Interview mit Regisseur Axel Ranisch zu “Ich fühl mich Disco” – Teil 1

Auf den Wellen des Moments reiten


Rosa von Praunheim (links) ist für Ranisch ob seiner Energie und Produktivität ein Vorbild. (c) Edition Salzgeber

Rosa von Praunheim (links) ist für Ranisch ob seiner Energie und Produktivität ein Vorbild. (c) Edition Salzgeber


Hat dich „Dicke Mädchen“ nicht auch bestätigt?
Er hat mir gezeigt, dass es bestimmte Bedingungen gibt, unter denen ich am besten arbeiten kann. Dazu gehört, dass man nicht jahrelang über Dialoge quatscht, sondern die von den Schauspielern selbst erfinden lässt. Dass man weniger konstruiert und stattdessen macht. Dass man chronologisch dreht, was einem anderen Arbeitsprozess mit sich bringt. Ich schneide immer direkt nach dem Drehen. So wissen die Redakteure und Produzenten zwar nicht was ich mache, aber sie können es dafür direkt sehen. Jeder sieht den Film wachsen. Theoretisch könnte so an verschiedenen Punkten nachgebessert werden, das ist aber nie passiert! Am Ende hatten wir nur acht Seiten Drehbuch.

Wie ungewöhnlich ist deine Art zu arbeiten?
Es gibt auch andere Leute, die so drehen. Andreas Dresen hat keine Drehbücher. Bei Filmen wie „Whisky mit Wodka“ schreibt Kohlhaase das Drehbuch, aber „Wolke 9“ oder „Halbe Treppe“ und zuletzt „Halt auf freier Strecke“ sind auch auf Basis von Szenenablauf und Treatment entstanden. Da wird den Schauspielern kein Dialog vorgegeben.

Intuition spielt für deine Arbeit eine wichtige Rolle. Wie zeigt sich das?
Wir haben das mal in einem kleinen Manifest beschrieben. In dem steht die Intuition ganz oben. Sie ermöglicht es uns auf den Wellen des Moments zu reiten. Manchmal passieren unerwartete Dinge. Schauspieler können Eingebungen genau so umsetzen, wie ich meine Ideen, die mir plötzlich kommen. Die rufe ich dann beim Drehen einfach rein. Dafür muss man immer offen sein. Das ist das oberste Gebot. So arbeitet man am Theater auch. Durch Intuition entwickelt man dort etwas unheimlich tolles und dann braucht man sechs Wochen Zeit, um das wieder herstellbar zu machen und es zu konservieren. Beim Film können wir dank der Kamera diesen Moment einfangen und wie in einem Museum in unserem Film ausstellen. Möglichst viele solcher Momente des Zaubers einzufangen, ist wunderschön. In „Ich fühl mich Disco“ kommt Papa Hanno besoffen nach Hause und bricht durch die Tür. Das stand nirgendwo und ist einfach passiert, sorgt aber mit für die meisten Lacher. Heiko hat sich zwei Stunden in die Szene reingespielt und war dann wirklich hackendicht. Würde ich ihm irgendwelche Marken setzen, wäre das alles weg. Alles andere muss sich nach dem Mann und seiner Intuition richten. Er ist so in seiner Rolle, was könnte ich ihm da sagen. Er ist vielmehr Hanno, als ich es sein kann. Er hat die absolute Kompetenz.

Wie hat Rosa von Praunheim deine Arbeit beeinflusst?
In erster Linie durch seine Produktivität. Er war mit seiner nie enden wollenden Energie immer ein Vorbild. Ich dachte immer, ich würde viele Filme machen, mit meinen 70, 80 Kurzfilmen. Rosa hat genau so viele in eineinhalb Jahren gedreht. Ich habe dafür zehn Jahre gebraucht. Wenn ich denke, ich sei fleißig, schaue ich Rosa an und alles verblasst. Er dreht fünf Spielfilme im Jahr, schreibt in jeder freien Sekunde Gedichte. Das ist unglaublich. Er hat mich an der Filmhochschule immer unterstützt. Dieses loslegen, machen, der Intuition folgen, Stoffe und Themen, die aus dem Herzen kommen… Da waren wir uns immer ganz nah. Darin hat er mich bestärkt. Wenn du einen guten Film im Kopf hast, brauchst du dafür keine Kohle. Dreh ihn einfach. Auch mit einer schlechten Kamera. Er ist mein größter und wichtigster Einfluss, auch wenn wir sehr unterschiedliche Filme machen. Rosa macht unheimlich tolle Dokumentarfilme. Er trifft in die Menschen hinein, mit seiner unheimlichen Menschenliebe. Er interessiert sich für jeden Menschen. Ich liebe, genau wie er, die Menschen, die mit mir arbeiten. Er ist ein unwahrscheinlich guter Netzwerker und stellt jeden jedem vor.

Er spielt auch eine kleine Nebenrolle in deinem Film. Wie kam es dazu?
Er meinte immer, mach deine ersten Filme über Dingen, mit denen du dich wirklich auskennst. Ich dachte, dann muss er da auch rein. Ich bin mir nicht sicher, ob er „Disco“ mag. Es gab viele Kurzfilme, in denen ich viel mehr experimentiert habe, die haben ihm – glaube ich – besser gefallen. Er mag es, wenn es schräger, absurder und fantastischer wird. Er war aber schon stolz auf den Film. Wie sehr er einen Film mag, hängt auch von seiner Tagesform ab. Als Student hat er an einem schlechten Tag einen Film schon mal in den Boden gestampft. An guten Tagen war es genial, genial, genial. Dazwischen gab es wenig.

Die Fragen stellte Denis Demmerle.

Ich fühl mich Disco“ läuft seit 31. Oktober 2013 bundesweit im Kino.

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