74. Berlinale: Encounters-Gewinner DIRECT ACTION von Guillaume Cailleau und Ben Russell


DIRECT ACTION © CASKFILMS
DIRECT ACTION © CASKFILMS

Der Alltag der Aktivist*innen

Ein Hammerschlag, zwei Hammerschläge, die Wand gibt nach, repeat. Mit dem dynamischen Mauerdurchbruch entsteht eine Art Fenster und dann ein unverstellter Blick auf eine junge, lachende Frau. Auch ihre anderen Arbeitskolleg*innen sind motiviert, fröhlich. Was ein Gefühl, diesen alten Ballast niederzureißen! Es ist ein wunderbarer und befreiender Moment in DIRECT ACTION, dem dreieinhalbstündigen Dokumentarfilm von Guillaume Cailleau und Ben Russell, der bei der Preisverleihung am 24. Februar als Bester Film im Encounters-Wettbewerb ausgezeichnet wurde (und ein Special Mention als Bester Dokumentarfilm erhielt), der eigentlich sinnbildlich sein könnte, es aber dann doch nicht ist.

Denn die meisten Szenen in DIRECT ACTION – eigentlich der aktivistische Begriff für eine unmittelbare Protesttaktik, die aus einer konkreten Handlung besteht, die direkt politisch interveniert – zeigen konzentrierte Arbeit, oft allein, manchmal im Team, und meistens sehr ernsthaft. Diese Arbeit dokumentiert das Regie-Duo aus nächster Nähe (was allein schon eine Errungenschaft ist); es ist ein teilnehmendes Beobachten, auf 16mm-Film gedreht. Regisseur Guillaume Cailleau ist auch selbst einmal beim Hantieren von Küchengeräten zu sehen.

Es ist keine Beobachtung irgendeines alternativen Wohnprojektes, sondern eine Annäherung an die Aktivist*innen der zeitweise als „Ökoterroristen“ bezeichneten und von der französischen Regierung „aufgelösten“ Umweltschutzgruppe „Les Soulèvements de la Terre“, die sich gegen die Privatisierung von öffentlichen Ressourcen wie Wasser engagiert. Die Mitglieder von „Les Soulèvements de la Terre“ setzen sich größtenteils aus ehemaligen ZAD-Aktivist*innen(zone à defendre) zusammen, die über Jahre in Frankreich ein Gebiet in der Nähe von Nantes erfolgreich vor der Flughafenerschließung verteidigten, es von 2012 bis 2018 besetzten, schließlich geräumt wurden – um 2021 dann eine neue Umweltbewegung ins Leben zu rufen. So wohnen, leben und arbeiten sie also heute (bzw. im Drehzeitraum 2022-2023).

Der Lebensentwurf des Kollektivs erschöpft sich, das zeigt der Film deutlich, eben nicht im Protest gegen Autoritäten, sondern richtet sich nach anderen Idealen aus, zu denen DYI, Reparatur statt Konsum, ökologische Landwirtschaft ohne große Gerätschaften etc. gehören. Und so sehen wir in circa 20 verschiedenen und sehr langen Einstellungen Menschen vor allem Arbeit verrichten, meistens mit Blick auf die Hände und das Umfeld. Gesichter sind nicht so wesentlich, schließlich geht es hier um das Prinzip, und das Kollektiv. Diese konzentrierte Ästhetik entfaltet bisweilen eine geradezu hypnotische Wirkung, vor allem, wenn etwas bei der Beobachtung entsteht: Ein Blech, auf dem ein großer Teig ins Leben geknetet wird; eine Holzsägeanlage, mit der Bretter gefertigt werden; zwei Männer, die mit einem Ackergaul ein Feld pflügen; sechs Backplatten, auf denen im Akkord Galettes gebacken werden.

Damit das Ganze nicht ins Romantisierende und Idealisierende kippt, bekommen auch die eher zermürbenden alltäglichen Handgriffe Screentime: Eine Frau feilt beispielsweise über 10 Minuten eine Motorsäge wieder scharf. Zwischendrin bekommen die Zuschauer*innen Einblicke in das Erlernte: In einer der schönsten Szenen liest eine Aktivistin Befragungstaktiken der Polizei vor, und krault danach einem zufrieden grunzenden Schwein das Ohr. Auch die Kultur bekommt ihre Bilder: Ein Konzert, ein herrliches, improvisiertes Klavierspiel und eine Tonaufnahme eines Rapsongs in einem Studio, der sich gegen den Anpassungszwang an gesellschaftliche Normalitätsnormen richtet (aber auch diese Aufnahme zeigt Kultur vor allem als: Arbeit).

Die Gesichter bleiben aber erst für und an sich länger im Bild, als die Action Directe näher rückt: Im kleinen Kreis besprechen die Aktivist*innen, wie der Schlachtplan für den 25. März 2023 nähe Sainte-Soline aussieht. Ein Dorf beherbergt sie, 50 Bauern kommen als Unterstützer*innen mit den Traktoren. Es werden Tausende erwartet. Gemeinsam wollen sie gegen die Privatisierung des Wassers in Form von Wasserreservoirs protestieren, die Wasserknappheit intensivieren. Der dann folgende Protesttag – die Schwaden von Tränengas, die wie eine Wand vor den Protestierenden steht, das Steinewerfen, aber auch die Hilfsbereitschaft, mit der sich die Aktivist*innen unterstützen – ist der Kulminationspunkt von DIRECT ACTION. Hier vervollständigt sich das Lebenskonzept, der Lebenssinn, auch wenn es innerhalb der Aktivist*innenszene unterschiedliche Meinungen dazu gibt, ob man mit Gewalt gegen die Staatsgewalt („Tout le monde déteste la police“) vorgehen sollte. Und im Anschluss zupft ein Mann zärtlich im Beet liegend Unkraut aus der Erde.

Es verwundert, dass DIRECT ACTION nicht mit diesem Bild abschließt, sondern am Ende ein wortreiches Gespräch zwischen Aktivistinnen und Journalist*innen anfügt, das so gar nicht zu seiner Zurückgenommenheit auf der Tonebene passen möchte. Hier erklären sie die Zusammenhänge zwischen der alten ZAD und der neuen Bewegung, dem Zusammenspiel mit Klimakrise und den jungen Klimaaktivist*innen in so vielen wirren Worten, dass die klare Bildsprache der vorangegangenen dreieinhalb Stunden geradezu kompromittiert wird. Die Verbindung zwischen diesen „Welten“ ist lediglich der Ernst der drei Aktivistinnen.

Es ist dieser Ernst und die oft solitär wirkenden Handlungen, mit denen DIRECT ACTION dann leider nach Filmende doch gemischte Gefühle produziert. Denn es ist ja schön und gut, dass es keine Klischeebilder von polyamoren Kommunenbetten gibt, keine Verkehrung von privaten Hedonismen in politische (sexuelle) Aufklärung, idealisierte kollektive Feiermomente und dennoch: Wo bleibt in diesem Gegenentwurf zum kalten Kapitalismus mit seinen menschenverachtenden Ausbeutungsverhältnissen, in Eigentum zementierten Hierarchien und Marxscher Entfremdung denn die Berührung, die Freude, das Zusammensein, die Gemeinschaft? DIRECT ACTION ist ein unglaublich toll gemachter und fotografierter Film, aber es fehlt die Wärme, die den porträtierten Lebensentwurf wirklich sympathisch machen oder gar in ein attraktives Lebensmodell zum Nach- und Mitmachen transformieren würde. Es ist schade darum.