Berlinale: Interview mit Retrospektive-Leiter Rainer Rother


Filmszene: "Persona"

Filmszene: "Persona"

Wie aktuell ist Bergman heute?
Rother: Im Vorfeld stellten wir ein unheimliches Interesse fest. Er bewegt die Filmemacher offenbar immer noch. Bergman ist aktuell, wo er sich auf menschliche Beziehungen, auf Paar-Beziehungen eingelassen hat. Selbst im Kriegsfilm „Schande“ sind die stärksten Szenen die des Ehepaares miteinander.

Wie würden Sie ihn historisch einordnen?
Rother: Ich glaube, dass er bewusst Filme seiner Zeit machte, denen man das aber auf den ersten Blick nicht ansieht. Es gibt diesen Dreiklang aus „Persona“, „Schande“ und „Passion“. Der erste und der letzte zeigen je eine Szene aus dem Vietnam-Krieg, während er bei dem mittleren darauf verzichtet. Doch eben der gilt als deutlichster Kommentar Bergmans zum Krieg. Er hat sich damit auseinander gesetzt und in seine Form transformiert. Dafür wurde er damals wegen Eskapismus kritisiert. Für den heutigen Zuschauer hat es den Effekt, dass er den Krieg nicht direkt anspricht, sondern das, was mit dem Menschen im Krieg passiert. Diesen Kontext erschließt man sich.

Das Wieder-Sehen ist eine Besonderheit von Retrospektiven, da alte Filme wieder auf der großen Leinwand zu sehen sind. Dazu haben Retrospektiven innerhalb von Filmfestivals eine Eigenart: Sie blicken zurück in die Vergangenheit und nicht nach vorn. Warum wollten Sie gerade in diesem Moment auf Bergman zurückblicken?
Rother: Wir hatten jetzt die Möglichkeit, diese Ausstellung zu realisieren, das wäre zwei Jahre zuvor nicht möglich gewesen. Ein sehr pragmatischer Grund, aber von da an war klar, dass wir die Bergman Retrospektive zeigen. Wir hatten das Gefühl, dass Bergman eine Wiederentdeckung wert ist.

Herr Kosslick hat diesen Faktor der Ideen-Konkurrenz im Sommer-Interview hervorgehoben, da die Filme, die für den Wettbewerb in Frage kommen, einem Takt folgen, den die großen Festivals vorgeben. Jedoch die passende, originelle Retrospektive zu finden, eine Art Königsdisziplin ist.
Rother: Wir sind aufgrund der engen Zusammenarbeit von Kinemathek und Filmfestspiele seit Mitte der 70er Jahre in einer anderen Position als Cannes, das keine klassische Retrospektive hat. Wir mussten aber reagieren, seit sich Cannes mit den „Cannes Classics“ positioniert. Wir schauen auch, welche Retrospektive in Venedig, Thessaloniki oder Edinburgh läuft und das beeinflusst unsere Entscheidung.

Welche Rolle spielen Filmfestivals heute für das Kino?
Rother: Die Funktion eines Festivals, gerade mit solch verschiedenen Sektionen, ist eine kuratierte Auswahl. Das Publikum weiß, hinter dem Programm stehen Festivalleiter, Sektionsleiter & Co, die mit ihrer kuratorischen Auswahl ein Angebot machen. Das ist typisch für alle Festivals. Das ist die Service-Leistung eines Festivals für ihr Publikum. Je verlässlicher, desto erfolgreicher sind die Festivals.

Die Fragen stellten Susanne Teichmann und Denis Demmerle.

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