Berlinale-Blog: Wim Wenders über „Pina“ und 3D (7)


Wim Wenders, Foto: Donata Wenders

Wim Wenders, Foto: Donata Wenders

Wim Wenders kann nur ganz leise sprechen. Vor ihm steht eine Tasse Tee, in die er großzügig Honig hineingibt, neben ihm liegt eine Packung mit Salbeibonbons, weil die Stimme angegriffen ist – eine Reizung oder Entzündung des Kehlkopfes. Und nun wollen auch noch wir mit ihm sprechen – wie viele andere auch. Wir, das sind in diesem Falle sieben Journalisten, die zum Gruppeninterview mit Wim Wenders geladen waren. Die Anfragen, so darf man getrost vermuten, dürften um etliches höher sein – und das mit gutem Grund. Denn sein Film „Pina hat auf der Berlinale begeistert wie kaum ein anderer.

Erinnern Sie sich noch an Ihre erste Begegnung mit Pina Bausch?
Wim Wenders: Sehr deutlich sogar, denn das war ein wichtiger Tag in meinem Leben. Wir trafen uns 1985 in Venedig. Die Jahre zuvor, in denen Pina Bausch berühmt wurde, habe ich überhaupt nicht mitbekommen, weil ich zu der Zeit in Amerika lebte. Meine damalige Freundin kannte Pina aber aus Frankreich, wo sie mit Ihrem Tanztheater mehrfach auf Festivals aufgetreten war. Sie schwärmte regelrecht von ihr. Und in Venedig sah ich Pina dann das erste Mal im Stück „Cafe Müller“. Ich war wie vom Donner gerührt und habe sofort meinen Hotelaufenthalt verlängert, um auch noch alle anderen Stücke von ihr sehen zu können. Und ich hatte das Glück, sie dort auch persönlich kennen zu lernen. Ich weiß nicht, ob es daran lag, dass wir aus derselben Gegend stammen, aber wir haben uns von Anfang an richtig gut verstanden. Bereits damals habe ich zaghaft etwas von einem Filmprojekt geplappert und dass wir was zusammen machen müssten, so begeistert war ich. Pina hat aber nicht so richtig reagiert; nur wieder einen Zigarettenzug genommen und mich im Unklaren gelassen, ob sie das Ernst nimmt. Erst in den Jahren danach hat sie mir allmählich deutlich gemacht, dass sie sich an dieses erste Gespräch erinnert. Und irgendwann hat sie auch von sich aus nachgehakt und insistiert: „Wim, wir wollten doch …“

Lässt sich in Worte fassen, was Pina Bausch und ihr Tanztheater zu etwas ganz Besonderem machte?
Wenders: Das ist diese Magie, die Pinas Theater hatte, wenn man es live erlebte. Die Körperlichkeit und die Unmittelbarkeit, wie das auf den eigenen Körper übersprang und wie man beteiligt war. Das geschah auf eine ganz andere Art, als ich es je bei einem Rockkonzert, beim Theater oder einer anderen Vorführung erlebt habe. Nie zuvor habe ich mich so angesprochen gefühlt und war bewegt bis ins tiefste Mark wie bei Pina.

Was ist ihre Erklärung dafür?
Wenders: Es ist die Genauigkeit ihrer Beobachtung. Die Radikalität, mit der sich Pina auf die Körpersprache und das Lesen des Körpers konzentriert hat. Von uns Filmemachern kann das niemand. Körpersprache ist uns zwar wichtig im Film. Aber den Blick so zu schärfen, dass man einen Menschen ohne Worte und ohne Psychologie nur aus seinen Gesten und seiner Bewegung erkennt. Und gleichzeitig zeigen kann, was sein Innerstes ist – das ist mir völlig unbekannt gewesen. Und ich wollte das übersetzen.

Warum hat es dennoch so lange gedauert, bis Sie diese Idee verwirklichten?
Wenders
: Weil meine Erkenntnis nach vielen Gesprächen war: Ich kann es nicht. Und weil ich Pina nicht belügen konnte, hab ich es ihr gesagt: Ich steh da wie vor einer Mauer. Das, was ihr da macht, da komm ich nicht ran, obwohl ich alles, was es zu diesem Thema an Tanzfilmen gibt, studiert habe. Und ich habe nach Mitteln gesucht: Handkamera, Krankamera, Steadycam – aber alles, was ich kannte und konnte, war nicht gut genug, irgendetwas fehlte. Und erst 2007, als ich den ersten, noch ziemlich rudimentären 3D-Film gesehen hab – „U2 in 3D“ – wusste ich: Es gibt eine Tür in das Königreich der Tänzer. Und auch, wenn der Technik zu Anfang noch vieles fehlte, wusste ich: Mit dem, was 3D mal können wird, kann es funktionieren. Und ab diesem Moment begannen wir konkret zu planen und legten den Dreh auf den Herbst 2009 fest.

