Delicatessen – Das Berliner Tischgespräch im April 2011 – Teil 2


Espresso

Espresso

Filmkritiken und ihr Einfluss auf Erfolg. „Wenn mir jemand erzählt, dass die verschiedenen Stimmen im Chor hätten zu Wort kommen sollen, das ist Bullshit.“

BFF: Damit wären wir bei der Filmkritik. Ihr alle werdet kritisiert. Festivalmacher genau so, wie Schauspieler oder Regisseure. Welchen Einfluss hat die Filmkritik noch?
Nord: Das ist sehr undurchdringlich und irrational. Vor einem Jahr kam „Der Räuber“ in die Kinos, der ein sehr positives Presseecho hatte. In der taz hatten wir auch ein langes Interview mit Regisseur Benjamin Heisenberg. Ich weiß nicht genau, wie viel Zuschauer er gehabt hat, aber es waren unter 10.000. Erstaunlich, denn über diesen Film haben wirklich alle großen Feuilletons geschrieben. Im Grunde aber denke ich, können Filmkritiker nur bei Filmen wie „Der Räuber“ etwas ausrichten. Filme wie „Avatar“ brauchen das nicht, weil der sich schon allein durch den großen Marketingetat durchsetzt. Bei „Das weiße Band“ hat das besser funktioniert, das lag nicht nur an der Goldene Palme, die der Film gewonnen hat. Es gab eine sehr breite Wahrnehmung und mit dem Nationalsozialismus eine thematische Relevanz. Das zieht ein anderes Publikum an, Leute, die sonst ins Theater gehen und nicht ins Kino.
Schäfer: Und dann gibt es solche Überraschungsfilme wie „Satte Farben vor Schwarz“ von Sophie Heldmann. Der ist weder massiv besprochen worden, noch hat er einen großen Kopienschnitt. Und dennoch läuft er die Republik rauf und runter.

Kahl: Ich denke, dass Kritik für den Zuschauer relevant ist. Für mich als Filmemacher ist sie es. Ich lese Kritiken sehr gerne.
Veiel: Wie gehst du damit um? Liest du auch Verrisse gern?
Kahl: Es gibt nur Verrisse oder super Kritiken bei „Bedways„. Daran muss man sich gewöhnen. Manchmal stimmen auch einige Punkte. Am Sonntag habe ich in der Leipziger Volkszeitung einen Verriss gelesen, den ich richtig gut fand. Der hatte Momente und war aus seiner Sicht gar nicht schlecht geschrieben.

Veiel: Ist eine Kritik fundiert begründet und ich verstehe den Ausgangspunkt, gebongt. Es gibt aber auch Journalisten, die ich anrufe und sage, wir treffen uns. Wie den Herrn mit dem Stein. Das war absurd. Er argumentierte von seinen Projektionsflächen aus, die mit meinen Figuren nichts zu tun hatten. Willst du deinen Orgasmus von vor vierzig Jahren hier noch einmal ausleben, ist das ein grundlegender Irrtum. Aus dieser Orgasmus-Erwartung den Film zu beurteilen, finde ich unfair. Solche Auseinandersetzungen finde ich spannend. Ich erfahre, dass ihm die Renaissance des Eros des Steinewerfers wichtig ist. Dann ist man auf Augenhöhe. Da kann ich erwidern: Dieses Argument ist unfair. Unpräzise. Genau und präzise und vor allem anhand des Filmes sollen Kritiken urteilen und nicht anhand von Projektionswelten. Wenn mir jemand erzählt, dass die verschiedenen Stimmen im Chor hätten zu Wort kommen sollen, das ist Bullshit. Ich will die Stimmen individualisieren. Das Klischee spricht mit einer Stimme. Wer das nicht versteht, hat nichts von meiner Arbeit, meiner Recherche verstanden.

Schäfer, Nord, Kahl und Veiel

Schäfer, Nord, Kahl und Veiel

Schäfer: Ich kann sehr oft die Standpunkte verstehen. Gerade durch die Festivalarbeit habe ich gelernt, sehr viele verschiedene Perspektiven einzunehmen. Ich habe als erstes immer eine sehr wohlwollende Perspektive gegenüber den Filmen, sonst kann man kein Festival machen. Die meisten Filme haben irgendeinen Fehler oder eine Schwierigkeit. Ich versuche immer, das Gute zu entdecken und das herauszuheben.

Christan Nord muss lachen.

