Wir blicken zurück auf das Jahr 2011

Zweiter Teil: Jahresbilanz 2011


Filmszene: "Brautalarm"

Filmszene: "Brautalarm"

Im Großen wie im Kleinen, politisch wie kulturell. In Berlin und in der gesamten Welt: 2011 war ein stürmisches Jahr, weit mehr als nur für die Filmbranche. In diesem Sinn blicken wir auf ein Jahr voller Eindrücke zurück. Im Zweiten Teil unserer Bilanz geht es um den schwächelnden Deutschen Film, überraschende Kritikerlieblinge, Nuancen der Filmlandschaft und um geschlossene Kinos.

"Obszöne Bräute und Sozialkritik"

"Obszöne Bräute und Sozialkritik"

OBSZÖNE BRÄUTE UND SOZIALKRITIK von Marie Ketzscher

Anfang 2011 habe ich meinen Filmkompass neu justiert. Alles sollte anders werden: mehr Programmkino, weniger Heimkino, mehr Popcornduft und Experimente. Dann guckte ich unversehens wieder eine romantische Liebeskomödie und gähnte mich durch den Publikumsliebling „Black Swan“ (Darren Aronofsky). Mitte des Jahres hatte ich dann endlich einen neuen, persönlichen Niveaulimborekord aufgestellt und wollte gerade noch einen drauflegen, da stieß ich mir die Nase an „Brautalarm„. Es riss mich jäh hoch im Kinosessel, kein Auge blieb trocken und die Begeisterung wollte gar nicht mehr weichen. Was da auf dem Filmplakat so albern im pinken Brautkleid daherkommt, sollte am Ende seiner rund 120 Minuten zu meinem Highlight 2011 geworden sein. Das „Rotten-Tomatoes“-Tomatometer zeigt an, dass ich damit nicht allein bin. Puh.

Dabei hat Paul Feigs „Brautalarm“ eigentlich alles, um nicht nur grandios an den blank polierten Brillen der Kritiker zu scheitern: Eine Hochzeit, Frauengespräche, Zuckerschock-Muffins und die ewige Suche nach Mister Right. Aber da gibt es halt auch noch das fiese, brillant geschriebene Drehbruch, das ständig mit den Erwartungen bricht. Symptomatisch für solche Brüche ist beispielsweise die Anprobe der Hochzeitskleider, die mit einem diarrhöe-bedingten kollektiven Klogang endet und dabei Erinnerungen an Blöddel-Filme wie „Dumm und Dümmer“ oder „The Hangover“ weckt. Darüber hinaus torpediert „Brautalarm“ weithin verbreitete Gender-Mythen und erobert dabei vor allem die vermeintliche Männerenklave der Obszönität auf eine herrlich unelegante und humorvolle Art und Weise. In verschiedenen Blogs und Reviews wurde „Brautalarm“ bereits als der ultimative Female-Buddy-Film gefeiert. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Nachfolge-Filme auch noch von ihrer Fixierung auf Hochzeit und Happy End verabschieden.

Dank den Berliner-Filmfestivals.de hat sich mein Filmjahr 2011 dann aber doch nicht nur auf dreckige Witze beschränkt: Das One World Filmfestival hat mich unter anderem darin bestärkt, weitaus mehr Dokumentarfilme zu gucken. Dabei spielt für mich der Unterschied zwischen ästhetisierenden Dokumentationen und dokumentarischen Experimenten gar keine so große Rolle; mich begeistert eine gute Geschichte genauso sehr wie eine bewusste, politische Haltung. Im Heimkino bin ich 2011 deshalb in die zwei – bis dreistündigen Momentaufnahmen des Filmers Frederick Wiseman eingetaucht. Am Beispiel verschiedener, gesellschaftlicher Institutionen, wie sie zum Beispiel in seinen Filmen „Public Housing“ oder „Domestic Violence“ beleuchtet werden, sind sowohl Resignation als auch Engagement verständlich, erhalten sowohl Schönheit als auch Grausamkeit ihren eigenen Platz. Wenn ich einen Wiseman-Film sehe, begreife ich ein bisschen besser, was die schöne Phrase „soziale Verantwortung“ bedeutet.

Ausklingen lassen habe ich mein Filmjahr 2011 dennoch mit einem Beziehungsstreifen, dem hoch gelobten „Gott des Gemetzels“ (Roman Polanski). Eindringlich gespielt, hervorragend in Szene gesetzt und trotzdem fehlt mir die Intensität eines Kammerspiels auf allerengsten Raum, die für mich immer am stärksten auf der Theaterbühne zu spüren ist. Aber solche Nuancen kann ein Filmkompass nun wirklich nicht erhaschen.

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