Jürgen Hirsch über das Aus der „Video Collection“

"Zeit sparen und zu Hause aufs Knöpfchen drücken."


"Für die Filmwirtschaft waren Videotheken lange Zeit allerdings ein wichtiger Faktor." Foto: Video Collection

"Für die Filmwirtschaft waren Videotheken lange Zeit ein wichtiger Faktor." Foto: Video Collection

Jürgen Hirsch ist seit 21 Jahren Videothekar und fast genauso lange stand er bei der „Video Collection“ im Prenzlauer Berg hinterm Tresen. Die Videothek war lange Zeit Insider-Treff für alle Cineasten im Kiez  – nicht nur, weil man hier Wert auf den sogenannten „besonderen Film“ legte, sondern auch, weil die Angestellten selbst Teil der Branche waren und sich so ein reger Austausch ergab. Zeitweise entwickelte sich sogar ein eigener Filmclub (www.paperfilms.de), in dem Freunde des Ladens ihre eigenen Kurzfilme drehten. Zum Ende des Jahres schloss die „Video Collection“ ihre Tore, der Mietvertrag lief aus und an ein Weitermachen an einem anderen Ort war nicht zu denken. Jürgen Hirsch erklärt warum – mit uns spricht er über die Zukunft der Videotheken und die Verlagerung ins Netz.

Seit wann bist Du Videothekar?
Seit 1991, wobei mir lange nicht klar war, dass ich das bin, beziehungsweise sein will. Dann war ich es aber gerne. Es wäre mal spannend zu recherchieren, ob es die Berufsbezeichnung Videothekar überhaupt gibt. Heute heißt das zumindest Einzelhändler im Bereich Home Entertainment.

Was bedeutet dieser Job für die Filmbranche?
Ich fürchte, für die Filmbranche an sich bedeutet dieser Job eigentlich gar nichts. Für die Filmwirtschaft waren Videotheken lange Zeit allerdings ein wichtiger Faktor der Filmauswertung. Also Kino, DVD (VHS) und Fernsehen. Heute sind die großen Verleiher (Fox, Universal etc.) an Videotheken nicht weiter interessiert und wollen diesen Markt zukünftig umgehen. Das heißt: Kino und DVD online. Anderseits gibt es in der Filmbranche viele Jobs von Menschen, die im Produktionsprozess nicht eingebunden sind. Ich denke da natürlich an Videothekare, aber auch an Filmvorführer. Menschen, die viel über dieses Medium wissen und auch in der Lage sind, Leidenschaft dafür zu vermitteln. Ich sehe mich schon eher als Archivar. Zum einen, was das Archivieren von Filmen angeht, zum anderen aber auch das Archivieren von Filmwissen. Eine wandelnde Datenbank, wenn man so will, die Filme anders bewertet als mit Daumen hoch oder Daumen runter, sie historisch und gesellschaftlich einzuschätzen weiß und mit mehr Hintergrundinformationen aufwarten kann, als mit Laufzeit und  Genrebezeichnung.

Jürgen Hirsch, Foto: Video Collection

Jürgen Hirsch, Foto: Video Collection

Inwieweit hat die „Video Collection“ auch das Leben im Prenzlauer Berg geprägt?
Da bedingten sich zwei Faktoren gegenseitig: Zum einen ein typisches Prenzlberger Klientel, bestehend aus Künstlern, Regisseuren, Schauspielern, Dramaturgen, Kameraleuten etc., die sich im Studium befanden und sich die Mieten hier leisten konnten. Zum anderen wir als Filmarchiv, das ihnen nicht nur Filme bot, sondern geballte Kompetenz hinterm Tresen, da Großteile unserer Belegschaft ebenfalls aus Künstlern, Regisseuren und anderen Filmschaffenden bestand. Was nun das Prenzlberger Leben angeht, waren wir bis vor einigen Jahren mit Sicherheit Anlaufpunkt fürs letzte Bier und den Film für zu Hause. Und damit meine ich Leute, die in Kneipen, Bars oder Clubs jobbten und nach Feierabend zu uns kamen. DJs, die nach dem Auflegen ihre Plattentrollies bei uns parkten und sich mit einem Bier in der Hand ebenfalls auf der Suche nach dem Film zum runterkommen machten. Oder filmaffine Taxifahrer, die sich spät nachts noch ihre Filme holten. Ich glaube, der soziale Aspekt unseres Hauses war wichtig. Wir waren gleichzeitig Treffpunkt und Diskussionsforum. Ein Punkt für uns war auch unsere Andersartigkeit: Wir waren vielleicht nicht so schick, wie die anderen Videotheken dieser Stadt, aber wir anders – und besser. Von vielen Kunden habe ich zum Abschied gehört, wie wichtig es ihnen war, sich ein paarmal die Woche einen Film bei uns zu holen. Musik bei uns zu hören, sich inspirieren oder beraten zu lassen. Das gehörte für viele bis zuletzt noch zum liebgewonnenen Alltag.

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