Hands on Fassbinder

Die Fassbinder Konferenzen


Regisseur Rainer Werner Fassbinder (links) bei Dreharbeiten 1980. (© AP)

Regisseur Rainer Werner Fassbinder (links) bei Dreharbeiten 1980. (© AP)

Der deutsche Film ist ein Sorgenkind. Nicht ein Sorgenkind im klassischen Sinne, dass sich gerne schmutzig macht und etwas gewalttätiger und rücksichtsloses mit seinen Mitmenschen umgeht, als vielleicht angebracht ist, sondern es ist auf so merkwürdige Weise Ich und bewusstlos. Es sammelt eine Verbundenheit, zu der man weder Vernunft noch Liebe und Begabung braucht und findet diese in der symbiotischen Beziehung, in dem Sich-eins-Fühlen mit anderen auf der Basis der Verschmelzung – der Vernichtung der eigenen Integrität. Die Affinität zu kitschiger Sentimentalität macht sich in seiner Begeisterung für Milchbubbigesichter, plattesten Alltagsschund und kleinkarierter Romantik ebenso bemerkbar, wie in seiner Unfähigkeit brauch- und vor allem anschaubares Genrekino zu generieren. Diese unausstehbare Softness seiner Protagonisten macht eigentlich nur deutlich, dass der typisch deutsche Michel mittlerweile weniger anal sondern vielmehr oral oder phallisch-narzißtisch fixiert zu sein scheint. Stets bietet er dem Zuschauer Gestalten und keine Personen an. Sicher, der Mensch ist ein symbolisches Wesen, das in (s)einer symbolischen Welt lebt. Vor allem durch die zunehmende Individualisierung bestimmt Selbstidentifikation unseren Alltag.

Stets wird sie dann thematisiert, wenn ihre Bestimmung problematisch ist. Problematisch war Rainer Werner Fassbinder als Mensch mit Sicherheit und auch wenn seine Filme als bedeutend gelten und mittlerweile als musealer Linkskitsch gehandelt werden, lassen sie den Zuschauer auch heute noch – 30 Jahre nach seinem Tod – nicht kalt. Sein Ouevre ist einfach zu derb, zu verschroben, zu sinister um wirklich Staub abzubekommen. „Hands on Fassbinder“ ist keine Retrospektive. Vielmehr diskutieren zwischen Mai und November 2012 anhand von sechs Schwerpunkten annähernd 50 Gäste aus dem In- und Ausland über Themen wie Politik, Geld, Nationalgeschichte, Gesellschaft, Sexualität und deren filmische Umsetzung. Eingeladen sind Filmschaffende, Schriftsteller, Filmwissenschaftler, Journalisten, Weggefährten Fassbinders, Theatermacher und Musiker. Mittels eines offenen, „porösen“ Ansatzes werden thematische Stichproben aus dem Gesamtwerk entnommen, um sie nach ihren inspirativen Potentialen zu untersuchen. Ein umfangreiches Filmprogramm im Zeughauskino wird diese Gespräche begleiten. Gezeigt werden um die 30 Filme von Rainer Werner Fassbinder und als Eröffnungsfilm darf man sich auf „Welt am Draht“ freuen.

Ursprünglich angelegt als zweiteiligen Fernsehfilm verfilmte Rainer Werner Fassbinder 1973 den 1964 erschienenen Roman „Simulacron-3“ von Daniel Francis Galouye. In dieser Welt wird mittels eines Hochleistungsrechners das Leben einer kompletten Kleinstadt simuliert, um daraus allgemein ökonomische und besonders wettbewerbsfördernde Erkenntnisse zu gewinnen. Als ein Sicherheitsmitarbeiter verschwindet, begibt sich der Leitungsassistent Stiller in die Computersimulation. Er begegnet nicht nur einer täuschend echten Simulation des Verschwundenen, sondern auch der „Simulationseinheit“ Einstein, die keinen größeren Wunsch hegt, als sich ebenfalls durch die Telefonzelle in die reale Welt zu transferieren. Durch einen Trick gelingt dies Einstein schließlich. Aber die dargestellte reale Welt im Film ist ebenfalls nur eine Zwischenstation. Einstein möchte noch eine Etage höher. Stiller erkennt durch ihn, dass er selbst sich ebenfalls nur in einer Computersimulation befindet. Grundelement der Darstellung des Fremden im Film ist „das andere Aussehen“. Dazu gehört meistens die Darstellung einer anderen Haut- und Haarfarbe, anderer Körper und Gesichtsproportionen als derjenigen, die der Zuschauer für das „Standardaussehen“ seines Kulturkreises hält. Fassbinder wendet in diesem Film den einfachen wie genialen Trick an, dem standardisierten Charakter einen standarisierten Charakter gegenüberzustellen. Weiß bekämpft Weiß und nicht Schwarz.

Joris J.

Hands on Fassbinder, 11. Mai bis 30. November, Zeughauskino, Collegium Hungaricum Berlin (Dorotheenstraße 12), Programm unter www.handsonfassbinder.de