Interview mit Fatih Akin zu „Müll im Garten Eden“

"Ich war schon immer sentimental"



Was hat Sie am Thema gereizt?
Ich nehme das Thema sehr universell wahr. Die Rhetorik ist dieselbe, wie bei Tepco nach Fukushima. Dort hieß es: Ist alles nicht so schlimm. Nein, es tritt keine Radioaktivität aus. Das Grundwasser wird nicht verseucht. Dasselbe sagten die Betreiber im Golf von Mexiko als die Ölplattform zu Schaden kam. Der italienische Kapitän, der mit seinem Kreuzfahrtschiff an das Riff vor der Insel gefahren ist sagt: Nein, das ist nicht meine Schuld. Wann immer so etwas passiert, folgen dieselben fadenscheinigen Argumente. Ich sehe den Film im Genre Umweltfilm. Gefilmt aus der Perspektive der Menschen, die im Dorf meines Großvaters leben. Ich war in Istanbul und habe Interviews mit Greenpeace geführt, aber die haben im Film nichts verloren. Es ist als filmisches Mittel konsequenter, ja epischer, über fünf Jahre nur im Dorf zu bleiben.

Die Deponie soll bis 2014 in Betrieb sein. Was passiert dann?
Dann wird sie geschlossen und an anderer Stelle eine neue gebaut. Mit den gleichen Methoden. Es sei denn, der Film schafft ein Bewusstsein in der Türkei. Vielleicht demonstrieren dann nicht nur 100 Leute, sondern viel mehr.

Ist es typisch Deutsch, wie Sie mit dem Thema Müll umgehen? Die Deutschen, die ihren Müll trennen und sich unheimlich viele Gedanken darüber machen, wie sie damit umgehen. Sind Sie, was den Müll angeht, deutsch sozialisiert?
Es gibt wenige Länder, die so fortschrittlich mit ihrem Müll umgehen – und sei es Atommüll – wie hierzulande. Der Film greift aber nicht das globale Müllproblem auf, sondern geht im Kleinen ran. Meine Hamburger Herkunft führt eher zu einem distanzierteren Blick.

Ist „Müll im Garten Eden“ wie „Soul Kitchen“ ein sentimentaler Film?

Ich war schon immer sentimental. Ich musste oft an Asterix  und sein kleines gallisches Dorf denken, das versucht, sich gegen die römische Mehrheit durchzusetzen. „Soul Kitchen“ zeigt eine Heimat von mir, Çamburnu eine andere.

Von Ihnen stammt der Satz: „Heimat ist ein Zustand und nicht ein Ort.“ Wie nähern Sie sich dem Thema Heimat?
Jeder von uns beschäftigt sich mit der Frage, woher man kommt und wohin man geht. Als Kind meiner Eltern hat mich mein Vater geprägt, genau wie er von seinem Vater geprägt wurde. Die soziale Umgebung prägt den Charakter. Raum hat Einfluss auf die Person. Mich interessierte, woher mein Großvater kommt. Aus welcher Umgebung, welcher Landschaft und welche Menschen ihn umgeben. Ich bin da als Großstadtmensch hingereist und habe viele Physiognomien gesehen, zu denen ich mir eine gewisse Ähnlichkeit einbilde. Die sehen mir ähnlich. Ich fand die Leute dort sehr würdevoll. Nach Würde und Demut strebe ich. Das würde ich mir gerne in meinem schnelllebigen Großstadtleben aneignen.

Sie engagieren sich neben anderen internationalen Prominenten auch für das uralte Dorf Hasankeyf, das einem riesigen Staudamm weichen soll und geflutet werden wird.
Das Problem von Hasankeyf ist, dass die Mehrheit der Bevölkerung für den Bau dieses Stausees ist. Das ist ein kleiner Ort, der aber lautstark von Prominenten unterstützt wird. Die Mehrheit erhofft sich aber Arbeitsplätze und mehr Elektrizität.

Ist das ein Defizit in den demokratischen Strukturen der Türkei? Sind Minderheiten zu wenig geschützt?
Wer beschützt die Leute, die gegen Stuttgart 21 sind? Gegen eine Mehrheit ist die Minderheit machtlos. Die Minderheit kann nur kritisieren und Bewusstsein schaffen.

Wie könnten Lösungen aussehen?
Ich war lange nicht Mitglied in der deutschen Filmakademie, weil mich das demokratische Verfahren dort gestört hat. Die Mehrheit wollte Filme, die ich nicht so gut fand. Eine kleine, kluge Einheit, eine Jury hätte vielleicht die besseren Filme ausgewählt. Das stimmt aber nicht. Man regt sich genauso über Jurys wie über Mehrheitsentscheidungen auf. Was richtig oder falsch ist, weiß ich nicht. Ich spüre aber, dass Demokratie verteidigt werden muss.

Die Fragen stellte Denis Demmerle

Müll im Garten EdenRegie/Drehbuch: Fatih Akin, Kinostart: 6. Dezember 2012, DVD-Release am 15. November 2013

Verlosung

Unter allen, die uns bis zum 24. November 2013 um 12 Uhr, eine Mail mit dem Betreff „Akin“ an info@berliner-filmfestivals.de schicken und verraten, aus welchem Ort Fatih Akins Großeltern kommen oder unseren zugehörigen Post auf unserer facebook-Seite mit dem Kommentar „Ich will!“ teilen, verlosen wir dreimal eine „Müll im Garten Eden“-DVD.

Vergesst eure Kontaktdaten nicht. Die Gewinner werden am Montag, den 25. November, informiert!

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