Delicatessen – Das Berliner Tischgespräch im Sommer
Wackerbarth: Sind 60 Festivals nicht viel zu viele? Da muss doch ein sozial-darwinistischer Überlebenskampf ausbrechen! Wie viele Festivals sind in der letzten Zeit in Berlin entstanden und wie viele wird es davon noch in zehn Jahren geben?
Claassen: Das waren Fragen, die wir uns vor zwei, drei Jahren, als wir unser Format zur Medienkunst hin öffneten, stellten.
Wackerbarth: Da es hier ja kaum Privatsponsoren gibt, frage ich mich, was damit politisch verfolgt wird.
Claassen: Das weiß ich nicht. Meine Erfahrung dahingehend ist, dass man bei vielen Firmen vergeblich anklopft.
Wackerbarth: Matthew Porterfield hat seinen Film „Putty Hill“ mit Hilfe von Crowdfunding realisiert (Siehe auch: „FINANZIERUNGSMODELL DER ZUKUNFT“ im blog von Revolver). Ist eine interessante Idee. In Amerika musst du deine Filme komplett privat finanzieren. Bei unserer Zeitschrift Revolver gab es nach der dritten Ausgabe auch eine finanzielle Krise. Dann hatte der Verlag der Autoren uns etwas unterstützt, aber das reichte nicht. Also riefen wir, ähnlich der taz, zum Abo auf, um so zumindest die Druckkosten bezahlen zu können.
Ziemnicki: Und womit verdient ihr eure Brötchen?
Wackerbarth: Wir sind ja alle Filmemacher und keine Journalisten, wie etwa bei Cargo. Die werden vermutlich ihr Geld verdienen, indem sie für andere Zeitungen schreiben.
Förster: Was mir am deutschen Fördersystem noch auffällt, ist wie dezentral es funktioniert. Bei „Spuren eines Dritten Kinos„, der letzten Filmreihe, die ich mitorganisiert habe, bekamen wir Geld vom Hauptstadtkulturfonds. Gleichzeitig läuft die Reihe in einem Kino, das aus einem anderen Topf gefördert wird. Das ist absurd. Ein staatlich finanziertes Kino greift für sein Programm auf staatlich finanzierte Kuratoren zurück. Dahinter steht sicherlich ein politischer Wille, doch der ist nicht klar festzumachen an einer Schaltstelle.
Wackerbarth: Das hat viele Nachteile. Jedes Förderland fliegt z.B. nach Cannes, da wäre zum Beispiel schon mal eine Menge Geld einzusparen. Vor allem, wenn man bedenkt, dass insgesamt nicht mehr als 400 Millionen zur Verfügung steht. Ich kenne keine Statistik, die zeigt, wie viel Geld an Verwaltung draufgeht. Aber es wäre interessant das mal auszurechnen.
Ziemnicki: Das ist schon ein deutsches Problem. In anderen Ländern kenne ich das so nicht. Braucht es Radio Bremen? Könnte der Saarländische Rundfunk nicht auch zum SWR gehören? Würde nicht ein Büro reichen, das den Tatort dort macht?
Wackerbarth: Absolut. Aber es hat auch Vorteile. Wirst du von einem Sender mit deinem Projekt abgelehnt, kannst du es bei einem anderen versuchen. Das Hauptproblem ist die allseits beklagte Abhängigkeit vom Fernsehen. Man braucht die Zusage vom Sender, um überhaupt Geld von den Förderungen beantragen zu dürfen. Das kleine Fernsehspiel geht noch einen Schritt weiter und will gar keine Kinoförderung mehr dabei haben.
Die Dame vom Service fragt noch einmal nach den Speisen. Gewählt wird u.a. Kräuterquark, Blattsalat, Gemüsemaultaschen, Filet vom Apfelschwein, Spargelsalat, Beerenstreusel und Schokoladenmousse. Ziemnicki amüsiert sich über die Bezeichnungen der Speisen: „Diese Namen immer… Apfelschwein. Ich habe gestern ein Filet vom Milchferkel gegessen.“
Ziemnicki: Doch, wollen sie wieder. Das war vor zwei, drei Jahren. Wollten sie bei deinem letzten Film (Anm. d. Red.: „Unten Mitte Kinn„) die Länge bestimmen?
