George – Die Retrospektive im Kino Babylon

Kurator Friedeman Beyer über die George-Retrospektive


Friedemann Beyer

Kurator Friedemann Beyer

Ein Leben zwischen Verantwortung und Schuld, Bewunderung und Verachtung – Heinrich George gilt als einer der größten und gleichzeitig umstrittensten Schauspieler des 20. Jahrhunderts. Weil er nach 1933 in Deutschland in zahlreichen NS-Propagandafilmen mitspielte, wurde er nach dem Krieg vom russischen Geheimdienst NKWD verhaftet und starb im Alter von 52 Jahren im sowjetischen Internierungslager Sachsenhausen. Das Kino Babylon widmet dem Vater von Schauspieler Götz George nun vom 23. Juli bis 4. August eine ausführliche Retrospektive. Wir haben uns mit dem Kurator, Friedeman Beyer, über eben diese unterhalten.

Herr Beyer, Sie haben die Retrospektive im Babylon kuratiert. Wie haben Sie sich dem Thema Deutscher Film und Nationalsozialismus, beides eng mit dem Schauspieler Heinrich George verknüpft, genähert?
Das Thema beschäftigt mich seit vielen Jahren mit seinen wechselnden Aspekten: Welche Rolle spielten die Künstler in der NS-Diktatur, welche Verantwortung aufgrund ihrer Vorbildfunktion trugen sie? Wie gehen wir heute damit um, dass ein Großteil der damaligen nicht nur kulturellen, sondern insgesamt gesellschaftlichen Eliten diesem Regime treu ergeben war? Lauter Fragen, auf die es keine pauschalen Antworten gibt, um die aber eine Auseinandersetzung lohnt. Heinrich Georges Rang als Gigant der Theater- und Filmgeschichte ist unbestritten. Dass er bis zuletzt eines des kulturellen Aushängeschilder des NS-Regimes war, ist ein Umstand, der Georges Leben im Nachhinein beschattet – aber schmälert er deshalb seine künstlerische Leistung?

Veit Harlans Film „Jud Süß„, in dem George mitgewirkt hat, ist einer der bekanntesten Propagandafilme der Nationalsozialisten und ein herausragendes Beispiel dafür, wie das Regime massenkompatible Unterhaltungsware mit antisemitischer Hetze zu verknüpfen wusste. Kann man so einen Film heutzutage überhaupt unkommentiert im Kino zeigen?
Man darf es gar nicht!  Die F.W. Murnau-Stiftung als Rechteinhaber dieses Films sowie anderer sogenannter Vorbehaltsfilme wie „Hitlerjunge Quex“ und „Kolberg“ macht historisch-kritische Einführungen zu diesen NS-Propagandafilme durch Experten zur Bedingung für die Vorführung. Eine Praxis, die verhindern soll, das diese z.T. sublim wirkenden propagandistischen Botschaften nicht auf ein unvorbereitetes Publikum treffen. Goebbels‘ Maxime lautete: „Die beste Propaganda ist die, die der Zuschauer nicht merkt!“

Abgesehen von einer wissenschaftlichen, kulturhistorischen  Betrachtungsweise – kann man einen Film wie „Jud Süß“ als Zuschauer überhaupt „sehen“?  Wie geht es Ihnen persönlich?
Selbstverständlich kann man diesen Film sehen, man soll es sogar! Demaskiert er sich doch selbst als Machwerk. Mir jedenfalls geht es jedes Mal so, wenn ich den Film sehe und ob seiner Infamie regelmäßig seelischen Brechreiz empfinde. Deshalb fällt mir die Vorstellung schwer, dass heute irgendjemand der Botschaft des Films erliegen könnte.  Eher vermittelt der Film ein anschauliches Beispiel für die menschenverachtende Haltung der NS-Zeit. So gesehen, ist es ein Lehrfilm par excellence, der sich eigentlich selbst kommentiert.

Heinrich George und Kristina Söderbaum in Veit Harlans "Das unsterbliche Herz", Foto: .W. Murnau-Stiftung

Heinrich George und Kristina Söderbaum in Veit Harlans "Das unsterbliche Herz", Foto: .W. Murnau-Stiftung

George hat auch mit Fritz Lang („Metropolis„) und Phil Jutzi  („Berlin – Alexanderplatz“) gearbeitet. Wie passen diese Filmemacher zu seinen späteren NS-Arbeiten?
George hat sich ja vor seiner Bekehrung zum Nationalsozialismus mit der politischen Linken sympathisiert. Aber Vorsicht: Regisseure, die später für die NS-Filmindustrie tätig waren, haben das auch getan. Dass die Grenzen fließend waren und leicht übersprungen werden konnten, zeigt ein Film wie „Hitlerjunge Quex„, der sich stilistisch und thematisch an den sogenannten Arbeiterfilmen orientiert, etwa an Slatan Dudows „Kuhle Wampe„.

Für das neue Dokudrama „George„, das das Leben Heinrich Georges beleuchtet, und in dem Sohn Götz in die Rolle des Vaters schlüpft, wurden erstmals russische Verhörprotokolle ausgewertet. Götz George hat dazu sogar Dokumente aus seinem Privatarchiv zur Verfügung gestellt. Welchen Fokus legt Regisseur Joachim A. Lang auf das Leben von Heinrich George?
In Joachim Langs Film wird besonders die Lagerzeit Heinrich Georges in Sachsenhausen gewürdigt, seine Verhöre mit den Sowjets, seine Arbeit für das Lagertheater. Ansonsten fokussiert der Film stark das Verhältnis der Söhne Jan und Götz Georges zu ihrem Vater.  Es ist dadurch ein sehr persönliches, emotionales filmisches Dokument geworden, weniger eine Geschichtsstunde – jedenfalls nicht im akademischen Sinn.

Zum Abschluss eine rein technische Frage: In welchen Formaten werden die Filme gezeigt?
In ihrer großen Mehrheit als 35mm-Kopie der F.W. Murnau-Stiftung, des Deutschen Filminstituts (DIF), aber auch der Deutschen Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen. Wo keine Filmkopien (mehr) zur Verfügung standen, mussten wir auf digitale Träger ausweichen, etwa bei dem überaus sehenswerten Stummfilm „Überflüssige Menschen“ (1926) von Alexander Rasumny, der ersten deutsch-sowjetischen Koproduktion der Weimarer Republik.

Interview: Martin Daßinnies

George – Die Retrospektive! 23. Juli bis 4. August, Kino Babylon, Programm unter www.babylonberlin.de