Interview mit Berlinale Fotograf Gerhard Kassner

"Ich würde nie sagen: Mal die Brille runter"


In Kassners Atelier lächelt mancher Star von den Wänden und Türen herab. (c) DDemmerle

In Kassners Atelier lächelt mancher Star von den Wänden und Türen herab. (c) DDemmerle

Was haben Sie verändert?
Früher wurde in Polaroids fotografiert. Im Jahr, in dem ich übernommen habe, vollzog sich der Wechsel von der analogen zur digitalen Fotografie. Viele Kollegen haben den später vollzogen, während ich 1995 damit anfing und es für mich sehr selbstverständlich war. Auf der Photokina wurde im Herbst 2002 eine Vollflächen-Kleinbildkamera von Canon vorgestellt. Heute ließen sich die Kosten dieser 120 Portraits mit Polaroid gar nicht stemmen. Das wären Materialkosten von 15.000 bis 20.000 Euro plus Personal, Miete und so weiter. Der Grund war also auch ein wirtschaftlicher, da es zu teuer war. Als ich nach einer Idee gefragt wurde, fiel mir die Kamera ein. Die hatte schon damals eine unheimliche Qualität, die immer weiter gesteigert wurde. Das Digitale hat eine so große Klarheit, eine bestechende Präsenz, als würde man mit einer Lupe auf die Realität blicken.

Die Digitalisierung ist so weit fortgeschritten, dass in jedem Smartphone Kameratechnik steckt, die der Kameratechnik von vor zwei Jahrzehnten meilenweit überlegen ist. Entdecken immer mehr Leute die Fotografie?
Absolut. Durch die Verfügbarkeit, die Kamera in der Hosentasche zu haben und die Technik, die auch kleinen und mittleren Apparaten überlegen ist. Menschen, die eine Affinität zum Dokumentieren oder Fotografieren haben, können sich da austoben. Es entsteht eine unheimliche Vielfalt. Meine Frau, die viel auf Reisen ist, hat vor einem Jahr Instagram für sich entdeckt. Hat sie früher nur aufgenommen, zeigt sie es heute auch. Sie hat eine Leidenschaft entwickelt und versteht das, was ich tue, anders. Als Reaktion darauf habe ich ihr eine tolle Kamera geschenkt. Aber das ist schwierig für sie. Da die mehr Knowhow braucht, das man erlernen muss, um deren Qualitäten zu nutzen. Mit dem Smartphone geht das sofort. Dank der Bearbeitungsmöglichkeiten, entsteht schnell ein Ergebnis. Zum Teil ein geschöntes oder übersteigertes. Die Technik ist da und man muss keine Gedanken an Belichtung verschwenden. Wer außerhalb des Berufs will sich denn damit beschäftigen? Interessanterweise liefern Smartphones bessere Ergebnisse als bessere Amateurknipsen, die mehr Zuwendung brauchen, gerade was Belichtung angeht. Eine Profikamera ist noch viel sensibler.

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Haben Sie Universaltipps für Amateure?
Man muss sich für das interessieren, was man knipst, auch wenn es das eigene Essen im Restaurant ist. Serielles Denken finde ich spannend und entdecke ich häufig bei Instagram. Da gibt es einen, der sein Fahrrad auf jedem Bild zeigt, aber in völliger Abwandlung. Als Reflektion oder Schatten tritt es auf und es entsteht eine eigene Serie mit dem Rad als Thema. Da lässt sich schnell ein Buch draus machen, was heute unkompliziert ist. Ich habe stapelweise eigene Bücher und mache das sehr gern.

Was würden Sie einem jungen Menschen raten, der sich der Portraitfotografie widmen will?
Wesentlich finde ich, sich erstmal im eigenen, vertrauten Umfeld zu bewegen. Die eigenen Freunde, die Familie entdecken. Meine vier Geschwister, meine Großeltern und Eltern mussten unzählige Portraitsitzungen mitmachen. Das Entdecken der Welt um sich herum, das Dokumentieren und das Reflektieren darüber, sind wesentlich. Will man das Ganze zum Beruf machen, muss man sich Aufgaben stellen, seine Bandbreite vergrößern.
Mein Sohnemann, der sich gerade ausprobiert, ist 16. Er hat eine Affinität zum Dokumentieren und Festhalten, er denkt viel nach, denkt vorwärts und rückwärts. Ich rate ihm zu schauen, wo er ist und daraus etwas zu machen.

Sie zeigen Ihre Portraits parallel zur Berlinale in der der Bar Babette. Was dürfen die Besucher dort erwarten?
Nach drei Jahren im Hotel Bogota bin ich in der Bar Barbette und näher am Puls der Zeit, was die Lokalität, gegenüber dem Kino International, angeht. Der Betreiber hat dort eine zehn Meter lange Wand, die ich während des Festivals fülle. Zu Beginn, wo nur Jury und Eröffnungsfilm fotografiert sind, gebe ich einen kleinen Rückblick. Dieses Best-Of baut sich sukzessive ab und wird durch tagesaktuelle Aufnahmen ersetzt. Dort wird alles hängen, während im Palast aufgrund der Menge gekürzt und gemischt werden muss. Da hängen oft aus einer Sequenz mit ursprünglich sechs Bildern am Ende nur noch wenige.

Die Fragen stellte Denis Demmerle.

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