Berlin Documentary Forum 2 im Haus der Kulturen der Welt

Versammelte Indizien


Filmszene: “A Blind Spot”  von Hassan Khan, 2010; © Hassan Khan und Galerie Chantal Crousel Paris

Filmszene: “A Blind Spot” von Hassan Khan, 2010; © Hassan Khan und Galerie Chantal Crousel Paris

Flaniert man dieser Tage durch das frühsommerliche Berlin, fallen mindestens drei Plakatierungen ins Auge: dOCUMENTA 13, eine Seeed-Konzertankündigung, angesetzt für einen Zeitpunkt, der sich 1,5 Jahre in der Zukunft befindet – und die blutroten, schwarzdurchästelten Anschläge für das zweite Berlin Documtentary Forum im Haus der Kulturen der Welt vom 31. Mai bis 3. Juni.

Wie bereits im Titel zu vermuten, steht die Auseinandersetzung mit dokumentarischen Arbeiten unterschiedlicher Disziplinen im Vordergrund des viertägigen Festivals. Mit Perspektiven aus Kulturwissenschaft, Philosophie sowie verschiedener künstlerischer Genres wird das kritische Potenzial dokumentarischer Kunst im Gegensatz zur massenhaften Produktion und Verbreitung herkömmlicher dokumentarischer Bilder betont und in Form unterschiedlichster Praktiken bearbeitet und vorgestellt – fachübergreifend, dialektisch und vor allem performativ. So untersucht der libanesische Künstler Rabih Mroué in seiner Perfomance „The Pixelated Revolution“ die Rolle von Social Media im aktuellen Kontext der syrischen Aufstände. Bei Eszter Salamons „Meldodrama“ handelt es sich hingegen um eine „dokumentarische Performance“, die auf dem Reenactment einer Biografie beruht. 2006 und 2012 führte die Tänzerin und Choreografin in einem Dorf im Süden Ungarns Interviews mit der gleichnamigen Eszter Salamon, um anschließend die Lebensgeschichte der 62-jährigen zur Musik von Terre Thaemlitz zu reinszenieren.

Besonderer Schwerpunkt des Berlin Documentary Forum ist die dreiteilige Veranstaltungsreige „Framing Death“, in welcher der Kulturtheoretiker Sylvère Lotringer Darstellungen und Umgangsweisen mit dem Tod untersucht. Verbrechen, Krankheit, Bilder aus dem Polizeiarchiv – Lotringers Konzept einer Sichtbarmachung des Todes dürfte sowohl deutlicher Veranstaltungshinweis, als auch deutliche Überprüfung der eigenen thematischen Grenzbereiche sein. Zu den neuen Produktionen im Rahmen des Festivals gehört „Disquieting Nature“. Gemeinsam mit dem Komponisten William Tatge entwickelte die Künstlerin Christine Meisner die Idee eines „abstrakten Blues“. Ihren Ausgangspunkt bildeten die ersten Blues-Songs des Mississippi Delta, die von der Geschichte schwarzer Landarbeiter handeln. „Disquieting Nature“ wird hier als Videoscreening und Live-Konzert mit fünf Musikern aufgeführt. Durchgängig zu betrachten im Westgarten des KHW ist die Videoinstallation des Künstlers Melik Ohanian. In „Days, I see what I saw and what I will see“,  einer Doppelprojektion von Tag- und Nachtansichten aus einem Arbeiterlager in den Vereinigten Arabischen Emiraten, sind Straßen und Bewohner des Lagers in einer einzigen langen Kamerafahrt porträtiert.
Mutmaßlich auflockernder: „Heiligabend auf St. Pauli“ (Klaus Wildenhahn, BRD 1968) ist das kondensierte Portrait einer zehnstündigen, süffigen Hafennacht. Filmvorführung und Gespräch werden unter anderem von Harun Farocki begleitet, der als Vortragender im Fortlauf des Festivals des öfteren in Erscheinung treten wird.

Erwähnt sei letztlich auch der Programmpunkt „Über Kontinuität“ – die drei Filmvorführungen von „Der lachende Mann – Bekenntnisse eines Mörders“ (Walter Heynowski/Gerhard Scheumann, DDR 1966), „Unser Nazi“ (Robert Kramer, Frankreich/BRD 1984) und „Tod und Teufel“ (Peter Nestler, Deutschland 2009) dienen als Ausgangsbasis für eine gemeinsame Diskussion zwischen Florian Schneider und Thomas Heise, in welcher die Kollision aus Vergangenheit und Gegenwart als konfrontierendes Moment thematisiert werden soll. Nicht zu vergessen: Live-Performances, Vorträge und Aufführungen mit internationalen Künstlern, Filmemachern, Kulturhistorikern und Theoretikern werden durch die Ausstellung „A Blind Spot“ sowie dem experimentellen Online-Projekt „issue zero“ ergänzt.

Carolin Weidner

UNSER AUDIO-INTERVIEW MIT FILMEMACHER BEN RUSSELL

Berlin Documentary Forum 2, 31. Mai bis 3. Juni, Haus der Kulturen der Welt, Programm unter www.hkw.de