Olivier Assayas im Interview zu „Die Wolken von Sils Maria“
Binoche hat den Film initiiert
Die Wolken von Sils Maria nennen Experten in Anlehnung an Arnold Fanck „Schlange von Maloja„. Wie haben Sie die für den Film gefunden?
Ich habe sie selbst bei einer Wanderung gesehen, ohne zu ahnen, wie besonders sie ist. Erst als ich Fancks Kurzfilm auf DVD sah, wurde mir das bewusst. Sie gibt ihrer Umgebung aus dem Nichts heraus eine andere Bedeutung. Für mich wurde die Landschaft dadurch lebendig und zu einer Figur im Film.
Die Landschaft verschluckt Menschen geradezu. Woher kam diese Idee des Übernatürlichen?
Ich mag die Idee von Mystery in Filmen. Schönheit oder auch Armut hat in Filmen immer mit der Interpretation der Zuschauer zu tun. Es geht auch darum, Fragen zu stellen. Ich will beide Seiten zu Wort kommen lassen. Da ist ein Rätsel, auf das du eigene Antworten finden musst. In einem Film wie „Die Wolken von Sils Maria“ bin ich wie ein Chemiker, der Elemente hinein gibt und manchmal reagieren die miteinander. Ich will gar nicht zu viel Interpretation vorgeben, da ich hoffe, jeder interpretiert anders. Das macht die Schönheit des Films aus.
Das Zusammenspiel von Vergangenheit und Gegenwart ist sehr prägend für Ihre Arbeit, die auch häufig biographisch geprägt ist. Im Fall von „Die Wolken von Sils Maria“ verlassen Sie dieses Muster und wechseln sogar die Perspektive, indem Sie erstmals aus Sicht einer Frau erzählen. Was verbindet die Werke?
In erster Linie meine Inspiration. Ein Film, der die Vergangenheit wieder auferstehen lässt und autobiographische Erinnerungen durch gespielte Emotionen und Momente zurück bringt. Vieles ist Teil meiner Erinnerungen, die ich neu aufbereite. Das autobiographische Element liegt darin, dass ich mich auf einen Film beziehe, den ich vor Jahren gemacht habe. In der Figur liegen keine persönlichen Erinnerungen. Das hat wiederum mit der Betrachtung von Zeit zu tun. Ich benutze Fiktion, um näher an Emotionen ran zu kommen, als das sonst möglich wäre. Mit den dokumentarischen Momenten in „Die wilde Zeit“ wollte ich zeigen, wie ich als Teenager war. Da ging es mir weniger darum, Emotionen zu ergründen, sondern um die Zeit, ihre politischen Ideen und die Reflexion aus heutiger Perspektive. Als Teenager habe ich das um mich herum eher aufgesogen. Bei einem Film wie „Sils Maria“ geht es mir darum, den Ursprung von Gefühlen zu finden, das ist sein Kern. Maria gräbt tief in sich selbst nach Emotionen. Fiktion ermöglicht einem manchmal eine tieferes Eindringen in die Realität als diese selbst. Du kannst Essentielles der menschlichen Natur so ausdrücken.
Im Film finden sich einige Referenzen. Wie ist Ihre Verbindung zu Fassbinder?
Ich habe ihn immer sehr bewundert und finde ihn ähnlich inspirierend wie Ingmar Bergman. Beide sind Autoren und Regisseure. Das Schreiben steht auf einer Stufe mit der Regie. Für mich ist das auch so. Ich finde Inspiration bei Autorenfilmern, wie den beiden. Sie sind unglaubliche Filmemacher. Mein Film ist eine Hommage an Bergman, aber auch an Fassbinder, auf den das im Film zitierte Stück zurück geht, auch wenn ich es nicht in seinen Worten aufsagen lasse.