Delicatessen – Das Berliner Tischgespräch im April 2011 – Teil 2
Im zweiten Teil der April-Ausgabe von Delicatessen – Das Berliner Tischgespräch sprechen Regisseur Andres Veiel, Festivalmacher Hajo Schäfer, Journalistin Cristina Nord und Regisseur RP Kahl über Filmkritiken und ihren Einfluss, das französische Kino und Gaspard Noé, Gudrun Ensslin und „Wer wenn nicht wir“ sowie den Deutschen Filmpreis… (Hier der erste Teil des Gesprächs!)
Eine gewisse Reife vorausgesetzt
Cristina Nord: Es gibt jede Menge Kulturveranstaltungen, da kann man als Tageszeitung die Leser unmöglich mit 15 Filmkritiken pro Woche behelligen. Ich finde es schwierig, sich bei so vielen Filmstarts einen Überblick zu verschaffen. Ich fahre zu vielen Festivals, zu den großen wie Cannes, Venedig und der Berlinale sowieso. Dort sehe ich relativ viel. Wenn ich selbst einen Film nicht gesehen habe, frage ich Kollegen, wie etwa Stefan Grissemann aus Österreich. Schwierig ist das, was relativ unbekannt ist.
Andres Veiel: Wie sind eure Kriterien? Schickst du Leute auf Verdacht ins Kino?
Nord: Das würde ich mir gerne leisten können, mit einem Sichtungshonorar. Ich weiß nicht, ob das andere Kollegen machen. Ich glaube nicht. Manchmal geht einfach etwas unter. Andere sehen auch Filme, so dass ich im Grunde nichts verpasse. Aber natürlich, am Ende muss ich immer eine Auswahl treffen. Wie macht ihr das, wenn ihr ins Kino geht?
Veiel: Weil ich in so vielen Jurys sitze, stapeln sich zu Hause die DVDs. Einem Akt der Fairness folgend, schaue ich die alle bis zu Ende, auch wenn ich bei manchen schon nach zwanzig Minuten ahne, dass da nix mehr kommt. Manche entwickeln sich aber ab Minute 40 so unerwartet, dass es unfair wäre abzubrechen. So schaue ich jeden Abend einen Film und arbeite meinen Stapel ab. Da bleibt keine Zeit fürs Kino. Nur Für den Deutschen Filmpreis versuche ich die Filme auch zu sehen, um unter den Filmen fair gewichten zu können.
RP Kahl: Ich habe nicht das Gefühl, dass das neue System beim Filmpreis für mehr Gerechtigkeit sorgt. Eher für mehr Gleichheit.
Veiel: Da stellt sich die Frage, wie fair man über die Filme überhaupt richten kann. Geht es um den Film allein oder passt einem der oder jener nicht, weil er sich irgendwo blöd verhalten hat? Das setzt eine gewisse Reife voraus.
Kahl: Was ist mit Filmen, die polarisieren? Ein Film wie meiner bekommt Einsen und Fünfen. Dazwischen finden sich wenige Reaktionen. Man findet ihn zum Kotzen oder interessant. Unterm Strich bleibt für mich die Note 2,5. Dazu die wenig ausgereifte Wild Card-Geschichte, bei der 50 Stimmen reichen, um einen Film mit schlechten Kritiken und schlechten Zuschauerzahlen mit einer Ausnahmeregel durchzudrücken, damit er die Nominierungsprämie von 250.000 Euro kassiert. Das ärgert mich. Die Definition, dass ein Film auch Publikumsrelevant sein muss, trifft hier einfach nicht zu. Ich müsste im Grunde ebenfalls nominiert sein. Ich mache Gewinn mit meinem Film. Man stelle sich vor, der große Preisträger versenkt einfach drei Millionen an Fördergeldern. In diesem ganzen Verfahren müsste einfach noch mehr um Inhalt und Form gestritten werden. Wir streiten untereinander noch viel zu wenig, denn es geht nicht nur um Regularien.
Veiel: Es gab in der Vorauswahljury eine ganz interessante Sache, zunächst wurden erst einmal Kriterien erarbeitet, also ob der Film eine neue Sicht eröffnet, sowohl formal, als auch inhaltlich. Das fand ich wirklich interessant und daran kann man die Vorauswahl messen. Deswegen kann man den gesamten Prozess auch erst kritisieren, wenn man alle Filme gesehen hat. Sonst kannst du diese Kritik nicht formulieren.
Hajo Schäfer: Ich habe glücklicherweise nach meinem Festival eine Pause. Da gucke ich gar keine deutschen Filme mehr. Ich habe dann so die Schnauze voll von Coming-Of-Age-Geschichten. Eigentlich bin ich mit französischen Filmen sozialisiert, da ich als Schüler und Student früher oft in Frankreich war.
Veiel: Dann mach doch ein anderes Festival. Wie wäre es mit Attention Paris?
Schäfer: Du hast gut Lachen, ich wäre fast Direktor eines französischen Filmfestivals geworden. Ich schaue sehr viel französischen Film, diesen Ausgleich brauche ich. Auch wenn man in Berlin dafür ins Cinema Paris fahren muss, um sie im Original zu sehen.
Nord: Das stimmt, französische Filme im Originale gibt es nicht so häufig,
Schäfer: Man muss zur Französischen Filmwoche gehen. Die haben ein ganz tolles Nachwuchsprogramm.
Nord: Aber die Französische Filmwoche zeigt auch sehr viele Arthouse-Filme die in Richtung Komödie gehen.
Andres Veiel macht darauf aufmerksam, dass bereits die nächsten Teller an den Tisch gekommen sind.