Veiel: Warum lachst du?
Nord: Ich überlege gerade, ob ich als Kritikerin auch zuerst versuche, das Gute zu sehen. Oder nicht schon anders geeicht bin. Das ist, denke ich, kein abgeschlossener Prozess.
Schäfer: Bei mir auch nicht. Ich beobachte an mir, dass ich unnachgiebiger werde.
Veiel: Eigentlich müsstest du dein Programm verschlanken, weil du nicht mehr so viele Filme hast, zu denen du stehst.
Schäfer: Ich würde viele Programme verschlanken. Ich kann einfach beide Seiten verstehen. Kritiker, wie Filmemacher.
Nord: Es kommt immer drauf an, wie man es begründet. Draufhauen macht wenig Sinn. Das ist letztlich für alle, auch für die Leser, unbefriedigend.
Kahl: Die Frage ist auch, wer die Kritiken schreibt. Es gibt derzeit eine Schwemme von Leuten, die kritisieren. Dieser Horror von Amazon. Das sind keine Kritiken, wenn jeder nur seinen Daumen hoch oder runter macht.
Veiel: Das ist für mich die Demokratisierung der Kritik. Alle dürfen.
Nord: Das ist der eine Teil von dem, was im Netz passiert. Es gibt aber auch super Texte von sehr engagierten Kritiker, die eine Plattform im Netz haben, die sie bei den Printmedien nicht haben. Bei Cargo etwa gibt es diese Twitter-Nachrichten – und natürlich sind 140 Zeichen, die man zu einem Film twittert, hochgradig ungerecht. Aber trotzdem sind da tolle Sachen dabei.

Kurz vor Schluss

Kurz vor Schluss

Kahl: Bei Cargo sind das aber Leute, die ihr Handwerk verstehen. Das sind Leute die ich schätze, weil sie Ahnung haben. Aktuelles Beispiel sind für mich die Kurzkritiken für „Bedways“ auf Amazon, wo jemand aus Hintertupfingen schreibt. Das ist fast machtvoller, als die ernsten Sachen.
Veiel: Stellst du eigene Kritiken ein? (alle lachen)
Kahl: Ne. Ich habe Mitarbeiter (lacht). Aber klar, Guerilla-Marketing war für „Bedways“ total wichtig, um dem Film im Kampf gegen die großen PR-Agenturen Präsenz zu verleihen. Diese Kampagnen entwickle ich selbst, weil ich Lust habe den Film zu promoten. Zurück zu den Verrissen: Würde Michael Althen einen Verriss zu „Bedways“ schreiben, würde mir das wehtun. Das nehme ich ernst. Bei einem Journalist, der sowieso die falschen Filme gut findet, will ich nicht, dass er meinen Film mag. Da hätte ich was falsch gemacht. Ebenso, wenn jeder den Film gut finden würde.
Schäfer: Ich finde einen subjektiven Eindruck sehr wichtig, wenn er nicht so billig ist, wie du das beschrieben hast. Mich macht es immer stutzig, wenn jemand über Filme schreibt, als wäre das Gesetz. Aber das kommt auch aus der Mode. Die Filmkritik heute ist unterschiedlicher als noch vor 15 Jahren. Wenn ein Film früher nicht politisch war, ist er verrissen worden.
Veiel: Das war die Duisburger Krankheit.
Schäfer: Ich habe mich als junger Filmkritiker oft aufgeregt.
Nord: Aber war das wirklich so wirkmächtig? Es sind gerade Texte von Karsten Witte neu aufgelegt worden. Die sind super.
Schäfer: Er ist auch jemand, der über Form geschrieben hat. Den meisten anderen aus Tageszeitungen, ging es meist um die Botschaft und die Idee.
Nord: Ich habe Witte aufgeführt, weil er ja auch ein politischer Kopf war.
Schäfer: Das ist einer von den wenigen, wo sich das verbindet.
Nord: Ich bewundere an ihm, dass er sehr gut dialektisch schreiben kann. Ganz geschliffen springt es hin und her. Von dem, was ins Spiel kommt, ist sehr viel Theorie dabei. Das würde heute so sicher nicht abgenommen werden. Er hat schon damals oft beklagt, dass er Schwierigkeiten mit Redakteuren hatte. Nichtsdestotrotz ist der Raum für so eine intellektuelle Form weniger geworden. Oder ins Netz abgewandert.

Redaktion: Martin Daßinnies und Denis Demmerle
Fotos: Andreas Sohn

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