Lars Eidinger im Interview zu „Dora oder die sexuellen Neurosen unserer Eltern“

Eidinger: "Das hat mit Macht zu tun, das bereitet mir Lust"


Lars Eidinger mit Haarspange bei der Berlinale-Pressekonferenz zum Film. Foto: DD

Lars Eidinger mit Haarspange bei der Berlinale-Pressekonferenz zum Film. Foto: DD

Lars Eidinger gilt als einer der vielseitigsten deutschen Schauspieler und begeistert auf Bühne wie Leinwand gleichermaßen. Im Interview zu „Dora oder die sexuellen Neurosen unserer Eltern“ erklärt uns Eidinger wie er sich Rollen erschließt, warum wir uns Schönheitsidealen nicht entziehen können, er der Bild-Zeitung keine Interviews gibt und wie er seine Heimatstadt Berlin wahrnimmt.

In „Dora oder die sexuellen Neurosen unserer Eltern“ von Stina Werenfels spielen Sie einen fiesen Verführer. Herr Eidinger, wer ist dieser Peter?
Lars Eidinger:
Die Frage wird oft gestellt. Ich beantworte sie mit einer Plattitüde: Wer bin ich? Oder mit Shakespeare: Einen Menschen wirklich zu kennen, hieße sich selbst zu kennen. Was wissen wir über uns? So verstehe ich meinen Beruf nicht. Das ist für mich nicht nur ein Typ, den ich spiele. Das ist durchaus komplexer. Auf den ersten Blick wirkt er wahnsinnig negativ. Böse. Er macht aber eine Entwicklung durch. Peter fängt an, sich zu hinterfragen. Es ist spannend, zu zeigen, wie eine Figur aufbricht. Gefallen hat mir, wie straight und ehrlich er in seiner Haltung ist und damit ein gewisses Maß an Bürgerlichkeit und Konventionen hinterfragt. Das hat was von: Ihr seid nicht besser als ich. Da konnte ich gut andocken.

Im Film fungiert er als eine Art Hebel, der mit seinem Wesen etwas auslöst…
Peter ist der Hauptverantwortliche für den Konflikt des Films, der zu Recht den Titel „Die sexuellen Neurosen unserer Eltern“ trägt. Da ist ein Mädchen, das geistig zurück geblieben, aber körperlich entwickelt ist, dem die eigenen Eltern keine Sexualität zugestehen wollen. Da kommt jemand, der dieses Kind, diesen Menschen ernst nimmt, auf eine körperliche Art. Das bringt den Zuschauer in einen Konflikt, auch weil es mit einer Vergewaltigung beginnt. Der eigentlich monströsere Moment ist für mich allerdings der nächste Tag, an dem Dora wieder zu ihm kommt. Sie sucht nach etwas und sagt sich, das hat mir gefallen. Sie ist keine Masochistin, sondern fühlt sich körperlich für voll genommen.

Weiterlesen: Unser Kritik „Ohne Opfer kein Täter zu „Dora oder die sexuellen Neurosen unserer Eltern“ von Stina Werenfels

Was empfinden Sie als den Tabubruch in diesem Film?
Jemanden mit Gewalt zum Sex zu zwingen, ist ein Tabubruch. Auch wenn ihr Widerstand nicht groß ist, ist das extrem übergriffig. Aber auch bei den harmonischeren Sexszenen merke ich, dass ich Schwierigkeiten habe, zuzugucken, wie das behinderte Mädchen mit dem Mann schläft. Das will ich irgendwie nicht sehen. Das ist mir unangenehm.

DORA_Poster_c_AlamodeFilmKeine Frage, die Vergewaltigung ist indiskutabel. Woher kommt das wohl, dass Sie es als Zuschauer unangenehm empfinden, einem erwachsenen, geschlechtsreifen Mädchen beim Sex mit einem ihr geistig weit überlegenen, älteren Mann zuzusehen?
Das hat damit zu tun, dass sich das am Rand der Gesellschaft bewegt und nicht dem allgemein gültigen Schönheitsideal entspricht. Man hat ähnliche Schwierigkeiten Sex-Szenen mit alten Menschen anzusehen oder mit dicken Menschen. Mit allem, was nicht vordergründig ästhetisch ist. Das entspricht nicht unseren Sehgewohnheiten.

Wie entstehen die?
Wir sind extrem beeinflusst von der Werbung. Ob bewusst oder unbewusst, prägt sie den ästhetischen Sinn und unser Wertesystem ohne dass wir uns dem entziehen können. Schaue ich mir aber normale Menschen auf der Straße an, entsprechen 99,9 Prozent nicht diesem Schönheitsideal. Diese Diskrepanz führt zu einem Konflikt, den wir versuchen durch Konsum auszugleichen, weil wir auch so werden wollen und es verstört uns im Kino Menschen zu sehen, die unserer Realität entspringen und keiner Werbeästhetik.

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