Festivalbericht: Around The World in 14 Films

Hüter des Grotesken - zwischen Clowns, Sheriffs und Neonazis


Alina Levshin als Marisa in "Kriegerin"

Alina Levshin als Marisa in "Kriegerin"

Und da wir gerade dabei sind: Wenn zwischen Kiel und München acht aus der Türkei und ein aus Griechenland stammender Gewerbetreibender ermordert werden, konzentrieren polizeiliche Ermittlungen ihre Fahndungsbemühungen auf wen? Auf das Milieu der Ermordeten, auf deren Clans und Mafia. Wird eine Polizistin erschossen, sucht die Staatsanwaltschaft mit Billigung des Justizministers von Baden-Würtemberg jahrelang wo: „In mobilen sozialen Gruppen wie Sinti und Roma„. Bringt ein Zufall dann ans Licht, dass die Mörder Neonazis waren, ist das politische Geschrei um so größer. David Wnendt hätte, das muss man zynisch sagen, sich kein besseres politisches Klima wünschen können, um seine „Kriegerin“ auf das Publikum loszulassen.

Die Geschichte zweier junger rechtsextremer Frauen stellt angesichts halbgarer Charakterstudien, wenig überzeugenden Nachstellungen der deutsch-deutschen Geschichte und didaktischem Quatsch ein Kleinod des deutschen Kinos dar. Jedoch hat auch er einige Schönheitsfehler. Weibliche Neonazis, wenn sie denn aus dem Osten Deutschlands kommen, heißen nicht Marisa und Svenja. Sie heißen Nadine, Heike, Mandy oder Peggy. Im Schnitt werden sie auch wohl Gedrehte anstatt Filterzigaretten rauchen. Die Stärke des Films liegt jedoch darin, ostdeutsche Zwangscharaktäre aufzuzeigen und vorzuführen. So ist Svenjas Stiefvater ein widerlicher Sadist und ihre Mutter lässt ihre Tochter bei der gemeinsamen Zigarette wissen, dass die Schwangerschaft mit ihr „die Hölle auf Erden“ war. Marisas Mutter wurde als Kind und Jugendliche von ihrem Vater schwer misshandelt, verinnerlichte dennoch sein Landserweltbild, welches dann bei ihrer Tochter wieder an die Oberfläche gelangte.

Kriegerin“ macht vor allem eines deutlich: das Neonaziproblem in Ostdeutschland hat nicht in erster Linie wirtschaftliche Ursachen. Das Wehleiden um die eigene Arbeits- und Perspektivlosigkeit wird als Taschenspielertrick entlarvt, um Zivlisationsresistenz, Unmenschlichkeit und Mordlust zu kaschieren. Ertragende Demütigungen werden an den Nächstschwächeren weitergegeben. Ein Circulus vitiosus, der irgendwo zwischen Ficken und Zerwichsen jedes Individuum entkernen muss und als einzigen Zufluchtsort ein widerliches Wir-Gefühl, die Kameradschaft anbietet. Überspitzt könnte man sagen, dass die DDR einfach das National aus dem Nationalsozialismus strich und die Symbole entsprechend änderte.  So stellt Marisas soziale Ankunft in der Zivilisation auch ihren biologischen Tod da. David Wnendts Regiedebut kann sich sehen lassen, weil er bei einem dermaßen ekelhaften Thema über die Schablone hinausgeht und die Stadien der Entmenschlichung und die der Menschwerdung dramaturgisch hervorragend aufzeigt. Von einer harten Mileustudie über autoritäre Charaktere kam man als Besucher am letzten Tag zu einem autoritären Regime. „Goodbye“ von Mohammad Rasoulof schafft ein Abbild der Lebenssituation einer politisch geächteten Frau im heutigen Teheran.

"Goodbye" gewann 2011 in Cannes die Sektion Un Certain Regard

"Goodbye" gewann 2011 in Cannes die Sektion Un Certain Regard

Vom Auftritt der Staatsbeamten in der eigenen Wohnung bis zum Entfernen des Nagellacks, ehe man vor Justizbehörden erscheinen darf: Die Unmöglichkeiten und tagtäglichen Kränkungen, die eine berufstätige Frau erdulden muss, werden transparent dargestellt und mit Stilelementen des französischen Film Noir garniert. Dass die Geschichte einer jungen Anwältin aus Teheran, die versucht, ein Visum für Europa zu bekommen, um den Repressalien in ihrem Land zu entkommen und bei der einer der Hauptfiguren den Satz „Die, die sich für die Menschenrechte einsetzen, haben hier nichts als Schwierigkeiten.“ in den Mund gelegt wird, überhaupt entstehen konnte, grenzt an ein Wunder. Around The World in 14 Films war ein Festival, das mit 14 Filmen aus aller Welt als Leitfaden einen Henkersknoten aus alltäglichem Horror und Horror als Alltag geflochten hat, bei der die Besucher im Foyer warm empfangen wurden, stets eine kurze rhetorische Begrüßung als Henkersmahlzeit erhielten und anschließend mit sehenswerten Filmen auf das Schafott geführt wurden.

Joris J.

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