Interview mit Szabolcs Hadju zu seinem Film „It’s not the time of my life“

Hadju: "Unsere Motivation war immer die Liebe"



Eines Ihrer Hauptthemen ist die Kindererziehung. Wie hält man es in Ungarn mit anti-autoritärer Erziehung?
Hadju: In Ungarn ist alles im Rückschritt. Die Errungenschaften im kulturellen Leben und in der Bildung, die mit dem Regierungswechsel aufgekommen waren, gehen seit ein paar Jahren wieder zurück oder verschwinden… Das ist offensichtlich eine politische Absicht, die auf einem Nostalgiegedanken für die Kádár- und Horthy-Systemen basiert: Die aktuellen populistischen Machthaber nutzen die Nostalgie für den Kommunismus und die faschistischen Diktaturen aus. Das Schulsystem geht in eine ähnliche Richtung, das ist der Grund, wieso Lehrer und Studenten protestieren – aber mit kaum merklichem Resultat. Es werden nur noch gleichförmige, vereinheitlichte Bücher veröffentlicht, jeder muss aus den gleichen lernen, es gibt eine obligatorische nationale Laufbahn. Die kann man nur umgehen, wenn man reich ist und für eine Privatschule bezahlen kann oder ins Ausland zieht.
Es herrscht eine offizielle Antipathie gegenüber anti-autoritären Strukturen, aber nicht bei den Menschen. Jeder sucht nach einer normalen, frustrationsfreien Umgebung für die eigenen Kinder. Obwohl es auch dafür nicht genug Experten gibt. Wir beneiden die skandinavischen Modelle!

Ein weiteres Thema ist die Auswanderung. Eine der Famlien versucht, in Schottland ein neues Leben zu beginnen und das eigene Land hinter sich zu lassen. Haben Sie Freunde oder Verwandte, die Ihnen von realen Erfahrungen erzählt haben?
Hadju: Wir haben eigene Erfahrungen gemacht und ähnliche Abenteuer erlebt. Wir waren ein Jahr in den USA, mussten aber aus familiären Gründen zurückkommen. Viele von unseren Freunden haben im Ausland gewohnt, manche sind nach Hause gekommen, andere planen jetzt eine Rückkehr. Mein jüngerer Bruder lebt in den USA, der ältere Bruder von Orsolya lebt in Belgien, enge Freunde von uns in Deutschland, Dänemark und England. Alle drei Monate bekommen wir Neuigkeiten von Freunden, die auswärts leben. Die Stimmung in Ungarn ist deprimierend, man hat das Gefühl, dass man alleinegelassen wird. Und das Gefühl, dass wenn jeder geht, ich auch gehen sollte. Normalerweise sind es nicht die Älteren und die tieferen Sozialklassen, sondern die fähige, talentierte, junge und gut ausgebildete Generation, die geht und eine Chance hat, im Ausland eine Anstellung zu bekommen. Die weniger gut ausgebildeten und älteren Menschen bleiben in Ungarn.
Ich kann mir immer noch vorstellen, zu gehen. Aber hier habe ich einen kleinen, starken Kreis von Menschen, mit denen wir zusammenarbeiten und ich sehe Perspektiven. Wir haben Pläne. Mit diesem Film haben wir eine gewisse Unabhängigkeit erreicht und wir möchten so lange wie möglich daran festhalten. Ich sehe keine andere Möglichkeit, dieser Mentalität zu überstehen, ohne die eigene Identität vollkommen zu verlieren.

