Epitaph: Zum Tod von Jess Franco

"All my films are shit"


Jess Franco bei der Eröffnung der Retropektive "Jess Franco - Back To Berlin" im August 2012 im Babylon Mitte. Foto: Martin Daßinnies

Jess Franco bei der Eröffnung der Retropektive "Jess Franco - Back To Berlin" im August 2012 im Babylon Mitte. Foto: Martin Daßinnies

Lüsterne, verbrecherische Mönche. Von italienischen Banditen entführte Frauen. Von Ungeziefer wimmelnde Kerkerlöcher. Von gesichtslosen Unholden geschändete Frauen. Verbrechen. Abgeschlagene Köpfe, die sprechen. Frauen, die, wenn es gut kommt, erst am Ende verrückt werden. Er drehte mehr Filme als Fassbinder und hatte Klaus Kinski fast eben so oft vor der Linse wie Werner Herzog – Jess Franco. Seinen Namen verbindet man jedoch allzu oft mit billigen Filmchen, nuttigen Schauspielerinnen und Titeln wie „Robinson und seine wilden Sklavinnen„, „Lucky M füllt alle Särge“ und selbstredend den zum Kult avancierten Klassiker „Vampyros Lesbos„.

Die Neubewertung von Francos Werken fand recht spät statt. Während in den 1960ern die sexuelle Revolution durch die Jugendkultur(en) fegte, Teile der Intelligenz und diverse exotische Grüppchen Sex zur einzig brauchbaren Reflexionsbasis reduzierten, war es an der Zeit, die rechtliche Grundlage für das Medium Film zu lockern. Wie stets, mahlten auch dieses Mal die Mühlen der Justiz langsam. So waren etliche Filme Jess Francos höchstens eine Woche im Kino und danach verschwanden sie im Orkus. Seine Profession nimmt er zudem auch nur sehr bedingt ernst: „All my films are shit, it’s just a question of which are less shit than others“. Allerdings sind selbst die rein pornografischen Streifen von ihm mit einem guten Gespür für Kaugummifarben und exzellenter Musik zu einem Sandwich gebunden, das nun weder besonders köstlich noch nahrhaft ist – aber man hat was zu tun.

Natürlich gibt es auch die subjektiven, poetischen, Blutzucker hebenden Momente der Brillianz. „Les possédées du diable“ ist ein Niemandsland, das seine eigenen Entscheidungen stets revidiert und als Gesamtwerk fast vor die Hunde geht. Obwohl es sich mit expliziten Sexszenen aufbläht, ist es in seiner Bildsprache zu manisch, um als Pornographie zu funktionieren. Nach dem Vorspann gehört das Bild sofort der Anti-Heldin Lorna – und ihren Titten. Sie arbeitet sich durch ein benebelndes, erotisches Fieber, von der sich weder sie noch der Film wirklich erholt. Manchmal gewinnt man den Eindruck, dass Franco während der Dreharbeiten eingeschlafen ist. Standardszenen wie der Spaziergang einer Familie wirken grotesk verpeilt und werden so ungewollt brilliant. Die geschmacklosen Dialoge und das selten einfallslose Setting rücken den Film über Strecken in die Sphere des Eurotrashs, aber Franco besitzt genug Magie (und wenn nicht das, dann eben Charisma), um den Film zu einer sehenswerten Rolle Zelluloid zu machen. Mit Luis Buñuel teilt er sich die „Ehre“, von der katholischen Zeitschrift „La Rivista del Cinematografo“ als gefährlichster Regisseur aller Zeiten eingestuft worden zu sein. Obwohl er der Second Unit Director bei Orson Welles „Chimes at Midnight“ war, kam eine größere Reputation reichlich spät. Seine Spinnereien können es jedoch mit den Visionen Apitchatpong Weerasethakuls, dem gotischen Surrealisms von Jaromil Jires und den heidnischen Geistern Kenneth Angers jederzeit aufnehmenden. Jess Franco verstarb am Vormittag des 2. April 2013 an den Folgen eines Schlaganfalls.

Joris J.