Emergeandsee in der Bötzow Brauerei
Es gibt immer Ausflüchte, warum eine weitere interdisziplinäre Fehde mit kulturellen und industriellen Brachen Berlin nicht unbedingt bereichert, sondern eher stereotypisiert. Außerdem scheint es am Zeitgeist genauso vorbei zu gehen, wie das Medium Compact Disc. Der Vorrang des Besuchers ist die Wahl. Die Wahl zwischen den Spielstätten und den Veranstaltungen. Als Gast nimmt man nicht nur ein: Man ist auch voreingenommen. So ist das Genommene für uns nach Aussen (gegenüber anderen Spielstätten) und nach Innen (der eigene Erfahrungshorizont) der Ausgangspunkt eines gründenden Kulturvorganges. Um solch einen Vorgang am Leben zu halten, bedarf es der Neugier. Eine Brauerrei als Kulturhort ist unverbraucht, denn dem Begriff haftet etwas tumbes an. Um so gespannter darf man darauf sein, wie sich vom 3. bis 5. Juni die ehemalige Bötzowbrauerei an der Prenzlauer Allee die drei Sektionen des Emergeandsee-Festivals „Film“, „Lectures“ und „Ausstellung“ zu Eigen macht.
Die 800 Quadratmeter der alten Bötzow-Brauerei versprechen reichlich Platz. In diesem Jahr liegt die Essenz „En Détail“, also auf den kleinen, jedoch bedeutsamen Aspekten der täglichen Wahrnehmung, des Schaffens und Denkens. Unter den Ausstellungen findet sich zum Beispiel der „Rotating Chair“ der Südkoreanerin Miri Shin. 20 Glasplatten rotieren. In jeder dieser Glasplatten ist ein Stück eines Stuhles eingraviert. Um den Stuhl als solches erfassen zu können, muss man von einer Glasplatte ausgehend, visuelle Verbindungen zu den Anderen suchen, um am Ende den Stuhl zu kombinieren, denn das Sehen ist in dieser Installation ausgeschlossen. Ähnlich strategisch mutet auch „Ziel, Ablenkung, Neuausrichtung“ von Annett Raatz und Franziska Gilbert an. In einer Videoinstallation dokumentieren die beiden Bewegungen einer Motte in einer lauen Sommernacht in Echtzeit, die auf der Suche nach einer Lichtquelle im wahrsten Sinne des Wortes ihr Letztes gibt. Wem das zu geplant daherkommt, dürfte bei „No Senses“ von Maria Vedder gut platziert sein. Bei ihrer Videoinstallation werden Aufnahmen von Sinnesorganen aus der Tagespresse solange gemorpht, bis am Ende etwas völlig neues, aber wie der Titel erahnen lässt, sinnloses an die Wände des denkmalgeschützten Gebäudes rieselt.
Der belgische Musiker Pieter Gyselinck bietet mit „Detailpicking in Audio“ einen interessanten Vortrag zum Sinnlosen und Sinnstiftenden. Es geht um die Intuition neue Details zu wählen, diese zu recyceln und so zum Unbekannten vorzustoßen. Dieser Vorstoß muss zuerst einmal im Innern des Musikers stattfinden:“I live in something you could call countryside. A dead end road, a bit separated from the rest of the world. And that’s perfect. It is ideal to sit back in your own therapeutic space and reflect on things going by or the feelings you have experienced in your weird interaction with the rest of the world. In my opinion, any good room or any place in the world you can call home, would fit the requirements. Education is mostly self-study, a lot of listening, not only to albums but also to the sounds going around when you are walking around or travelling into any exciting place in the world.“
Aufregend werden die Dinge meistens dann, wenn sie nicht mehr da sind. Jedenfalls ist das der Subtext von Kris Hoffmanns Kurzfilm „Screwed Up„. Kristallin und doch esoterisch gesellt sich Constantin Hartensteins „Liftin“ dazu: „Räume mit bodenlosen Körpern gefüllt.schwingende Luftwellen.kurvige Bewegungen.gleitendes ZickZack.Schwebendes Fliegen.“, erklärt die Regisseurin. Konkreter wird es schon eher bei Philipp Hartmanns „Von der Notwendigkeit, die Meere zu befahren„. Gebunden in eine essayistische Schmalfilmcollage, verbunden durch die gleiche Gegend, getrennt durch eine andere Zeit, reisen drei Menschen und produzieren dabei Bilder, Erfahrungen und Eindrücke, die andere Menschen von ihnen haben. Je tiefer diese Eindrücke sind, desto gelassener sieht man die Fragestellung des Stils. Ist man gegenüber dieser Fragestellung gar gleichgültig, kann uns ein Kunstwerk in seiner Ganzheit völlig gefangen nehmen und die Zeit wird bedeutungslos. „En Détail“ ist nur dies: Stil ist Teilen und Austausch. Das Werk kommt aus sich selbst, aber sehen wird man in der alten Bötzow-Brauerei so einiges.
Joris J.
Emergeandsee 3. bis 5. Juni, Bötzow Brauerei (Prenzlauer Allee 246), http://emergeandsee.org, das Programm zu Download