Regisseur Jakob M. Erwa im Interview zu „Die Mitte der Welt“

Erwa: Sexszenen authentisch erzählen



Der Film feierte seine Premiere in Moskau, also im homophoben Russland. Wie wurde er aufgenommen?
Das war sehr spannend. Wir wussten nicht, auf was wir treffen. Ob wir kritisch beäugt werden, ob wir mit Fragen bombardiert werden – oder auch mit anderen Dingen. Oder das Thema totgeschwiegen wird. Uns wurde gesagt, dass die bei einem Screening noch nie einen so vollen Saal hatten, Unsere Pressekonferenz war besser besucht als die des Eröffnungsfilms.

"Die Mitte der Welt"-Regisseur Jakob M. Erwa. Foto: Universum

„Die Mitte der Welt“-Regisseur Jakob M. Erwa. Foto: Universum

Wie kam es dazu?
Filme wie „Die Mitte der Welt“ können dort keinen regulären Start bekommen. Bei Festivals laufen sie mit einer Ausnahmegenehmigung, bei der Gesetze gedehnt werden, um Kunst von außen zu zeigen. Vielleicht um sich offener darzustellen, vielleicht auch als Pinkwashing. Letztlich ist es wichtig, solche Filme dort zu zeigen und es wird wichtig bleiben – und sei es in einem geschützten Rahmen. Nachher kamen viele Leute zu uns, um uns zu danken. Eine Frau mit Tränen in den Augen, weil sie selbst durch den Sohn ihrer besten Freundin negative Erfahrungen gemacht hat. Der wurde schlimm zusammengeschlagen. Ein homosexueller Übergriff, ohne dass seine Eltern überhaupt wussten, dass er schwul ist. Er lag im Koma und hätte sterben können. Es ist dort so schwierig schwul zu sein, offen schwul zu sein und wie selbstverständlich zu leben. Hier bei uns ist sicher auch nicht alles eitle Wonne und schön, es gibt immer noch Gesetze, die kein normaldenkender Mensch verstehen kann – und doch liegen Welten zwischen hier und Russland.

Haben Sie außerhalb des Festival-Schutzraums Erfahrungen sammeln können?
Wir haben uns mit einer Queer Organisation getroffen, die immer wieder Probleme haben, verhaftet wurden und doch nicht müde werden, weiter zu kämpfen. Die machen ein Festival, das bei acht Ausgaben sechsmal Bombendrohungen bekommen hat. Viermal wurde das Festival abgesagt und keiner weiß, ob die Drohungen echt waren oder nur ein Trick der Regierung, um das Festival abzusagen.

Wie begründen Putin & Co deren Politik?
Die Propaganda sagt: Die positive Darstellung gleichgeschlechtlicher Liebe ist öffentlich nicht erlaubt. Die würden nie sagen, es darf kein homosexuelles Leben existieren – aber man darf es nicht zeigen. Es soll nicht zum Vorbild werden. Aber genau das ist das Wichtige! Das ist die Erfahrung, die ich gemacht habe. Das ist der Brückenschlag zu unserem Film, der zeigt wie normal das sein kann. Das es normal sein muss!

Es geht Ihnen also um Normalität?
Genau, nur so kann das Thema in den Teilen der Gesellschaft ankommen, die noch Probleme damit haben. Vielleicht weil dieser Teil es einfach nicht kennt. Ich will niemandem einen Vorwurf machen, der etwas nicht kennt. Es ist in unserer Natur, vor Unbekanntem Angst zu haben. Das ist okay. Aber man muss sich damit auseinander setzen. Wir sehen etwas und können dann langsam damit umgehen. Es braucht Vorbilder. Deshalb sind solche Filme wichtig.

Die Fragen stellte Denis Demmerle.

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