Festivalbericht zur 11. Ausgabe der British Shorts in Berlin

British Shorts: Von Entertainern, rosa Elefanten und guten Müttern


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Paul (Toby Jones, „Die Tribute von Panem„) gelangt an seinen absoluten Tiefpunkt an. Er sitzt in der Küche und trinkt einen Schnaps nach dem anderen und das obwohl er eigentlich die Bat Mitzwa Gäste unterhalten sollte. Wer ganz oben ist, kann tief fallen. Genau das erlebt Paul gerade: früher war er ein umjubelter TV-Star, heute zieht er ermüdet über die Insel und tritt im billigen Kostüm auf unliebsamen Parties auf. Tiefer geht es nicht mehr oder etwa doch? Der 15-minütige Kurzfilm „The Entertainer“ von Jonathan Schey ist der Publikumsliebling der diesjährigen British Shorts.

222 Kurzfilme, 7 Tage, 5 Spielorte: In diesem Jahr übertrifft sich das Kurzfilmfestival selbst. Alle Screenings waren bis auf den letzten Platz ausverkauft. Der Andrang interessierter Zuschauer war riesig. Besucherschlangen mit Wartenummern an den Kinokassen keine Seltenheit. Vom 11. bis 17. Januar 2018 gab es eine bunte, abwechslungsreiche Auswahl verschiedener Produktionen diverser Genres zu sehen: Comedy, Drama, Animation, Thriller, Horror, Experimental, Coming-of-Age oder auch Fantasy. Die Screenings wurden nicht nach Gattung sortiert, sondern in einer frischen und wilden Mischung gezeigt – und das in (fast) jeder Vorführung. Lediglich Dokumentarfilme und Animationen waren teilweise in gesonderten Vorstellungen zu sehen.
In diesem Jahr fand die Festivaleröffnung erstmals im Hebbel am Ufer (HAU2) mit Screening und Konzert statt. An den darauffolgenden Tagen gab es drei bis sieben Vorführungen pro Abend. In jeder Vorführungen wurden, abhängig von der jeweiligen Filmdauer, immer zwischen sechs und zehn Kurzfilme gezeigt. Besonderheiten gab es in jeder Vorstellung: so konnten im Anschluss an so gut wie jede Vorführung Fragen an einzelne Filmemacher gestellt werden. Diese habe es sich nicht nehmen lassen, zu dem jeweiligen Screening ihrer filmischen Arbeit anwesend zu sein.

Das Sputnik Kino am Südstern fungierte während der Festivaltage als Dreh- und Angelpunkt der Veranstaltungsreihe. Doch auch andere Stadtteile profitierten vom bunten British Shorts Programm: Im City Kino Wedding, dem Acudkino und im Kino Zukunft präsentierte das Festival Kurzfilme und im ein interessantes Rahmenprogramm mit zum Beispiel Konzerten. Zwischen Montag und Mittwoch waren es vor allem Sonderveranstaltungen wie eine Retrospektive, eine Hommage – und das Open Screening, welche zahlreiche Besucher anlockten.

Acht Produktionen kämpften um den begehrten Jury-Award. Diesen Wettbewerb dominierten in diesem Jahr – sowohl in den Filmen, wie auch in der Jury – die Frauen. Sieben der nominierten Kurzfilme erzählen von Müttern oder berufstätigen Frauen, ihrem Alltag, Konflikten mit der Gesellschaft und vor allem mit sich selbst, verlorenen Babys, Geburtstagswünschen und dem Platz in der eigenen Familie.
Vielleicht erleichterte das der Jury die Entscheidung: Während der Preisverleihung bekannten die vier Jurorinnen, dass die Entscheidung in weniger als zehn Minuten und komplett einvernehmlich auf „British by the Grace of God“ fiel, der als Sieger aus dem Wettbewerb ging. Der knapp 16-minütige Film von Sean Robert Dunn zeigt eine schottische Mutter in den Monaten des Brexit-Volksentscheides und bei ihrer Suche nach dem Platz in der eigenen Familie. Wer den Preisträger bis dato noch nicht sehen konnte, hatte im Anschluss an die Preisverleihung Gelegenheit dazu.
https://vimeo.com/184271108
Einer der Höhepunkte des Wettbewerbs ging leider leer aus: „La Madre Buena„, eine mehrfach preisgekrönte Komödie über eine mexikanische Mutter, die für ihren Sohn alles tun würde, auch wenn es bedeutet zum Geburtstag eine Donald Trump-Piñata zu besorgen. Dieser Wunsch stellt die Mutter vor eine große Herausforderung: zum einen gibt es weit und breit keine Piñata, die wie der US-amerikanische Präsident aussieht und zum anderen hegt die Mutter selbst – verständlicherweise – Groll gegen Trump. Der Film zeigt in nur sechs Minuten auf humorvolle und witzige Art, dass die Liebe einer Mutter zu ihrem Kind größer sein kann, als die eigene politische Einstellung. Die anderen, ebenfalls hervorragenden Produktionen, waren „Unseen„, „The Baby Shower„, „Wild Horses„, „The Nest„, „Life Inside Islamic State“ und „Diagnosis„.

Weitaus schwieriger als die Jury hatte es das Publikum, statt aus nur acht Filmen einen Gewinner zu küren, war jede filmische Arbeit, die innerhalb eines Festival-Screenings gezeigt wurde, automatisch nominiert für den Audience Award. Zwei Beiträgen gilt besondere Aufmerksamkeit: „Earthy Encounters“ und „Chickens„. In dem 24-minütigen Abenteuerdrama „Earthy Encounters“ von Sam Johnson will der 15-jährige Kyle seinen schwerkranken, älteren Bruder retten. Mit Hilfe einer Alien-Pflanze aus dem Gartencenter, soll dieses Vorhaben gelingen. Doch Kyle hat nicht damit gerechten, dass auch andere Männer hinter der Pflanze her sind.
In „Chickens“ geht es irrtümlicherweise nicht um Hühnchen, sondern um kleine rosa Elefanten. Der Animationsfilm von Regisseur George Wu zeigt innerhalb von vier Minuten, dass ein kleiner rosa Elefant zu einem großen aber unvermeidbaren Problem wachsen kann: Adam und Emma sind Freunde. Wirklich nur Freude? Während eines Bürotages taucht plötzlich dieser kleine rosa Elefant auf. Gehen will er erst, wenn er beide verkuppelt hat. Währenddessen wächst und wächst er, denn Adam kapiert es einfach nicht.
Im Sputnik Kino wurde bereits nach fünf Festivaltagen und dem letzten offiziellen Screening der Gewinner des Audience Award gekürt. Während die Stimmzettel ausgezählt wurden, gab es auch nach der letzten Wettbewerbs-Vorführung die einmalige Gelegenheit mit den Filmemachern in Kontakt zu treten. Anschließend wurde der Gewinner gekürt: „The Entertainer“ durfte sich als Sieger und absoluter Publikumsliebling wähnen.

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