Wir blicken zurück auf das Jahr 2011

Zweiter Teil: Jahresbilanz 2011


"Gefragt ist der Zuschauer"

"Gefragt ist der Zuschauer"

GEFRAGT IST DER ZUSCHAUER von Martin Daßinnies

Und wieder ist ein Kino von dieser Welt gegangen. Die Kurbel, 1934 eröffnet, war eines der ersten Kinos, das nach dem Zweiten Weltkrieg in Berlin seinen Betrieb wieder aufnahm. Mit dem Klassiker „Vom Winde verweht„, der dort ab 1953 ganze 28 Monate lang gezeigt wurde, verabschiedete sich das Lichtspielhaus Ende Dezember nun vom Spielbetrieb. Die Diskussionen, die in den vergangen Monaten um die Kurbel geführt wurden, wirken dennoch latent scheinheilig, denn, so leid es einem um solch ein Traditionshaus auch tut, andere Programmkinos stecken in der gleichen Misere. Oder sie wurden bereits geschlossen, ohne, dass sich ein Dieter Kosslick oder Wim Wenders demonstrativ für ihren Erhalt einsetzten. Im Broadway Kino am Ku´damm  gingen, fast unkommentiert von der Öffentlichkeit, die Lichter bereits im Juni aus.

Nun kann viel darüber spekuliert werden, welche strukturellen Regelungen greifen könnten, um den Bestand an Programmkinos in Berlin zu sichern. Politisch ist da sehr viel möglich, öffentliche Gelder müssten nur an den richtigen Stellen fließen. Ein gelungenes Beispiel dafür, wie man ein Kino grundfinanziert, damit es auch – und gerade – Spartenprogramme bedienen kann, ist das Babylon Mitte. (siehe Berliner Tischgespräch im September) In ihm versammelt sich knapp die Hälfte aller in Berlin stattfindenden Filmfestivals. Als Premierenkino ist es nicht minder beliebt, es finden Konzerte und Lesungen statt. Als Zuschauer wird es einem hier leicht gemacht. Aus den Facetten des Programms muss man sich nur etwas herausgreifen, das Angebot ist breitgefächert und hält immer etwas bereit. Den Betreiber stört es letztlich nicht, wenn ein Programmpunkt auch mal nur wenige Interessierte anzieht. Im Babylon dreht sich dank Senats-Unterstützung nicht immer alles um Wirtschaftlichkeit. Andere Programmkinos kennen diesen Luxus nicht. Mit schwachen Besucherzahlen macht man nun mal keinen Umsatz. So einfach ist das. Das sah jetzt auch der letzte Betreiber der Kurbel so. (siehe Bericht vom Tagesspiegel)

Letztlich geht es aber nicht immer nur darum, wie, wo und wann welche Gelder substanzsichernd verteilt werden. Es liegt auch – und vor allem – am Zuschauer selbst, Angebote wahrzunehmen. Die Kurbel beherbergte im vergangenen Frühjahr die erste Ausgabe des exzellent kuratierten Filmfestivals Musik-Film-Marathon, das leider, gemessen an Besucherzahlen, nur mäßigen Erfolg verbuchen konnte. Das Asian Film Festival gastierte in diesem Jahr im Haus der Kulturen der Welt, mit einem guten Zuschauerschnitt, der aber in Anbetracht des bemerkenswert guten Programms durchaus hätte besser ausfallen müssen. Das Cinema Italia! hatte im Babylon einen sehr guten Zuschauerschnitt, im Rollberg Kino blieben die Sitzreihen leer. Ebenso beim achtung berlin-Festival – volle Säle im Babylon und im Kino am Friedrichshain, mäßige Besucherzahlen dagegen im Passage Kino in Neukölln. Überspitzt  formuliert kann man konstatieren: Zuschauerballung in der Mitte, zunehmende Fransenbildung am Rand. Nein, es liegt aber nicht nur daran, dass der Mitte-Bewohner um sein artifizielles Bildungsbedürfnis weiß. In Kreuzberg zeigt das Moviemento seit Jahren – zunehmend auch im Filmfestivalbereich – wie man sich sein eigenes Publikum mit einer geschickten Programmierung heran- und erzieht.

Gefragt sind für die kommenden Jahre darum nicht nur Lösungsansätze, die der Politik ein Versprechen abringen. Es sind neben den Kinobetreibern vor allem die Zuschauer selbst, die den Kinosaal immer wieder aufs Neue für sich als wichtigen Lebens(mittel)punkt entdecken müssen. Auch wenn es der am anderen Ende der Stadt sein sollte.

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