Können Sie uns mehr über die technische Ausführung des Filmes erzählen? Sie sagten, dass Sie ein Budget von nur 4000 Euro zur Verfügung hatten…
Hadju: Ich hatte Streit mit dem Hungarian Film Fund. Ich glaube, die Gründung war nicht legal. Es wurde der Filmindustrie aufgezwungen und die Industrie musste sich fügen, denn das ist die einzige Möglichkeit, Filme mit größeren Budgets in Ungarn zu machen. In den letzten Jahr habe ich entschieden, dass ich mich für mindestens ein paar Jahre nicht beim Fund bewerbe. Das ist einer der Gründe, weswegen wir uns mit „It’s not the time of my life“ nicht beworben haben. Hätten wir uns beworben, wäre der Film mit Sicherheit heute noch nicht fertig, denn das Prozedere geht sehr lange bis sie abgeschlossen ist. Bis dahin geht dem “Ball” – wenn man es so sagen will – die Luft aus. Wir entschieden uns dafür zu drehen, solange der Ball noch voll war.
Der Produzent, Dániel Herner erwarb die Dinge, die unbedingt für den Dreh notwendig waren. Wir haben ein Datum festgelegt und uns daran gehalten. “Wir machen den Film mit allen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen und geben uns bis zum 1. September 2015 Zeit.”, haben wir uns gesagt. Das ist auch der Grund wieso wir in unserer Wohnung gedreht haben, denn wir hatten keinen anderen Ort, der passte und den wir uns leisten konnten.

Sie haben Studierende integriert…
Hadju:Es gab 13 Kameraleute, die alle meine Studenten sind. Jeder bekam eine Szene und sie haben in einer rotierenden Gruppe aus fünf Leuten gearbeitet. Einer war für die Kamera zuständig, der andere für die Schärfe, der nächste für die Elektronik und so weiter. Es gab ein visuelles Koordinationsystem, das wir im Voraus definierten und an dem sie sich orientiert haben. Darüber hinaus konnten sie frei arbeiten. Wir haben mit einfachen, digitalen Handkameras gedreht, haben wenig Beleuchtung und keine Weitwinkel- oder Teleobjektivlinsen genutzt: Dies half, den Film visuell einheitlich zu halten. Davon abgesehen war die Position der Kamera wichtig: Sie begleitet die einzelne Szene immer aus der Perspektive eines Einzelnen, aus der Perspektive einer der Figuren. Den Kameraleuten habe ich nicht gesagt, dass sie schöne Bilder schaffen sollen – denn da wären wir in der Wohnung schnell an unsere Grenzen gestoßen -, sondern sie sich auf die menschlichen Beziehungen zu konzentrieren sollten. Wie können diese beschrieben werden, wenn man nur die kleinsten Änderungen vornimmt? Der Film wurde 81 Minuten lang, aber der Zuschauer könnte noch weitere 30 Minuten weiterschauen, ohne dass wir etwas spektakulär Neues gezeigt hätten: Das war nicht die Absicht der Kamera.

Was passiert als nächstes mit dem Film? Kommt der Film in Ungarn in die Kinos?
Hadju: Seit dem Festival in Karlovy Vary wurde der Film in mehr als 20 Festivals gezeigt und noch weitere Einladungen stehen bevor. Wir versuchen, möglichst überall selbst anwesend zu sein. In Ungarn haben wir vor der Kinopremiere am 29. September eine spezielle Vorführreihe organisiert: In Privathäusern. Die erste Pressevorführung – genau ein Jahr nach dem Ende der Dreharbeiten – fand in unserer Wohnung statt, dann haben wir über Facebook nach anderen Orten gesucht. Viele Menschen haben sich beworben und wir waren zehn Tage in Budapest unterwegs, wo wir mit dem Publikum sprechen konnten. Wir hatten vier Vorführungen pro Tag und ungefähr 2.000 Menschen sahen den Film bei sich zu Hause oder in den Filmklubs bevor er in die Kinos kam. Wir hatten keine weitere Werbung und haben keine weitere Promotion eingeworben. So haben vermutlich die 2.000 Leute die 20.000 Kinogänger generiert. Der Film wird immer noch gezeigt und weitere Vorführungen in Privathäusern sollen stattfinden. Wir bemühen uns gerade um den internationalen Verleih und würden uns freuen, wenn der Film in Deutschland ins Kino kommen oder sich Vorführungen in Privathäusern als eine Serie von Veranstaltung ergeben würde.

Die Fragen stellte Teresa Vena für Berliner Filmfestivals.

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