Delicatessen – Das Berliner Tischgespräch im Sommer – Teil 2


Delicatessen - Das Berliner Tischgespräch im Sommer 2011

Das Tischgespräch Delicatessen bringt Berliner Filmschaffende an einen Tisch.

Film ist in Deutschland ein Unterhaltungsmedium

BFF: Vielleicht hat sich der Film noch nicht in die alten Künste eingereiht und sucht noch nach seiner Position?
Wackerbarth: Der Film war die populäre Kunst des 20. Jahrhunderts. Ob er das noch im 21. Jahrhundert ist, bezweifle ich.
Ziemnicki: Film ist in Deutschland ein Unterhaltungsmedium. In Frankreich ist er viel tiefer im Bürgertum verwurzelt. Dort ist aber auch der politische Wille ein anderer.
Wackerbarth: In Frankreich gibt es ja Tage, an denen im Fernsehen kein Spielfilm laufen darf. Es gibt auch eine Quote für französische Filme, die 40 Prozent beträgt, glaube ich. Darüber hinaus fördern sie genauso asiatische Filme. Weil sie wissen, dass ein vielfältiges Kinoprogramm andere Sehgewohnheiten hervorbringt und das auch den eigenen Filmen helfen wird. In Deutschland wäre so etwas undenkbar. Wir leben hier in einer amerikanischen Kulturprovinz.
Ziemnicki: In Deutschland wird häufig nur geschaut, was erfolgreich ist. Die Quote im Fernsehen steht stellvertretend dafür. Dort werden die Zuschauer nicht gefordert. Serien wie „Im Angesicht des Verbrechens“ oder „KDD“ werden eingestellt oder auf spätere Programmplätze verschoben, weil die Quote nicht stimmt. Dementsprechend laufen zu 90 Prozent Mainstream und amerikanische Filme. Stünde aber nur ein amerikanischer Mainstreamfilm und daneben ein asiatischer, drei deutsche, vielleicht sogar etwas anstrengendere Filme zur Auswahl, würde ich vielleicht auch einen der anderen wählen.
Förster: Bezogen auf das öffentlich-rechtliche Fernsehen sehe ich das sofort ein. Wenn es diese Sender schon geben muss, würde es sich anbieten, dort auch interessante Sachen zu zeigen. Ich bin mir aber nicht sicher, ob man das auf den gesamten Kulturraum ausdehnen sollte. Obwohl die französische Kinolandschaft toll ist, schreckt mich so ein Protektionismus.
Ziemnicki: Bei Theater und Oper wird auch subventioniert. Darum beneidet uns Frankreich.

Die Dame vom Mesa bringt die Heißgetränke und läutet damit die letzte Runde des Juni-Tischgesprächs ein. Nach all den Diskussionen herrscht Einigkeit am Tisch und alle genießen ihren Espresso.

Delicatessen - Das Berliner Tischgespräch im Sommer 2011

Die Mesa-Köstlichkeiten sorgen fürs leibliche Wohl der Gäste.

BFF: Was erhofft ihr euch von den neuen Digitalkanälen der Öffentlich-Rechtlichen?
Wackerbarth: Finanziell nichts. Das Wiederholungshonorar für Filme im Netz beträgt nur fünf Prozent. Momentan wird viel Content akquiriert, der aber nicht angemessen bezahlt wird. Jungfilmer werden mit Preisausschreiben gelockt, umsonst Kurzfilme zu drehen, die in einem Online-Voting-Wettbewerb ausgeschrieben werden. Es bleibt das ungute Gefühl, dass es den Sendern vor allem um kostengünstige Inhalte geht. Die Gefahr besteht sicher, dass bei der Umstellung auf Internet eine Unmenge von Nischenkanälen enstehen wird, in denen anspruchsvolle Sendungen nicht mehr in einem Kontext eingebettet sind, sondern marginalisiert werden.
Ziemnicki: Es wird von den Sendern zu wenig als Chance begriffen. Da werden amerikanische Serien eingekauft, aber aus Angst, sie könnten wie die „Sopranos“ scheitern, dann auf ZDF Neo gesendet.
Förster: Die spannenden amerikanischen Fernsehserien konfrontieren natürlich auch die deutschen.
Wackerbarth: Ich würde mir eher wünschen, dass Geld in Qualität investiert wird. Eben nicht dieses kleine, trashige, das nicht zu ernst genommen werden soll. Im Gegenzug schwärmen alle von den amerikanischen Serien, die ganz andere Budgets haben.
Ziemnicki: Einzelne Folgen kosten so viel, wie hier ein gut budgetierter Kinofilm.
Wackerbarth: Und das für 40 Minuten! Diese Ausgaben siehst du dann auch – so sie in gute Hände gelegt wurden – im Cast, den Kostümen, den Büchern. Damit verglichen zu werden nervt. Deutschland träumt immer vom großen Film, dem amerikanischen Film mit Stars. Hier dagegen hat man oft kein Geld, um auf das passende Wetter zu warten. Ich würde mir wünschen, dass sich die Sehgewohnheiten an ganz anderen Sachen ausbilden. Zum Beispiel an rumänischen Filmen. Die Qualität des zeitgenössischen rumänischen Kinos hat übrigens auch mit Tradition zu tun. Diese naturalistischen Werke speisen sich aus einer großen rumänischen Theatertradition, die tolle Schauspieler hervorbringt.
Ziemnicki: Aber die haben wir hier auch. Das würde ich nicht als Begründung sehen. Vielmehr haben Fernsehmacher noch nicht verstanden, dass der Bösewicht nicht zwangsläufig der bekannteste Darsteller neben dem Kommissar sein muss.

Fotos: Jacob Steiger, mehr unter: www.jacob-steiger.com
Redaktion: Martin Daßinnies, Denis Demmerle

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