Delicatessen – Das Berliner Tischgespräch im April 2011 – Teil 2


Gaspar Noé: Homophobe Kraftmeierei oder Kino-Trip?

Nord, Kahl, Veiel

Nord, Kahl, Veiel

Schäfer: Hast du „Enter the Void„, den letzten tollen Film von Gaspar Noé, gesehen?
Nord: Ich mochte ihn nicht.
Kahl: Der war leider enttäuschend, aber auf einem so hohen Niveau …
Schäfer: Aber es war trotzdem ein Kinoereignis. Bei allen Schwächen und Wiederholungen war es dennoch so, dass ich gedacht habe: Meine Güte, dass ich so eine Form, so einen Trip noch im Kino erleben darf.
Kahl: Ich habe „Irreversibel “ in Amsterdam in einer französischen Originalfassung mit holländischem Untertitel gesehen und war so geplättet nach dem Film, dass ich meine Freunde dazu gedrängt habe, noch etwas trinken zu gehen. Wäre ich allein ins Hotel gegangen, ich wäre irre geworden. Noé macht etwas mit einem.
Nord: Den mochte ich noch viel weniger. Der Film ist teilweise sehr homophob. Nicht das ich mit einer Messlatte an politischer Korrektheit ins Kino gehe, aber dieses unsubtile Kraftmeierische war einfach zu viel.
Schäfer: Gut, das ist in dem aktuellen Film nicht anders.
Kahl: „Menschenfeind“ ist noch um einiges schlimmer. Dort kommt noch eine riesige Portion Zynismus hinzu. Aber wie sind wir jetzt darauf gekommen?

Cristina Nord (taz)

Cristina Nord (taz)

Nord: Französischer Film.
Kahl: Stimmt, zum Thema wie sieht man Filme und wie bleiben sie im Kopf. Da macht das Kino Moviemento einen ziemlich guten Job. Die zeigen „Enter the Void“ nur noch einmal in der Woche, immer um Mitternacht. Das ist ein wundervoller Sleeper-Effekt. Den Film gibt es bereits auf DVD, jeder hat sich den schon als illegale Kopie aus dem Netz gezogen und trotzdem gucken den noch Leute im Kino.

Nord: So baut sich ein Gespräch um einen Film auf und es zeigt, dass man einer Sache traut. Das ist nicht mehr oft so.
Kahl: In den Arthouse-Kinos hat sich seit langem ein Wochenspielplan eingebürgert. Die Filme werden über maximal drei Wochen zwischen den Kinos hin- und hergeschmissen und sind dann raus. In Paris etwa gibt es ein viel gemischteres Programm.
Veiel: So, wie es das Moviemento bereits macht. Ich erinnere mich noch, dass im Moviemento früher ein Teil der Leinwand unscharf war.
Kahl: Das war mal, die haben jetzt aber einen neuen Projektor reingestellt. (Kahl dreht sich direkt zu Veiel) Aber mal etwas anderes, was war deine Intention, aus dem Thema RAF einen Spielfilm zu machen? War es das Theaterstück das du gemacht hast?
Veiel: Ich habe immer Theater gemacht. Einen Spielfilm zu machen, war für mich einfach schon immer einen Option, falls ich dokumentarisch nicht weiterkomme. Ich hatte einfach Lust, mit Schauspielern zu arbeiten. Darum habe ich vorhin auch gefragt, wie es für dich war mit deinem Film. Für mich war ganz wesentlich, die Konstellation mit den Schauspielern herauszufinden. Es war auch eine Frage von Sex und Kamera. Das Verhältnis von Zeigen und Nichtzeigen. Wo ist da die Grenze, dass da zwei Körper aufeinanderprallen, die sich eigentlich fremd sind, aber die Kamera es so verkauft, dass sie eine Erregung haben, die sie eigentlich nicht haben. Wie stark ist das Verhältnis von Lüge und Wahrheit, dass hat mich gerade bei dem Film sehr interessiert. Das hätte ich mit einem Dokumentarfilm nicht machen können. „Bedways“ wäre in dieser Form für dich sicher auch sehr schwer denkbar gewesen.
Kahl: Unter den negativen Kritiken war das immer einer der Vorwürfe, so nach dem Motto: Vielleicht wäre ein Dokumentarfilm über die Dreharbeiten spannender gewesen.
Veiel: Wie bist du mit den Widerständen der Schauspieler umgegangen?
Kahl: Das entstand natürlich nicht alles im luftleeren Raum. Als ich wusste, wer das spielt, habe ich noch mal das ursprüngliche Drehbuch überarbeitet. Dazu haben wir viel geprobt. Und nach den Proben gab es noch mal eine andere Drehbuchfassung. Es gibt insgesamt drei.
Veiel: Wie unterscheiden die sich?
Kahl: Im ersten Entwurf waren die Figuren noch mehr eine Idee und sehr statisch. Durch die Darsteller sind die Figuren dann wesentlich menschlicher geworden. Ich musste durch sie weg von der Laborsituation, in der ich das Drehbuch verfasst habe. Obwohl die Laborsituation sehr wichtig war, um die Suche richtig darstellen zu können. Aber meine Suche ist mit diesem Film jetzt beendet. (Lachen) Vielleicht mache ich demnächst mal ein Theaterstück.

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