Epitaph: Zum Tod von Sylvia Kristel

Züge und Tönungen


„Überall, wo ich hinkam, Kokain, Kokain, Kokain. Sogar mein Anwalt legte mir Koks auf den Tisch. Ich habe geschnupft, dass ich fürchtete, die Nase fällt mir ab.“ Wie ein Satyrspiel nach einer Komödie erscheint der Krebstod der Softporno-Ikone Sylvia Kristel. Bekannt wurde sie Mitte der 1970er als „Emanuelle“ und galt über fast zwei Dekaden als erotischste Frau der Welt. Hineingeboren wurde sie am 28.9.1952, in Utrecht, in eine Hoteliersfamilie. Der Vater Jean-Nicholas Kristel verließ sie und den Rest der Familie in frühester Kindheit. Dafür wurde sie nun regelmäßig von einem Onkel missbraucht und mit Alkohol versorgt. Wenn die Stimme dieses vergewaltigten Mädchens durch den Hotelflur strich, gab sie ebenso unerwartete wie seltsame Töne von sich, die von einem leisen tiefen Surren in ein unruhiges, disharmonisches Stöhnen und rasendes Getöse übergingen, als flöge ein ganzes Herr von Furcht gejagter Geister hindurch. Der Onkel wollte von Barmherzigkeit nichts wissen und schätzte sie nicht. Fernab der Gäste herrschte stets trostlose Niedergeschlagenheit. So lebte Sylvia weitesgehend isoliert und hing ihren Gedanken nach. Film und Malerei gaben ihr dabei Trost.

Bevor Bosheit und Unerbitterlichkeit zu ihren hervorstechendsten Charaktereigenschaften werden konnten, nahm sie 1973 an einem Schönheitswettbewerb zur „Miss TV Europe“  teil – und gewann. Jetzt ging es endlich bergauf. Ein Jahr darauf stellte sie sich dem Casting zur „Emanuelle“. Es sollte für sie das werden, was für Romy Schneider „Sissy“ war – Segen und Fluch zugleich. In dem Film schläft sie mit Männern, willfährig und mit Zeremonie. Sie selbst bewegt sich durch asiatische Postkartenmotive, umgeben von geilen Böcken, die ihr nicht nur nachpfeifen, sondern sie mit Schmeicheleien erbarmungslos eindecken, auf dass sie endlich blank ziehe. Bis jetzt ist „Emanuelle“ der kommerziell erfolgreichste Film Frankreichs, dabei hatte Sylvia Kristel wirklich Talent als Schauspielerin. Ihr Image als „Emanuelle“ half ihr bei anspruchsvolleren Rollen wie in Curtis Harringtons  „Mata Hari“ und Alan Myersons „Private Lessons„. Obwohl „Private Lessons“ im Jahre 1981 die Nummer 28 der US-Domestic Gross-Liste war und die Einspielergebnise für einen Independent-Film ausgesprochen hoch ausfielen, sah sie nicht einen Cent aus den Einnahmen. Ende der 1980er war ihr erster Tiefpunkt erreicht.

Philippe Blot, einer ihrer Ehemänner, hatte das gesamte Vermögen verspielt. Sie war rauschgiftsüchtig. Ihrem Sohn Arthur versprach sie mehrmals, nie wieder Pornos zu drehen, doch die Geldknappheit führte 1993 zu einer ganzen Reihe von Emanuelle-Vehikeln: „Éternelle Emmanuelle„, „La revanche d’Emmanuelle„, „Emmanuelle à Venise„, „L’amour d’Emmanuelle„, „Magique Emmanuelle“ und „Le parfum d’Emmanuelle„. Danach war sie vollständig ausgebrannt. Ihr neuer Lebensgefährte, der Radiomoderator Fred De Vree, tat sein Bestes und gab der Gejagten einen gewissen Halt und eine Struktur. Doch das Kokain, der Alkohol und die unzähligen ungefilterten Zigaretten, die sie seit ihrem elften Lebensjahr rauchte, forderten ihren Tribut – 2001 erkrankte sie an Krebs. Mehrere Chemotherapien halfen nichts. Ihre Lunge, ihre Speiseröhre und ihr Kehlkopf waren zerstört, aber dieses Mal ging nicht alles viel zu schnell vorbei. Es verstrichen elf lange Jahre, bis sie endlich ihrem Krebsleiden erlag. Was bleibt sind die Bilder einer zurückhaltenden Schönheit, die ihr ganzes Können nie Ausspielen durfte. Der Skepsis und dem Spott ihrer Umgebung brachte sie Glauben und Zuversicht entgegen. Beide Seiten blieben ihrem Bild des Menschen treu, der erst durch Leid, Schmutz und Demütigung Bewunderung und Anerkennung findet, ja finden darf. Sylvia Kristel hatte in ihrem Leben keine allzu große Wahl, so wandelten sich nur die einzelnen Züge und Tönungen ihres Bildes: vom Tristen ins Erotische, vom Erotischen zum Professionellen und retour.

Joris J.

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