Wackerbarth: Nein, wollten sie nicht.
Ziemnicki: Momentan geben sie 200.000 für Filme, die eine Stunde laufen. Aber sie lassen ein Hintertürchen für Filme, die 79 Minuten laufen, um die doch noch ins Kino bringen zu können. Da werden zum einen Filme nicht ins Kino gebracht, zum anderen aber auch nicht gesendet und gelagert. Es liegen 50 Filme auf Halde und obendrauf kommen die, die gerade fertig gestellt wurden und sofort gesendet werden müssen. Das ist widersprüchlich.
Wackerbarth: Mir fiel auf, dass in letzter Zeit für einige Großprojekte sehr viel Geld ausgegeben wurde, was natürlich zu Lasten vieler kleiner Filme geht. Als diese riskanten Großproduktionen künstlerisch und ökonomisch floppten, äußerte sich dazu keine Förderung selbstkritisch. Aus Selbstschutz, denn die waren ja alle mitbeteiligt und wollten sich keine Blöße geben. Da fragt man sich schon, wo eine solche Verdrängung wohl hinführen wird.
Ziemnicki: Die Frage ist doch eher, ob man beim Film nicht an einen Punkt kommen müsste, wie beim Theater, wo sich das Land Deutschland ein Subventions-Modell gönnt. Unser Film spielt zu zwei Dritteln in Polen, wo wir aber nur sieben Tage drehen durften. Sonst wäre er kein deutscher Film und wir hätten nicht die volle Förderung von FFA, DFFF, etc. bekommen. Also mussten wir in Hamburg drehen, wohin LKW-Ladungen polnischer Ausstattung hintransportiert werden mussten. Eine riesige Ausstattungscrew stand vor der Aufgabe dort die Wohnungen auf polnisch trimmen. Das wäre in Polen deutlich günstiger gewesen.
Förster: Als Wirtschaftsförderung ist diese Filmförderung wahrscheinlich nicht sehr ökonomisch.
Das größte Problem an der deutschen Filmförderung ist die Vermarktung.
Wackerbarth: Die meisten Filme sind unterfinanziert, was zu Lasten des Teams geht. Es gibt in unserem System keine Tarifverträge und die Förderanstalten fordern diese auch nicht ein, womit sie bewusst in Kauf nehmen, dass viele für zu wenig Geld arbeiten.
Ziemnicki: Wir haben auch nur 60 Prozent vom Tarif bezahlt, weil es sonst nicht gegangen wäre. Das größte Problem an der deutschen Filmförderung ist aber die Vermarktung. Unser Film hat 1,1 Millionen gekostet. Um ihn ins Kino zu bringen, stehen 40.000 Euro zur Verfügung, womit aber auch 34 Kopien bezahlt werden müssen. Bei einem Film wie „Black Swan„, der 13 Millionen Dollar gekostet hat, sind zehn Millionen nur für die Vermarktung vorgesehen. Im Grunde müsste der DFFF, der würde sich da anbieten, für jeden Film, der über eine Million kostet, die Hälfte für die Vermarktung zurücklegen.
Wackerbarth: Eine solche Vermarktung kann hier niemand leisten. Die Frage ist ja, ob das Verleihsystem nicht längst veraltet ist. In einer Zeit in der Festivals anfangen Filme selbst zu produzieren und dann als Premiere zu zeigen, könnten diese ihn doch auch gleich ins Kino bringen. Jetzt stehen noch der Weltvertrieb und der nationale Verleih dazwischen. Und die versuchen die Aufmerksamkeit von Cannes oder der Berlinale für sich zu nutzen und bringen die Filme gleich im Anschluss ins Kino.
Ziemnicki: Aber damit fahren sie an die Wand. Ich erinnere mich, 2006 startete Hans Christian Schmids „Requiem“ gleich nach der Berlinale, aber gleichzeitig mit Großproduktionen wie „Capote„. 50.000 haben den Film gesehen, dabei wäre im Herbst viel mehr Platz für so einen Film gewesen.
Hier zum zweiten Teil des Gesprächs.
Fotos by Jacob Steiger (Fotograf & Grafiker),
mehr unter: www.jacob-steiger.com