Delicatessen – Das Berliner Tischgespräch im Sommer – Teil 2


Delicatessen - Das Berliner Tischgespräch im Sommer 2011

Ziemnicki und Förster (rechts) bei Delicatessen

Ziemnicki: An der Filmhochschule sagt einem das keiner. Dort arbeitet man immer an einem Film. In diesem eigenen Kosmos gibt man 200 Prozent, alles Geld und Herzblut. Bei meinem ersten Film habe ich es so gemacht und aus dem ist leider nichts geworden. Ich stand dann plötzlich da und hatte nichts. Man muss immer parallel arbeiten. Im Idealfall erarbeiten Autoren parallel unterschiedliche Stoffe. Denn in den Produktionsphasen dauert es schier ewig, bis ein betreffender Redakteur dein Exposé von fünf Seiten gelesen hat, manchmal bis zu drei Monate.

Das Lemke-Manifest empfinde ich viel eher als ein poetisches Statement.
Wackerbarth: In den USA schreiben große Regisseure wie Scorsese eher selten Bücher. Da steht einfach eine ganze Industrie dahinter, die jährlich 15 Top-Bücher produziert, und um die dann innerhalb einer Elite gekämpft wird. Amerikanische Autorenfilmer wie Terrence Malick oder Wes Anderson brauchen genauso lang wie die Europäer.
Förster: Wenn ich auf den europäischen Kunstfilm schaue, gibt es da Ausnahmen wie Ingmar Bergman. Ich kann das aber sehr gut nachvollziehen.
Wackerbarth: Filmemacher wie Klaus Lemke oder Rudolf Thome sind ja auch vom Fernsehen abhängig. Ich finde es aber schon bewundernswert, wie die es schaffen über so einen langen Zeitraum jedes Jahr einen Film zu produzieren. Es besteht doch immer die Gefahr sich auszuruhen, zu jammern und auf die Förderentscheidungen zu warten. Ein neoliberales Manifest, wie es Klaus Lemke geschrieben hat, finde ich dennoch zu kurz gedacht. Diese Macho-Attitüde: „Nur wer wirklich will, macht es!“ Der wird überleben! Den Rest braucht kein Mensch! Ich finde das naiv. In der Filmgeschichte hat sich gezeigt, dass filmische „Wellen“ wie New British Cinema oder New Hollywood auch entstanden sind, weil zu dem jeweiligen historischen Zeitpunkt Geld für solche Filme bereit gestellt wurde.
Förster: Das Lemke-Manifest empfinde ich viel eher als ein poetisches Statement. Das sollte man sicher nicht all zu Ernst nehmen.

Delicatessen - Das Berliner Tischgespräch im Sommer 2011

Wackerbarth (vorne) fragt, ob tourende Festivals nicht wie ein Verwerter agieren.

Wackerbarth: Was würde denn passieren, wenn ein Festival wie Cannes mit seinen zehn Gewinnerfilmen um die Welt tourt?
Förster: Das folgt einer anderen Logik und entgrenzt den Eventcharakter von Festivals. Es gibt kommerzielles Kino, das funktioniert und sich rentiert, wie hier am Potsdamer Platz mit den ganzen Hollywood-Produktionen. Für mich stellt sich eher die Frage, was man daneben macht. Ob die anderen Kino-Arten nicht in anderen, neuen Modellen gedacht werden müssen.
Ziemnicki: Aber alle, auch das Arthouse- und Independentkino, reichen bei den gleichen Stellen ein, obwohl sie unter anderen Gesichtspunkten bewertet werden müssten. Das sind Strukturen, die Leuten, die mit eigenem Geld außerhalb des Systems produzieren, eher feindlich gegenüber stehen. Fängst du an und verkaufst das nachträglich, bekommst du nur die Hälfte des Budgets, das du vorher bekommen hättest.
Förster: Oder eben wie es Klaus Lemke macht, der seine Filme eigenständig produziert und meistens an den WDR verkauft, um mit dem Geld anschließend den nächsten zu produzieren. Ohne Drehbücher einzureichen. Daraus entstehen natürlich viele prekäre Arbeitsbedingungen.
Wackerbarth: Ich finde das nicht so schlimm. Man kann als Künstler nicht erwarten genauso abgesichert zu sein wie ein Staatsbeamter. Ich denke, dass Autorenfilmer sich in Zukunft selber mehr um die Vermarktung kümmern werden müssen. Wie Musikbands das ja auch schon machen. Ein Modell könnte sein, dass man selbst den Vertrieb macht und seine Filme vielleicht im Verbund mit anderen im Netz anbietet.
Ziemnicki: Sehr viele Arthousekinos projizieren schon von Blue-Ray. Das würde dafür sprechen.
Wackerbarth: Agnès Varda arbeitet genau so. Sie verkauft DVDs aus ihrem Schneideraum heraus. Ansonsten fehlt mir einfach ein politisches Statement. Es gibt zum Beispiel keine Lobby, die dafür kämpft, dass den Kinematheken statt einer vielleicht zwei Millionen zur Verfügung gestellt werden sollte. Im Vergleich zu den städtischen Theatern sind das doch nur minimale Kosten.

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