61. Berlinale: Bärenlese


Filmszene: "A torinói ló"

Filmszene: "A torinói ló"

Ein Rückblick auf die 61. Internationalen Filmfestspiele von Berlin, auf den Wettbewerb, die Preise und die Feststellung, da früher einfach mehr Lametta war…

Die Würfel sind gefallen und die Bären vergeben, die meisten Journalisten wieder glücklich zuhause gelandet und die Koffer ausgepackt. Endlich Zeit also, um einiges an schmutziger Wäsche zu waschen – was mancherorts nicht nur für die verschwitzten Blusen und Hemden der Damen und Herren von der schreibenden Zunft gilt.  Anscheinend wird dieses Großreinemachen auch gerne als Anlass genutzt wird, um im Gegenzug die Programmauswahl, den Wettbewerb, die fehlenden Stars und mangelnden Highlights einer Berlinale mit einzuseifen, die – so der Tenor beinahe aller Journalisten, die bislang Bilanz gezogen haben – in diesem Jahr fast durch die Bank weg enttäuschte. Früher war mehr Lametta (und Filmkunst sowieso) – man kennt das ja.

In unserer Halbzeitbilanz haben wir ja bereits ausführlich einzelne Trends und mögliche Gründe für den auch am Ende nicht sehr viel erfreulicheren Wettbewerb der Berlinale genannt – an der Analyse hat sich auch im Nachhinein nichts Wesentliches geändert. Umso erfreulicher und folgerichtiger sind die Entscheidungen der Jury mit der Vorsitzenden Isabella Rossellini, deren Entscheidungen in diesem Jahr auf so viel Beifall und einstimmiges Lob stießen wie selten zuvor stießen wie selten zuvor. Der Große Preis der Jury für Béla TarrsA torinói ló“ zeichnet einen Film aus, der in seiner Wuchtigkeit und Sperrigkeit innerhalb des Programms wie der schwarze Monolith aus Stanley Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“ wirkte – schroff und geheimnisvoll. In den deutschen Kinos wird der Film wahrscheinlich unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Aber das ist für große und kryptische Kunst, die gar nicht erst vorgibt, etwas Anderes sein zu wollen, nun wahrlich nichts Neues.

Ebenso folgerichtig und erwartbar war auch die Entscheidung für Asghar Fahadis Film „Nader & Simin. A Separation„, der nicht nur der Liebling eigentlich aller Kritiker war, sondern vor allem – und das wirft ein Schlaglicht auf den diesjährigen Wettbewerb – der mit Abstand einzige Favorit auf den Goldenen Bären. Dass nun auch die Auszeichnungen für den besten männlichen und weiblichen Darsteller an die ohne Frage grandiosen Akteure des iranischen Films ging, mag manch einem etwas zuviel des Guten erscheinen. Andererseits passt die Preisflut bestens zu einer Berlinale, die sich schon im Vorfeld als Solidaritätsplattform mit den unter schwersten Bedingungen arbeitenden iranischen Filmemachern präsentiert hatte, was man unter anderem an den an viele Sakko-Revers angehefteten grünen Bären ablesen könnte. Zumindest in diesem Punkt gelang der Festivalleitung um Dieter Kosslick ein Coup, den kein noch so gewitzter Drehbuchautor besser hätte ersinnen können.

Filmszene: "Wer wenn nicht wir"

Filmszene: "Wer wenn nicht wir"

Erfreulich für den deutschen Film, dass es auch zwei Auszeichnungen für Kandidaten aus heimischer Produktion gab. Der Silberne Bär für die Beste Regie ging an Ulrich KöhlersSchlafkrankheit“  und der Alfred-Bauer-Preis an Andres Veiels RAF-Drama „Wer wenn nicht wir“  – beides Entscheidungen, die man durchaus vertreten kann. Der Drehbuch-Preis für Joshua Marstons Film „The Forgiveness of Blood ist ebenso einleuchtend und die beiden Silbernen Bären für die Kamera und der Produktionspreis für Paula Markovitchs Film „El Premio“  allenfalls in ihrer Ballung dann doch etwas viel für einen Film, der unterm Strich enttäuschte.

