Rückblick auf das 7. XPOSED International Queer Filmfestival

Festivalbericht 2012: Filme mit Drei-Tage-Bart


Kurze, gezielte Peitschenhiebe auf den Hintern: "Zucht und Ordnung", Foto: Jan Soldat Produkion

Kurze, gezielte Peitschenhiebe auf den Hintern: "Zucht und Ordnung", Foto: Jan Soldat Produktion

Dieses Lächeln hielt aber nur bis zum nächsten Film, denn dann sorgte „Zucht und Ordung“ (Jan Soldat) für ein Wechselspiel aus schallendem Lachen und entglittenen Gesichtszügen – Sexualität im Alter ist auch ein schwieriges Terrain. Manfred und Jürgen, die beiden Mittsiebziger-Stars der kurzen Doku, sehen das allerdings gar nicht so, schließlich sorgen kurze, gezielte Peitschenhiebe auf den Hintern oder Wäscheklammern am Hodensack auch für einen Lustgewinn, wenn man’s denn mag. Als schließlich die meterlange rasselnde Stahlkette aus der Eiche-Rustikal-Schrankwand gekramt wird – daneben der obligatorische Keramik-Labrador in Lebensgröße – ahnt man, dass diese Seniorenwohnung über Jahre hinweg heimlich zu einem SM-Studio umfunktioniert wurde. Jürgen und Manfred, eben noch kompetente SadoMaso-Spezialisten, sind nun beim anschließenden Q&A zwei knuffige Opis in bunten Pullis, die gutgelaunt mit dem Publikum plaudern und unweigerlich die Frage nach weiteren geheimen wie ungewöhnlichen Sexualpraktiken in deutschen Schlafzimmern aufwerfen. Witzig und außergewöhnlich war es allemal, womit sich der letzte Beitrag des deutschen Filmblocks, „The Bears of Berlin“ von Gerald Backhaus, leider nicht messen konnte, verströmte seine Pseudo-Tierdoku über den Marzahn-, Wedding- und Prenzlbär, die eigentlich nur drei Männer mit Bärten waren, nur eine mäßig amüsante Alles-schon-mal-gesehen-Aura. Wesentlich mehr fürs Auge war da mal wieder der XPOSED-Bart, der sich schließlich am dritten und letzten Tag mit lila-glitzerndem Sakko, diesmal ungebändigter Mähne und High Heels richtig schick gemacht hatte. Er wies die Zuschauer noch einmal dringlich darauf hin, sich ein Los für den vollgepackten Tombola-Korb zu beschaffen, darin unter anderem enthalten eine „The Tudors„-DVD-Box und ein als Gymnastikvideo getarnter Schwulenporno.

Der letzte Langfilmbeitrag des Festivals verpasste der ausgelassenen Stimmung vom Vorabend dann aber zu Recht einen ziemlich harschen Dämpfer. Was bei „Not Quite The Taliban“ an gesellschaftlicher Unterdückung, Tabuisierung und Minoritätenausgrenzung schon anhand von Dubai in Ansätzen illustriert wurde, fand im Iran mit „Be like Others“ seine volle Entfaltung: Tanaz Eshaghian begleitete mehrere Transsexuelle auf ihrem Weg zur vermeintlich erlösenden Operation und eröffnete damit den Blick auf ein völlig von Widersprüchen durchzogenes Gesundheits- und Moralsystem. Nicht nur der Umstand, dass Transsexualität im Iran zwar anerkannt – weil operabel- , Homosexualität dagegen eine Straftat ist, sorgte für Irritationen. Als wesentlich schockierender erwies sich die Tatsache, dass viele Homosexuelle im Iran sich als transsexuell ausgeben, um nach der Operation gesellschaftlich akzeptiert zu sein und ihre gleichgeschlechtliche Liebe leben zu können – viele von ihnen befinden sich noch mitten in der Pubertät. Dass diese Annahme sich leider nicht mit der Realität deckt und die Betroffenen nach gelungener Operation erst recht Opfer von Diskriminierung und Ausgrenzung werden, zeigen die letzten Bilder einer Patientin. Nun körperlich zur Frau umgestaltet, hat sich nicht nur ihre Familie von ihr abgewandt, aufgrund der gesellschaftlichen Schmach will auch kein Mann sich auf eine Beziehung oder gar Ehe mit ihr einlassen. Diese traurige Gestalt vergräbt weinend ihr Gesicht in den Händen, bevor sie zurück auf die Straße geht und wieder ihren Körper verkauft. Einen anderen Job bekommt sie nicht. Prostitution ist der einzige Platz, den man ihr zugewiesen hat und die einzige Möglichkeit, um zu überleben. Anpassung wird mit Ausgrenzung bestraft. Verkehrte Welt.

Schade, dass sich „Be Like Others“ nicht beim Voting um den Publikumspreis durchsetzen konnte, auch wenn die Kür von „Not Quite the Taliban“ natürlich trotzdem gerechtfertigt erscheint. Ansonsten lässt sich die Vergabe der Lolly Awards am vergangenen Freitag mit einer Gesamtdauer von knapp 15 Minuten auch als die vermutlich kürzeste Preisverleihung der Welt beschreiben, zwar in Anwesenheit der Juroren Diane Busuttil, Enrico Ippolito und Frances Hill, leider aber zumeist ohne die Filmemacher, die sich aus der Ferne mit Dankesmails und Videobotschaften zu ihrem Gewinn äußerten. Immerhin sind Jürgen und Manfred auch wieder da und begleiten Jan Soldat als Schöpfer von „Zucht und Ordnung“ bei der Abholung seines Preises für den besten deutschen Kurzfilm. Chen Shumowitz („Through The Window„) und Jonathan Pope Evans („The Buried„) kriegen ihren Lolly dann vermutlich mit der Post. Als im Anschluss an die Preisverleihung noch die letzten Gruppenfotos im Vorraum des Eiszeitkinos geschossen werden und ein erschöpftes, aber zufriedenes Team um Bart und Co. sich mit Wein und Bier zuprostet, wird deutlich, wie persönlich und familiär das Festival tatsächlich ist. Auch wenn man sich als einer der wenigen verbliebenen Gäste in so einer herzlichen Atmosphäre gut aufgehoben fühlt, bleibt trotzdem die wermutstropfende Frage im Hinterkopf, warum nicht mehr Besucher zu dem Festival gekommen sind. Berlin gilt mit seinem reichen Kulturangebot für die Gay- und Queerszene als unangefochtenes Vorzeigebeispiel. Und wenn es um selbstbestimmtes Leben und Lieben geht, möchten wir doch schließlich alle, dass das so bleibt.

Alina Impe

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