Was ist das Besondere, das Schwierige am Arbeiten mit der 3D-Technik?
Wenders: Man kann nicht so schwenken wie im Film. Man kann nur mit einer Person schwenken, nicht gegen sie und vor allem auch nicht ohne sie. Man kann sehr schön die Kamera auf jemand zubewegen oder wegbewegen. Man bewegt immer den ganzen Raum. Man bewegt die Kamera nicht im Raum, der Raum selbst wird bewegt. Durch unser dreidimensionales Sehen denkt man ja, die Kamera bewegt sich in den Raum, aber im dreidimensionalen Kino bewegt man den ganzen Raum mit. Das ganze Raumsehen ist wesentlich komplexer. Bei jedem Schnitt passiert etwas viel Komplexeres als ein Bild zu wechseln. Wenn man es schlecht macht, wirft man den Menschen die Räume um die Köpfe.

Pina Bauschs plötzlicher Tod im September 2009 durchkreuzte dann alle Ihre Pläne.
Wenders: Wir saßen in meinem Berliner Büro und besprachen den Transport unserer Technik nach Wuppertal. Die Kameras waren schon eingeladen, zwei Tage später wollten wir mit den Aufnahmen beginnen. Als dann das völlig Unvorstellbare passierte, habe ich sofort alles gecancelt. Für mich war nichts anderes vorstellbar, schließlich war das ganze Konzept auf Pina aufgebaut. Erst allmählich, vor allem durch Gespräche, die nach der Trauerfeier des Tanztheaters in Wuppertal stattfanden, dämmerte mir: Das war die falsche Entscheidung. Denn es war Pinas Wunsch, diese Stücke aufzuzeichnen, um sie – wie sie selber mal gesagt hat – „gut aufzuheben“. Diese Kunst gibt es ja nur, wenn man sie aufführt, das war eine schwere Last auf ihren Schultern. Pinas Theater kann nicht weitergegeben werden, und es kann auch nur sehr eingeschränkt von anderen aufgeführt werden.

Sponsor: tausche Taschen

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Wäre der Film anders geworden, wenn sie nicht gestorben wäre?
Wenders: Es wäre es ein ganz, ganz anderer Film geworden. Bis auf die Stücke, die ich noch mit ihr besprochen hatte, ist nichts so geblieben, wie geplant. Es wäre ein Film über Pinas Blick geworden. Über ihren Blick auf die Welt, auf ihre Tänzer. Und jetzt ist es ein Blick der Tänzer auf Pina geworden. Mit ihr an meiner Seite hätten wir uns die Verantwortung geteilt. Ich hätte immer zu Pina rübergeguckt und dann hätte sie gelächelt. Oder sie hätte die Stirn gerunzelt und ich hätte gewusst: Jetzt muss ich was anders machen. Ich hatte ihr ja viel versprochen, was 3D alles kann. Ohne ihr wirklich zeigen zu können, dass das auch so ist. Als wir es dann ohne sie machen mussten, war ihr Blick über meine Schultern immer da. Solch eine Verantwortung habe ich noch bei keinem anderen Projekt gespürt. Aber unser Ziel, einen Film FÜR Pina zu machen, haben wir, glaube ich, erreicht.

Die Außendrehs entstanden an sehr ungewöhnlichen Orten: In der Wuppertaler Schwebebahn, auf einer alten Abraumhalde, auf einer Verkehrskreuzung: Wer war für die Auswahl verantwortlich?
Wenders: Die Orte lagen mir sehr am Herzen. Ich habe sie selbst vorgeschlagen und für jeden Tänzer ausgesucht. Und nach den Proben haben wir den Ort verwendet, der die jeweilige „Antwort“ der Tänzer am besten visuell unterstützte. Das war für mich eine große Freiheit, dass ich aus meiner Kenntnis der Wuppertaler Gegend und des Ruhrgebiets selbst nach den Orten suchen konnte. Zum Beispiel diese Wahnsinns-Wüstenlandschaft der Halde Haniel: Mein Gymnasium war zehn Minuten davon entfernt, daher kannte ich diesen kahlen Berg, auf dem nichts wachsen konnte. Und als ich diese sehr bewegende Szene sah, in der die Tochter ihren Vater auf dem Rücken trägt, ist mir der Salzsee eingefallen, den es oben auf dieser Halde gibt. Auf das Tänzerische hingegen habe ich überhaupt nicht eingewirkt, das haben die Tänzer zusammen mit den beiden technischen Leitern selbst in der Hand gehabt.

Was war der berührendste Moment für Sie während der Dreharbeiten?
Wenders: Davon gab es eine ganze Menge. Diese Ernsthaftigkeit der Tänzer hat mich auch hinter der Kamera mehr als einmal zu Tränen gerührt. Als Christiana den Spitzentanz aufführt – vor der Kulisse der Kokerei Zollverein mit Kalbfleisch in den Ballettschuhen, habe ich Rotz und Tränen geheult. Obwohl ich ihn schon zigmal vorher gesehen hatte.

Werden Sie Ihren nächsten Film erneut in 3D produzieren?
Wenders: Im Moment wäre es schwer für mich, davon wieder runterzukommen. Ich kann mir kaum vorstellen zum 2D-Film zurückzugehen. Und wenn ich von „zurückgehen“ spreche, ist das eigentlich schon eine Antwort. Ich würde wahnsinnig gerne noch mal eine Geschichte mit diesem Medium erzählen. Jetzt wieder einen Film für die flache Leinwand zu machen, ist nur schwer vorstellbar.

Interview: Joachim Kurz, www.kino-zeit.de