Ulrich Weiß-Filmreihe im Arsenal


Weiß Film "Miraculi"

Weiß Film "Miraculi"

Schon Weiß zweiter Spielfilm „Blauvogel“ (DDR 1979), ebenfalls entstanden im Kinderfilmstudio der DEFA, zeigt das Interesse des Regisseurs ein wenig an der Handlung vorbei zu erzählen, das sich auch in der Art wie Weiß zwei Jahre später Bredels „Dein unbekannter Bruder“ adaptieren wird zeigt. Blauvogel schildert das Heranwachsen des englischen Siedlerkindes George Ruster, der mit etwa zehn Jahren von Irokesen entführt wird, bei diesen aufwächst und schließlich im Rahmen eines „Friedensvertrags“ zu seiner Familie zurückkehren muß. Die Stärke des Films ist zweifellos sein Ende. Georges unfreiwillige Rückkehr zu seiner Familie und die beklemmende Fremdheit die aus den Szenen in der Familie spricht, ist beeindruckend. Die Bilder ähneln Szenen nach einem Coming-Out – eine Fremdheit, die keiner benennt, gleichzeitige Gefühle von Nähe und Ferne.

Ein Wermutstropfen ist, dass auch dieser Anti-Western mit seinem Einsatz rumänischer Statisten als “Indianer” im exotistischen Paradigma europäischer Blicke gefangen bleibt. Man mag gewillt sein, es dem Film nachzusehen, schließlich waren auch Irokesen, Bewohner_innen des “nicht-sozialistisches Wirtschaftsgebiets”. Dennoch: das Vertrauen auf Dokumente westlicher Ethnographie zu den Irokesen gibt dem Film seiner klugen Unterwanderung einer Dichotomie von Vertrautheit-Fremde zum Trotz einen fahlen Beigeschmack.
Weiß‘ 1982 fertiggestellte Willi Bredel Verfilmung „Dein unbekannte Bruder“ hätte der erste Cannes-Beitrag der DDR werden können. Durch die Intervention der politischen Führung wurde dies schließlich verhindert.

Der Film ist von einem Gestaltungswillen und einer Suche nach Bildern durchsetzt, den es im deutschen Kino selten gibt. Die DEFA Stiftung berichtet, nach der verhinderten Aufführung in Cannes hätten westdeutsche Medien und die Kirche die Zuschauer ermutigt, sich den Film anzuschauen, den sie als Gleichnis auf die DDR-Gegenwart verstanden; eine Lesart, die auf ein weiteres Problem im Umgang mit der Filmproduktion der DDR hinweist: jede Abweichung vom filmischen Phrasendreschen als Dissidenz zu beschreiben, verkennt die Vielfalt, die auch innerhalb der DEFA-Produktionen möglich war, wenn der nötige Mut aufgebracht wurde. Die Filme von Ulrich Weiß zeigen wie die von Hannes und Sybille Schönemann was bisweilen auch ging. Selbst der Kritik an diesen Filmen standen oft Besprechungen und Kommentare gegenüber, die die Filme öffentlich positiv aufnahmen und verteidigten.

Weiß’ Version der Geschichte des kommunistischen Widerstandskämpfers Arnold Clasen (nicht immer gut gespielt, aber brilliant verkörpert von Uwe Kokisch), der 1935 aus dem Gefängnis kommt und weiter aktiv bleibt, reanimiert die längst unter filmischen Floskeln begrabene antifaschistische Tradition der DEFA. Die Bilder, die Weiß für die Wahnhaftigkeit des Nationalsozialismus findet, sind ebenso präzise wie vielschichtig: der Tabakhändler etwa, der Clasen eine Blockwartsstelle verschaffen möchte und schließlich am gekündigten Kredit für seinen Laden zerbricht, ist tragische Figur und Fanatiker zugleich. Die Industriellen hingegen, die bei einem Empfang ihren Frauen in rhythmisierten Bewegungen ihre Sektgläser in die Hand drücken, um freie Hand zu haben, sich zu opportunistischen Klaqueuren zu erniedrigen, sie sind in ihrer Erbärmlichkeit strukturelle Analyse und Groteske.

Dieser Diktatur der Groteske stellt Weiß Arnold Clasen gegenüber, der den ganzen Film hindurch Fremdkörper bleibt. Zu Beginn scheint es, als würde Clasen, in der Isolation seiner Wohnung zunehmend am Druck, der auf ihm lastet zerbrechen. Clasen bleibt allen anderen Charakteren des Films fremd. Eine Fremdheit, die Weiß unter anderem ins Bild rückt, indem Clasen der einzige ist, der konsequent Bart trägt und in einigen Szenen durch Brustbehaarung beeindruckt. Den glattrasierten Zeitgenossen stellt Weiß Clasens Sperrigkeit gegenüber. Die Radikalität des Films besteht darin, dass Clasen ebenso sehr Fremdkörper bleibt gegenüber der sich faschistisierenden Mehrheit wie im Umgang mit der klandestinen KPD. Weiß’ Film inszeniert Clasen eben nicht als kommunistischen Superhelden-Märtyrer.

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