1. Kirgisisches Filmfestival

Unentdecktes Land


Filmszene: "Der erste Lehrer"

Filmszene: "Der erste Lehrer"

Manch einer muss erst einmal auf die Karte schauen, um sich zu vergewissern, wo Kirgisistan überhaupt liegt. Geographisch grenzt die seit 1991 existierende Republik an Kasachstan und China, auf der Landkarte der Kinematographie ist das Land weitaus schwerer auszumachen. Bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion war der heutige Binnenstaat Teil des riesigen kommunistischen Reiches. Diesem Umstand geschuldet, war das dortige Kino vor allem eines: russisch und auf Linie getrimmt. Erst mit der Unabhängigkeit konnten auch sozialkritische Filme produziert und gezeigt werden, entstand also eine freie Filmkunstszene. Einer der wichtigsten Regisseure dieser Zeit ist bis heute Aktan Abdylkalykov, dessen Film „Beschkempir“ („Adoptivsohn„, 1998) sogar für eine Oscar-Nominierung vorgeschlagen wurde.

Das 1. Kirgisische Festival findet in Berlin genau 70 Jahre nach der Gründung des ersten Filmstudios in Frunze, der heutigen Hauptstadt Bischkek, statt. Nach der Gründung und dem Aufbau zog es in den 50ern und 60ern viele Regisseure aus Moskau und Sankt Petersburg in die kirgisischen Filmstudios, wo eine Vielzahl von Spielfilmen, Dokumentationen und unzählige Kurzfilme entstanden, von denen zahlreiche auf dem Festival zu sehen sein werden. Die erste Ausgabe des Festivals, das vom 17. bis 23. November stattfindet, widmet sich vor allem der Geschichte des Landes, den Umbrüchen und den Lebensumständen der Menschen in Zentralasien. Der Eröffnungsfilm „Der Dieb des Lichts“ (Aktan Arym Kubat, 2010) erzählt von dem Elektriker Svet-Ake, der einem kleinen Dorf in den Weiten Kirgisistans mit viel Hingabe zu günstigem Strom verhelfen will. Herr Licht, wie er liebevoll von den Dorfbewohnern genannt wird, hat eine  kühne Vision: Er will einen riesigen Windpark schaffen, der das Dorf aus der Misere führen und für zukünftige Generationen lebenswert machen soll.

Der bereits 1966 entstandene Spielfilm „Der erste Lehrer“ von Andrej Michalkow-Kontschalowski zeigt dagegen die ganze Härte des Lebens in den Bergen des Tienschan in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Mit großem Enthusiasmus, aber auch unter großen Opfern brach die Sowjetmacht in das Leben der kirgisischen Nomaden ein. Die Kulturrevolution sprengte mit dem Kampf gegen das Analphabetentum und für die Gleichstellung der Frauen das traditionelle Gefüge der einheimischen Bevölkerung. Hinter der Durchsetzung abstrakter Dekrete stehen die Schicksale einfacher Menschen, die sich positionieren müssen und sich für das Neue und gegen die Tradition entscheiden müssen. „Pure Coolness“ (2007) erzählt die Liebesgeschichte zweier junger Menschen, die zwischen dem modernen Leben in der Stadt und dem traditionell geprägten Leben auf dem Land stehen. Ernest Abdyjaparovs Spielfilm thematisiert offen den immer noch existenten Brauch des Brautraubs, bei dem junge Frauen gegen ihren Willen mit einem fremden Mann verheiratet werden.

Neben weiteren Spielfilmen und Dokumentationen werden am Sonntag (20. November) neuere Kurzfilme gezeigt, die in komprimierter Form aktuelle Probleme wie das entbehrungsreiche Leben in der aufstrebenden Hauptstadt Bischkek („Thank You„), die Folgen des revolutionären Umsturzes („Incomplete Dreams„) aber auch allgemeingültige Aspekte wie Freundschaft („Everything is Ok„) und alltägliche Wünsche eines Kindes („Letter to Santa„) verhandeln. Es gibt also viel zu erkunden bei diesem neuen Festival. Vor allem aber gibt es viel zu lernen, denn wie in jedem Lebensbereich gilt es unbekanntes Terrain zu entdecken und blinde Flecken zu ergründen.

Martin Daßinnies

1. Kirgisisches Festival, 17. bis 23. November, Orte: Fincan (Altenbraker Str. 26), Laika (Emser Str. 131), www.kyrgyzfilmfestival.com