Russische Filmwoche Berlin 2012

Auf der Suche nach der russischen Seele


"Die Erzählungen": Die Geschichten eines Nachwuchsautors beeinflussen das Leben ihrer Leser. Foto: Russische Filmwoche

"Die Erzählungen": Die Geschichten eines Nachwuchsautors beeinflussen das Leben ihrer Leser. Foto: Russische Filmwoche

Am 28. November beginnt sie von neuem, die nie enden wollende Suche nach der russischen Seele. Das größte Land der Erde bleibt für die deutsche Gesellschaft ein schwer greifbares Faszinosum. Zwischen Weltliteratur und atomarer Bedrohung, zwischen wissenschaftlichen Meisterleistungen und Vodkarausch, die Frage bleibt: Sind sich die russische und die deutsche Mentalität eigentlich sehr ähnlich – oder sind sie grundlegend verschieden? Hinweise dürfte die 8. Russische Filmwoche in liefern. Sie findet im Rahmen des „Russlandjahres in Deutschland 2012/2013“ statt, gegenseitige Identitätssuche ist also Programm. Neben dem Kino des Russischen Hauses Berlin wird in diesem Jahr erstmals auch das Filmtheater am Friedrichshain das Festival beherbergen.

Wie steht es also um die russische Seele? Betrachtet ein russlandaffiner Mensch das Programm Filmwoche, sieht er sich in einigen Verdachtsmomenten bestätigt. Spätestens seit Bulgakows „Meister und Margarita“ ist bekannt, dass die Satire in Russland zu Hause ist. Und traditionell sind es die Oberen, die ihr Fett wegbekommen. So versammelt Regisseur Boris Chlebnikow in „Bis dass die Nacht uns scheidet“ die Moskauer Schickeria in einem teuren Restaurant, nur um sie dort einen nach dem anderen vorzuführen. Währenddessen geht es in „Die Erzählungen“ von Michail Segal eher den Kulturschaffenden an den Kragen. Im Film beeinflussen die Geschichten eines Nachwuchsautors auf kuriose Weise das Leben ihrer Leser.
Auch die Schonungslosigkeit der russischen Erzählkunst hat Tradition, als cineastisches Beispiel darf ihn diesem Fall der legendäre „Komm und Sieh“ von Elen Klimow genannt werden. So macht sich die Moskauer Polizei im Eröffnungsfilm „Stahlschmetterling“ von Renat Dawletjarow auf sie Suche nach einem Mädchenmörder. Frei nach Friedrich Dürrenmatts „Das Versprechen“ setzt Detektiv Chanin dabei auf einen Lockvogel. Eine ebenso gefährliche wie moralisch fragwürdige Taktik. Moral spielt auch für Boris, den Protagonisten in Sergej Komarows „Das Gespräch“ eine Rolle. Er hat einen Menschen überfahren, kann sich aber nicht erinnern. Nun drohen ihm nicht nur von Seiten des Gesetzes Konsequenzen.

Fehlt noch die mythische Seite der russischen Seele. Auch das Phantastische, Unerklärbare wird in der Russischen Filmwoche reflektiert. So finden sich in Aljona Swanzowas „Vor dem Himmelsgericht“ Verstorbene im Gerichtsaal wieder. Die Tür zum „Ort der Ruhe“ steht nicht jedem offen und der Prozess ist einer weltlichen Gerichtsverhandlung sehr ähnlich. In „Parallelwelten“ wird es dann noch etwas kurioser. Hier bekommt die Protagonistin unerwarteten männlichen Besuch, der womöglich nicht einmal aus unserer Dimension stammt. Dass Regisseur Jermek Amanschajew bereits Kafkas „Die Verwandlung“ für das Theater inszeniert hat, überrascht da wenig.  Auch der Coming of Age-Film „Nichtstuer“ oder die nukleare Lovestory „Atom-Iwan“ sollen hier nicht unerwähnt bleiben. Im Historiendrama „Horde“ wird die russische Geschichte des 14. Jahrhunderts beleuchtet. Interessant ist auch das Rahmenprogramm des Festivals, das von den Russischen Studentenfilmtagen dominiert wird.

Das Highlight ist hier sicherlich „Winter, geh weg!„. Im Film stellen zehn ehemalige Studenten der Moskauer Dokumentarfilmschule ihren Blick auf die Protestbewegung um die letzte Präsidentenwahl dar. Ein überraschend offenes Thema, immerhin wird die Russische Filmwoche vom staatsnahen russischen Gasriesen Gazprom mitfinanziert und Präsident Wladimir Putin fungiert als Schirmherr. Egal ob nun cineastisch oder politisch: An Diskussionsbedarf mangelt es einem guten Filmfestival traditionell nicht. Doch die Russische Filmwoche ist gewappnet. Sieben Regisseure werden dem Publikum vor Ort Rede und Antwort stehen. Ob in Berlin tatsächlich die Natur der russischen Seele geklärt werden kann, darf allerdings bezweifelt werden. Russische Künstler stehen dem Phänomen meist ebenso ratlos gegenüber wie wir. Eine echte Aufklärung ist allerdings auch nicht wirklich wünschenswert. Denn das Geheimnis um die russische Seele erfüllt eine wichtige Funktion: Sie ist ewige Inspirationsquelle der russischen Kunst.

Peter Correll

8. Russische Filmwoche 28. November bis . Dezember, Russiches Haus, Fimtheater am Friedrichshain, Kino Arsenal, www.russische-filmwoche.de

Im Rahmen der Russischen Filmwoche finden im Kino Arsenal Studentenfilmtage statt. Wir verlosen 3×2 Freikarten für „Winter, Go Away!“ (FR, 30.11. / 20 Uhr), den Studentenfilm über die Proteste der Oppositionsbewegungen. Bis Mittwoch 28.11. Mail mit euren Kontaktdaten an info@berliner-filmfestivals.de. Kennwort: Winter!