Auch wenn der Rest des Wettbewerbs weitgehend enttäuschte, so gab es doch – und das wird in vielen Rückblicken und (Negativ-)Bilanzierungen gerne vergessen – einige Highlights, die zumindest für kurze Zeit den vermeintlichen oder tatsächlichen Glanz früherer Tage zurück nach Berlin brachten – „True Grit“ beispielsweise als Eröffnungsfilm des Festivals war ein echter Erfolg, ebenso wie die überwiegend und vollkommen zurecht gefeierte Weltpremiere von Wim WendersPina , die sich als wegweisend für die weitere Verbreitung der 3D-Technik in die Bereich des Arthouse-Kinos und des Dokumentarfilms erweisen könnte. Daneben gab es im Wettbewerb zumindest noch Seyfi TeomansOur Grand Despair“  sowie „Almanya – Willkommen in Deutschland„, die sonnige Akzente setzten. Und gerade von letzterem Film darf man annehmen, dass er auch in den deutschen Kinos gut funktionieren könnte. Dazu all die kleinen Entdeckungen, die es in Forum und Panorama, in der Reihe Perspektive und bei den Generationen zu sehen gab, wie mir immer wieder zugetragen und berichtet wurde – wendet man den Blick vom Wettbewerb einmal ab, so gestaltet sich das Urteil vielleicht ein klein wenig milder.

Sponsor: tausche Berlin

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Seien wir mal ganz optimistisch: Vielleicht wird man irgendwann rückblickend einmal diese Berlinale als eine zu würdigen wissen, die Geschichte geschrieben hat. Nicht aufgrund ihrer Filmauswahl für den Wettbewerb, der nun mal die Visitenkarte eines jeden A-Festivals ist. Und auch nicht für die vielen kleinen Perlen in den Nebenreihen, die in diesem Jahr laut dem Gemurmel in den Gazetten, Blogs und Internetpräsenzen ebenfalls seltener geworden sein sollen. Sondern als das Jahr, an dem man die Richtung änderte, das Steuer herumriss, um einer glorreichen Zukunft entgegen zu segeln, bei der weniger die glanzvollen Namen als vielmehr die wirklich gelungenen Entdeckungen des Weltkinos in Berlin gezeigt werden. Ahoi, bis nächstes Jahr, Berlinale! Und gute Reise.

Joachim Kurz www.kino-zeit.de

Weil wir dann doch auch auf die Highlights des Festivals hinweisen wollen, haben wir zusammen mit dem Kollegen von Kino-Zeit.de Joachim Kurz unsere persönlichen Top 5 zusammengestellt:

Joachim Kurz (der sich über die Maßen ärgert, ausgerechnet Nader & Simin. A Separation wegen einer Pressekonferenz nicht gesehen zu haben)

Ohne Reihung
„Pina“
„Our Grand Despair“
„Come Rain, Come Shine“
„Submarine“
„A torinói ló“

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Denis Demmerle

1. „True Grit“ (Allerdings ist der Coen-Western im Wortsinne außer Konkurrenz zu betrachten.) Daher:

1. „Life In A Day
2. „A torinói ló“
3.The Guard
4. „On The Ice
5. „The Future

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Carolin Weidner

1. „The Ballad Of Genesis And Lady Jane
2 „Tomboy
3. „Utopia Ltd.
4. „True Grit
5. „Romeos

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Susanne Teichmann

1. „Bombay Beach
2. „A Pas de Loup
3. „Jess + Moss
4. „On the Ice
5. „The Dynamiter

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Martin Daßinnies

Ohne Reihung
Kampf der Königinnen
Les contes de la nuit
Lollipop Monster
„The Ballad of Genesis and Lady Jaye“
Kamakia – Die Helden der Insel