Filmfest Eberswalde: Große Pyramiden in blühenden Landschaften


Filmszene: Der Bergfuerst

Filmszene: Der Bergfuerst

Besonders gut ins Konzept des Festivals passte dagegen ganz offenkundig der Dokumentarfilm „Der Bergfürst“ von Philip Vogt. Der Regisseur entführt sein Publikum in eine archaische Ecke Albaniens, wo seit Generationen Zef Sokoli als Bajraktars, als Anführer mehrerer Stämme, über deren Wohl und Wehe bestimmt. Eine fern anmutende Ordnung, mit der sich auch die Söhne des Fürsten auseinandersetzen müssen, von denen einer ihn irgendwann beerben wird. Vogt begeisterte Zuschauer und Juroren gleichermaßen und so konnte „Der Bergfürst“ gleich Publikums-und Jury-Preise einheimsen. Damit setzte er sich in einer guten Konkurrenz unter anderem gegen „Tabakmädchen“ (hier der komplette Film in der 3sat-Mediathek!) durch, einem der Geheimtipps von Leiterin Zippel. Die schätzte zum einen die handwerklichen Mittel und die Neutralität der in einer Bergregion Makedoniens gedrehten Doku, während sie sich inhaltlich überrascht zeigte, da „kaum zu begreifen ist, wie unter den Bedingungen dieses Traditionalismus‘ noch weibliches Selbstbewusstsein wachsen kann.

Filmszene: Tabakmädchen (c) Biljana Garvanlieva

Filmszene: Tabakmädchen (c) Biljana Garvanlieva

Dieses zeigt der Film am Beispiel der 14-jährigen Mümine, der Regisseurin Biljana Garvanlieva folgt, wie sie einerseits hart auf dem Tabakfeld arbeitet, um bald an den meistbietenden verkauft und verheiratet zu werden, während sie ihrerseits zur Schule gehen will, um irgendwann selbst als Lehrerin zu unterrichten. Die Jury begründete ihre Wahl für „Der Bergfürst“ wie folgt: „Der Film veranschaulicht (…) wie auf Grund des Mäanderns zwischen den Welten alte Traditionen und Wertesysteme im ländlichen Raum durch moderne Einflüsse verändert oder gar unterlaufen werden. Gleichzeitig macht der Film anhand des Beispiels der Familie Sokoli die Komplexität solcher Veränderungen deutlich.“ Nicht unähnlich hätte eine solche Begründung auch für das „Tabakmädchen“ klingen können. Die Juroren warfen zum Ende ihrer Laudatio eine spannende Frage auf, die über den Filmen und dem Festival gleichermaßen stand: „In welcher Gesellschaft wollen wir leben?

Mit einer möglichen Antwort auf Fragen wie diese beschäftigte sich auch der Regisseur Volker Schlecht, dessen Germania Wurst als bester Animationsfilm ebenfalls eines der begehrten „e“ gewann. In seinem gut elfminütigen, ziemlich subversiven Schweinsgalopp durch die letzten 2000 Jahre der deutschen Geschichte setzt er sich mit Gefahren für und Umständen zur Instrumentalisierung von Menschen auseinander. Die Wurst übernimmt die Rolle als Bindeglied der Historie, folgerichtig bekam der bei der feierlichen Preisverleihung anwesende Schlecht neben des „e“ auch eine dampfende Bockwurst serviert.

Im Gegensatz zur Einstimmigkeit beim Dokumentarfilm, gingen die Meinungen über den besten Kurzspielfilm zwischen Publikum und Juroren ziemlich deutlich auseinander. Während sich die Eberswalder Festivalgäste für den niedlich animierten Kinderfilm Mobile“ von Verena Fels entschieden, kamen für die Jury am Ende nur zwei Shorts in die enge Auswahl: Die deutsche Satire „Ich bin’s Helmut„, die schließlich gewann und der klaustrophobische Thriller „Rita aus Italien. Der italienische Beitrag überzeugte mit seiner subtilen Darstellung von Gewalt durch ein Spiel mit Urängsten, die auf das blinde Kind Rita projiziert wurden. 19 Minuten die das Publikum verstummen und erschaudern ließen. Damit steht das Sujet im klaren Gegensatz zum prämierten Sieger „Ich bin’s Helmut„, der „dramaturgisch klar strukturiert, originell sowohl mit Blick auf die Geschichte als auch auf die Umsetzung„, wie die Jury begründete, gewann. In Nicolas Steiners Kurzfilm gibt Matthias Zelic, den 57-jährigen Helmut, der seinen 60. Geburtstag feiern muss, weil sich seine Frau seit Jahren verrechnet… Trotz all der Dramen die dessen Leben bereithielt, die an einem solchen Tag wieder vom Unterbewusstsein in die gegenwärtige Erinnerung rutschen, lässt Steiner seinen Helmut versöhnlich und vergnügt bei Blas-Musik zurück, nachdem sich das heimische Wohnzimmer im stetigen (Kulissen-)Wandel bis hin zur Almlandschaft transformierte. In der Natur empfindet er ein wohliges Gefühl des Geborgenseins. Ein Gefühl, welches weder sonderlich provinziell, noch städtisch ist. Eher universell und auf jede Gesellschaft anwendbar, in der man leben möchte.

Denis Demmerle

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