Rückblick auf das 7. XPOSED International Queer Filmfestival

Festivalbericht 2012: Filme mit Drei-Tage-Bart


Zwei Jungs an der Ostsee bei ihrem Streifzug durch den Koloss von "Prora"

Zwei Jungs an der Ostsee bei ihrem Streifzug durch den Koloss von "Prora"

Den Abschluss machte beim Eröffnungsscreening „Fruit Salad“ von Boaz Foster, der ebenfalls aufgrund von Bilderreichtum und Dialogarmut zum Glück für alle gleichermaßen verständlich war. „Fruit Salad“ schien ein alternatives Beziehungsmodell zu erproben, indem gleich mehrere Partner für den Protagonisten die verschiedenen Grundbedürfnisse wie Essen kochen, Fernsehen, Sex oder Familiengründung per Arbeitsteilung erledigten. Beim anschließenden Tanz zu Populärmusik in der Raucherlounge des Schwuz begnügten sich aber alle mit nur einem Tanzpartner und wer keinen hatte, verhalf stattdessen seinen Nackenmuskeln zu neuer Beweglichkeit. Wie angenehm und luxuriös ein Vorführraum mit gepolsterten Sitzen und Reihengefälle sein kann, erwies sich am nächsten Tag, als das Festival ins Eiszeitkino umzog und seinen ersten Langfilm im Programm präsentierte. Noch luxuriöser, aber gleichzeitig trotzig im schönen Schein verweilend, zeigte Fadi Hindash mit „Not Quite the Taliban“  ein Dubai, das auf seinem Weg zwischen religiösen Restriktionen und beinahe groteskem Hyperkapitalismus irgendwo steckengeblieben ist.

Hier umrunden millionenschwere  Ölscheiche in ihren Rolls Royces Wolkenkratzer, während zur selben Zeit Passanten auf der Straße ihren Betteppich ausrollen, über Homosexuelle Haft- oder sogar Todesstrafen verhängt werden und HIV-Positive mit einer Abschiebung aus dem eigenen Land rechnen müssen. Hindash, der für seine Recherchen zermürbende Verhöre bei der Polizei über sich ergehen lassen musste und den Verlust mehrerer Freundschaften aufgrund von Angst und Meinungsdifferenzen in Kauf nahm, erkannte noch während der Produktion, dass die Gesellschaft von Dubai sich weder kritisch noch investigativ skizzieren lässt. Immer wieder fungiert der Islam wie ein Riegel vor einer Tür, die doch so dringend geöffnet werden müsste, um die Schattenseiten dieser Gesellschaft wie Prostitution, Kindesmissbrauch oder Vergewaltigung zu erhellen. Die Bürger Dubais aber schweigen, wollen von all dem nichts wissen und Hindash schließt seine Exkursion in diese fremde und zugleich bekannte Welt mit der Feststellung, dass es scheinbar nichts Schockierendes und Aufrüttelndes zu sehen gibt, wenn niemand hinsehen will.

Zurück in Deutschland mit dem deutschen Kurzfilmblock erwarteten den XPOSED-Zuschauer dann queere Problem- und Fragestellungen, die mit dem weitaus liberaleren Fundament hierzulande offensichtlich schon einen Schritt weiter gehen. Nachdem Bart einen weiteren Cameo-Auftritt als Kellner in Christoph Scheermanns „Frischluft-Therapie 2“  hingelegt hatte, beschrieb Stephane Riethauser die innige Freundschaft zwischen zwei Jungs an der Ostsee bei ihrem Streifzug durch den Koloss von „Prora„, ein einst von den Nazis erbauter, ganze 4,5 Kilometer langer Gebäudekomplex. Was damals als Urlaubs- und Erholungszentrum angedacht war, ist unlängst ein Ort des Verfalls geworden, an dem Jan und Matthieu mit dem Duft von Geschichte und Abenteuer in der Nase zwischen beschmierten Wänden, zerbrochenen Fensterscheiben und bröselndem Asbest ihre ersten sexuellen Erfahrungen sammeln und zugleich ihre Freundschaft auf eine harte Probe stellen. Irgendwie scheinen sommerliche Ferien am Wasser das ideale Setting für Coming-out und Coming of Age zu sein, man denke da an Filme wie „Sommersturm“ oder „Crazy“ mit Robert Stadlober, der dort ebenfalls mit sexueller Orientierungslosigkeit während der Pubertät glänzte und Jan in Prora zum Verwechseln ähnlich sieht.

Die Regisseurin Maria Pavlidou wählte für ihr Spiel der Geschlechter in „Wer ich glücklich bin“ lieber ein Jugendheim mit weitaus rauerem Umgangston als Austragungsort, wo die pubertierende Alicia mit extremen Tussi-Allüren sich in ihren männlichen Zimmernachbarn Mika verliebt, der aber – huch! – gar kein Junge ist. Alicia ist von ihrem eigenen Irrtum natürlich zutiefst erschüttert, setzt also lieber erstmal ihre Affäre mit einem Cabrio fahrenden alten Sack fort und als es schließlich doch noch zu einem Techtelmechtel mit Mika kommt, wird sie dabei von ihrer Freundin erwischt, die sich eigentlich nur ihr Glätteisen ausborgen wollte. „Wer ich glücklich bin“ schien an einigen Stellen aufgrund von etwas gestelzter Teenagerrebellion etwas wackelig, allerdings sorgten Situationskomik, Alicias rührend-quäkige Abschiedsgesänge in ein Glätteisen und eine zauberhafte Regisseurin, in die man sich beim Q&A beinah selber noch verliebt hätte, für überdurchschnittlichen Applaus und ein verträumtes Lächeln bei den Zuschauern.

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