BFF on the Road: 25. Jubiläumsausgabe des Internationalen Trickfilm-Festival Stuttgart

25 Jahre ITFS – Mikrokosmen für alle


ITFS18_KeyVisual_13x18_DE-740x1024Eine eingeschneite Straße im Nirgendwo. Die Reifen quietschen, der Schnee knirscht. Man hat einen spärlichen Autoverkehr im Ohr, doch man blickt weiterhin: Auf eine eingeschneite Straße im Nirgendwo. Sekunde um Sekunde, die eine Minute werden. Doch Moment mal – war die Perspektive nicht gerade eine andere? Die Lichteinstrahlung? Ist das überhaupt noch die gleiche Straße? Thomas Köners „Banlieue du Vide“ (DE, 2003, Videoinstallation) spielt mit diesem Zweifeln, verwirrt unsere Wahrnehmung. Bewegung, so scheint es nach 13 Minuten, ist vor allem ein mentales Konstrukt, eine bildgewordene Behauptung des Großhirns. Köner lädt uns also ein, unsere Sehgewohnheiten zu überprüfen – was für eine ungewohnte und zugleich überraschende Erfahrung. Das Gleiche gilt auch für die anderen Experimente, die der Kurator André Eckhardt für die Reihe „Animation Philosophy“ zusammen getragen hat, die im Rahmen der 25. Jubiläumsausgabe des Internationalen Trickfilm-Festival Stuttgart (ITFS) zu sehen waren. Das fordernde, teilweise anstrengende Kleinod ist ein schönes, sperriges Wagnis, immerhin handelt es sich beim ITFS um eines der größten Publikumsfestivals der Welt. Und will das Publikumsfestival nicht immer die feine Mitte zwischen dem Sperrigen und dem Kitschigen?

Mit seinen rund 200 Programmpunkten schien das ITFS einen ganz eigenen Fokus zu favorisieren: Indem es Experimente ebenso beherbergte wie das Open Air mit seinen Publikumslieblingen („The Boss Baby„, „Loving Vincent“ und „Coco„), den klassischen Animationsstreifen ebenso wie das Game, die VR-Erfahrung oder das Live-Animationstheater, wollte es einfach so viele Menschen abholen wie möglich. Bei der Vielzahl an Veranstaltungen und Orten verpasste man mal was, zum Beispiel bei „Music & Animation“ – bei dem der erste abendfüllende Trickfilm überhaupt, Lotte Reinigers „Die Abenteuer des Prinzen Achmed„, live musikalisch akzentuiert wurde – weil gleichzeitig der Internationale Wettbewerb oder eines der vielen „In Persona“-Programme stattfanden oder die von Olga Pärn zusammengestellten Best of Animation Jubiläums-Programme liefen („Swarming„!, „Flux„!, „Bobby Yeah„!, „The Runt„!).

Der Gewinnerfilm "Cat Days" verhandelt Identitätsfragen, ist aber trotzdem unterhaltsame Kost. Foto: Jon Frickey

Der Gewinnerfilm „Cat Days“ verhandelt Identitätsfragen, ist aber trotzdem unterhaltsame Kost. Foto: Jon Frickey

Das sogenannte breite Spektrum wohnte vor allem im Internationalen Wettbewerb, und zwar thematisch und formal zugleich. Bleibenden Eindruck hinterließ hier der wunderbar ernste, aber liebevolle „Cat Days“ (DE, JPN, 2017, 2D Zeichentrick), der auch den Hauptpreis einheimste. „Cat Days“ überzeugte durch sein nuanciertes Timing und originelles Drehbuch („Ihr Sohn hat Katzenfieber. Aber nur Katzen bekommen Katzenfieber. Dafür gibt es nur eine mögliche Erklärung: Ihr Sohn ist eine Katze.“). Behutsam zeigte Jon Frickeys Film, dass gelebte Identität nur jenseits der Schublade möglich ist. Ein weiteres, bleibendes Highlight war Nicolas Jacquets „Sexe Faible“ (FR, 2017, Cut-Out Animation), der auf die Gefahr von medial erzeugten Erwartungshaltungen verwies: Als Zuschauerin ist man gleichsam Voyeurin, die den immer gewaltsameren Verrenkungen einer Sexsklavin beiwohnen muss. Am Schluss (Achtung Spoiler!) kulminiert ihr Autocunnilingus in Nahaufnahme darin, dass sie in ihrer eigenen Vagina verschwindet. Das Bild hat sich endlich den Menschen einverleibt. Eine drastische Metapher für das synergetische Verhältnis von Sexindustrie und Alltag.

Neben liebgewonnenen und von anderen Festivals bekannten Werken (etwa Michaela Müllers „Airport“ oder Jonatan Schwenks „Sog) waren es darüber hinaus vor allem die Alpträume, die sich einbrannten – Rostos „Reruns“ (FRA, 2017, 3D und Realfilm) etwa, der die verpassten Lebenschancen als Trauma im Loop ablaufen lässt, oder Mirai Mizues „Dreamland“ (FRA, 2017, Zeichnungen auf Papier), ein bunt flackernde Kapitalismus-Glitzerwelt, die sich in Slow-Mo und ausgegraut mir nichts, dir nichts in eine bedrohliche Industriewelt verwandelt.

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