Berlinale: Interview mit Retrospektive-Leiter Rainer Rother


Rainer Rother, Foto:Berlinale

Rainer Rother, Foto:Berlinale

Lachen bei Bergman

Seit April 2006 ist Rainer Rother Künstlerischer Direktor der Deutschen Kinemathek und Leiter der Retrospektive der Berlinale. Die 61. Internationalen Filmfestspiele Berlin ehren den 2007 verstorbenen Ingmar Bergman mit der diesjährigen Retrospektive, die von einer Ausstellung in der Deutschen Kinemathek entscheidend begleitet wird. Im Gespräch geht Herr Rother auf Bergman’sche Besonderheiten, sein Verhältnis zum Regisseur und auf die Rolle von Retrospektiven bei Filmfestivals ein.

Herr Rother, Dieter Kosslick sagte zur Retrospektive: „Ingmar Bergmans Vielseitigkeit ist ebenso beeindruckend wie sein Mut, mit gesellschaftlichen Tabus zu brechen. Wie kaum ein anderer zeigt er das zerrissene Lebensgefühl des modernen Menschen auf.“ Was würden Sie seiner Einschätzung hinzufügen wollen?
Rainer Rother: Man kann hinzufügen, dass Bergman eine außergewöhnliche stilistische Vielfalt ausweist und sich sein Werk über die Jahrzehnte frei von Moden entwickelt hat. Er ist sich treu geblieben und war experimentierfreudig bis zum Schluss. Denkt man an „Aus dem Leben der Marionetten“, seinen zweiten in Deutschland gedrehten Film und an „Fanny und Alexander“, erkennt man diese unheimliche stilistische Bandbreite. Das sind zwei Filme, von denen er sagte, dass sie zu seinen Besten gehören. Ich würde ihm zustimmen.

Im Schaffen welcher Filmemacher lassen sich heute deutlich Spuren von Bergmans Handschrift erkennen?
Rother: Ich weiß nicht, ob es eine Bergman Handschrift gibt, die weitergegeben wurde. Das ist nicht das Entscheidende für seinen Einfluss. Es gibt viele Regisseure, die Begegnungen mit Bergman Filmen in lebendiger Erinnerung haben. Da sind die liebevoll verehrenden Reminiszenzen von Margarethe von Trotta, Hans-Christian Schmid oder Tom Tykwer. Die große Bewunderung, die Stanley Kubrick ihm gegenüber ausgedrückt hat oder auch Fellini. Entscheidend war nicht die filmische Nähe zu ihm. Was ihn vom einflussreichen Regisseur Orson Welles unterscheidet, über den Truffaut sagte, er habe die meisten Regisseure gezeugt, ist Bergmans kompromisslose Ausdruckskraft mit den Mitteln des Films. Seine Filmsprache konnte ebenso reduziert, wie bei „Persona“ oder „Aus dem Leben der Marionetten“ sein, wie auch opulent oder surreal. Sie passte immer genau zu dem, was er in diesem Film erzählen wollte. Bergman versuchte nie etwas over-the-top zu machen, nichts Zusätzliches, nichts oben drauf gelegtes. Die Verehrung basiert auf der Haltung des Künstlers zu seinem Kunstwerk.

Eine Besonderheit ist das Bergman`sche Menschenbild.
Rother: Er hatte ein sehr klares und skeptisches Menschenbild. Er analysiert Paarbeziehungen sehr mitleidslos und versucht nichts zu beschönigen. Das führte zu Skandalen, wie etwa denen um die so genannten Sex-Szenen in „Das Schweigen“, die heute weniger irritierend sind, als die Art und Weise, wie die Schwestern miteinander umgehen, die unheimlich unerbittlich in ihrem Verhältnis sind. Die Art, wie er solche Verhältnisse gestaltete, beeindruckte sicher Filmemacher. Wie er emotionale Umschwünge beschreiben konnte, ist für mich atemberaubend. In „Schande“ ist Liv Ullmann in einer langen Einstellung zu sehen, ihr gegenüber sehen wir Max von Sydow. Das Ehepaar unterhält sich und in diesen drei, vier Minuten entwickelt sich eine gesamte Geschichte, obwohl fast ausschließlich Liv Ullmann spricht. Diese Szene enthält so viele Untertöne, wie es nur ganz wenige Filmemacher geschafft haben.

Erinnern Sie sich an Ihren ersten Bergman-Film?
Rother: Fast schon pflichtgemäß war das „Wilde Erdbeeren“. Den fand ich beeindruckend, auch wenn er mich nicht so sehr berührte. Ich empfand ihn als zu symbolisch und hatte nicht unbedingt das Gefühl, dass er mich richtig trifft. Bei „Das Schweigen“ war das anders, ein Film, der nahe rückte.

Hat sich Ihr Verhältnis beim Wieder-Sehen mit Bergman während der Vorbereitung der Retrospektive verändert?
Rother: All das, was man über ihn zu glauben wusste, spielte keine so große Rolle mehr. Mich faszinierte die Mechanik dieser Geschichten, aber auch, wie berührend viele seiner Werke noch heute sind. Ich habe entdeckt, dass man über Bergman auch lachen kann. Die erste Hälfte von „Fanny und Alexander“ ist eine Komödie, „Das siebente Siegel“ hat oft einen eindeutig ironischen Unterton, das fand ich erstaunlich. Ich konnte entdecken, wie genau er Landschaften ins Bild setzt.

Wie würden Sie deren Funktion beschreiben?
Rother: Ich würde den Landschaften keine Funktion zuordnen, da die Funktionen in den Filmen sehr unterschiedlich sind. Die Landschaften erzählen eher mit und sind sehr sorgfältig ausgewählt.

1 2