der Konsumgesellschaft auseinander. Ihr essayistisches Bilderwerk ist ein Abgesang auf die Idee einer Neuen Welt und mündet in der trostlosen Erkenntnis, dass eine Gesellschaft niemals zufrieden sein kann mit dem, was sie besitzt.
Ezgi Kilincaslans „Berlun“ dagegen ist ein visualisiertes Tagebuch einer türkischen Künstlerin, die von ihren Erfahrungen in Berlin erzählt und davon wie es sich anfühlt, zwischen zwei Kulturen stehend seine Identität zu formulieren. In „Voodoo-Instructions“ von Martyna Starosta quält die etwas aufgedrehte Heldin mittels Puppen die Gäste eines Subway-Restaurants in Kreuzberg. Kapitalismuskritik mal anders: Zehn Minuten kindlich-naiver Spaß, der zu unterhalten wusste. Arg angestrengt dagegen wirkte „Breaking Legs„: Florian Krautkrämers Stummfilm mit Lars Rudolph in der Hauptrolle feierte seine Berlin-Premiere und ist zwar wundervoll fotografiert, läßt einen inhaltlich aber leicht ratlos zurück. Inspiriert von einer Ingeborg Bachmann Erzählung, erzählt er die Identitätssuche eines Mannes, der hin und hergerissen ist zwischen Opportunismus und Aufrichtigkeit.
Mit „I am Simon“ gelang der Ungarin Tünde Molnár ein atmosphärisch dichter Animationsfilm mit tragischem Ende. Ihre zutiefst melancholische Erzählung von einem Hund, der über sein Leben mit seinen Freunden berichtet, überzeugte auch die Jury, die „I am Simon“ zum zweiten Gewinnerfilm des Abends kürte. Vojtech Moraves Kurzdokumentation „Turbodiesel“ gewann den ersten Preis. Der Regisseur begleitet in seinem Film einen heimatlosen Mann, dessen gesamtes Leben sich in einem alten Mercedes abspielt. So unmöglich dieses Vorhaben anmutet, so erstaunt ist man über den Einfallsreichtum dieses Menschen, der seit sieben Jahren keinen Fuß auf den Erdboden gesetzt hat. Oder haben soll! Doku oder Fake-Dokumentation? So ganz sicher war sich die Jury bei der Preisvergabe nicht. Den Publikumspreis erhielt Matis Burkhardts heitere „Leerfahrt„. Lobend erwähnt und mit dem Spezialpreis der Jury geehrt wurde „Berlun„.
Martin Daßinnies
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