Kostümfilme im Zeughauskino
Schmalz
In Großbritannien heißen sie neutral „period piece“ oder „period drama“, bei uns nennt man sie Kostümfilme. Gekennzeichnet sind sie im Schnitt durch besessene Detailtreue – und bemühen sich doch den großen dramaturgischen Bogen nicht aus den Augen zu verlieren. Mit Abgrundgestalten gespickt, sorgen sie dafür, dass der geneigte Zuschauer nicht gähnend im Kinosessel versinkt. Die räumliche Situierung bildet den ersten Baustein in diesem Genre. Erst dann entscheidet sich, ob es um den Versuch einer bloßen historischen Abbildung oder um eine narrative und ästhetische Auseinandersetzung mit der Geschichte als solche handelt. Die Mittel der einzelnen Streifen sind unabhängig von ihrer entgültigen Qualität: prächtige Kostüme und Kulissen, im Schnitt historisch bekannte Handlungselemente, die mit fiktiv-privaten Erlebnissen der Charaktere vermischt werden. Die Dramaturgie entspricht nicht selten der des Melodrams. Vielleicht ist sie die vollendete Form der Selbstdarstellung. Das jede Selbstdarstellung auf Ahmung beruhen muss, ist zunächst nicht zu erkennen, denn wo nicht geahmt wird , wird auch nichts dargestellt. Die Ahmung kann mißlingen, sie kann übertrieben, falsch oder unzulänglich sein, aber sie muss da sein und sich zeigen. Sich zeigen lassen kann der geneigte Besucher vom 9. Juni bis 31. Juli im Deutschen Historischen Museum, denn ab da setzt die Reihe „Kostümfilme“ im Zeughauskino ein.
Eröffnet wird die Reihe durch Alexander Kordas „Das Privatleben von Henry VIII.“ (1933). Die Tragikkomödie spult Ehe für Ehe des Scheusals Heinrich VIII. ab. Unterbrochen werden die einzelnen Etappen dabei durch den Gang zum Schafott der einzelnen Ehefrauen. Die Transsubstantiation Heinrichs gelingt am Ende, doch bis dahin fehlt es ihm an Distanz. Sei es nun von Mensch zu Mensch, von Mensch zu Ding und von Ding zu Ding – alle Bewegungen, die dazu gehören eine Distanz zu wahren, sind ihm fremd. Erst am Ende ahnt er langsam, dass Distanzen etwas Lebendiges haben, denn sie zeigen auf, dass der Mensch nicht dort endet, wo die Epidermis den Körper begrenzt. Einige Tage später kommt der wohl bekannteste Schmachtfetzen des 20.Jahrhunderts noch einmal auf die Leinwand: „Vom Winde verweht“ (1939).
Einige „Zu spät“ durchziehen diesen Film wie einen roten Faden. Es wird zu spät erkannt, es wird zu spät wirklich geliebt und gefühlt. Victor Fleming schildert die Geschichte der Familie O’Hara und einiger anderer Großgrundbesitzerfamilien der halbfeudalen Gesellschaft der Südstaaten mit ihrer Sklavenhaltermentalität während und nach dem amerikanischen Bürgerkrieg – eine Geschichte des Niedergangs, des Schreckens, des Leides, über die nur wenig Positives zu vermelden ist. Eine Geschichte, in der der Niedergang des alten Südens verwoben ist mit den ganz persönlichen Schicksalen ihrer Protagonisten. Die Eröffnunssequenz zeigt uns die galante, naive und farbenprächtige Welt des alten Südens, in der die wirklichen Sklaven und deren wirkliche Behandlung keinen Platz haben. Die Sklaven, die wir sehen, sind Hausangestellte wie Pork (Oscar Polk) oder Mammy (Hattie McDaniel), die offenbar gern für ihre Herrschaften arbeiten. Scarlett (Vivien Leigh) und ihre Schwestern wachsen auf dem Besitz ihrer Eltern auf – wohl behütet, elegant und reich. Vor allem Scarlett wird von einer Unmenge junger Männer umschwärmt. Doch Scarlett möchte nur einen: Ashely Wilkes. Der allerdings soll Melanie Hamilton heiraten – eine Konvenienz-Ehe. Dabei scheint auch Ashley Scarlett zu lieben, aber er beugt sich den Konventionen. Einige Zeit später lernt sie Captain Rhett Buttler (Clark Gable) kennen – der Rest ist Filmgeschichte. Das Suggestivpotential diffuser Eigenatmospähre ist wohl allen Kostümfilmen eigen. Eine Idee des Heils, die das Heillose begleitet. Die oftmals manichäische Zweiteilung der Welt in Gut und Böse – der Kostümfilm bleibt ein schwieriges Genre, weil er die Distanz zwischen Fiktion und Realität oftmals bewusst verletzt – aber ganz ohne Schmalz wollen wir ja nun auch nicht sein.
Joris J.
Kostümfilme 9. Juni bis 31. Juli, Zeughauskino, Programm unter www.dhm.de