Interview mit Julia Kuniß zur Russischen Filmwoche 2019 in Berlin

Kuniß: "Selbst russische Blockbuster und Fantasy-Thriller bleiben immer noch in der Arthouse-Nische"


Julia Kuniß (Foto) leitet mit Anna Leonenko die Russische Filmwoche in Berlin.

Wir haben Julia Kuniß, Künstlerische Leiterin der Russischen Filmwoche, zum Festival befragt, das seine 15. Ausgabe feiert. Im Interview geht sie auf die russischen Festivalerfolge der letzten Jahre ein, erklärt, warum es russischer Film schwer im deutschen Kino hat und gibt Tipps aus dem Programm…

Odessa„, das neue Werk von „Hipsters„-Regisseur Valeri Todorovski eröffnet die 15. Russische Filmwoche in Berlin im Russischen Haus. Was erwartet die Besucher?
Bereits vor zehn Jahren sorgte sein Film „Hipsters“ für eine mitreißende Eröffnung des Festivals. Damals wie heute rekonstruiert der Regisseur gekonnt die Atmosphäre einer vergangenen Epoche und trifft dabei sehr genau ihren Zeitgeist. Soviel darf verraten werden…

Welche kuratorische Idee steht dahinter, mit dem Film die Filmwoche zu eröffnen?
Die Auswahl des Eröffnungsfilms ist jedes Jahr eine spannende und anspruchsvolle Aufgabe. Er muss viele Qualitäten vereinen, ein herausragendes Werk sein, ein Gesprächsthema bieten, dabei einen gewissen Unterhaltungswert besitzen und idealerweise allen gefallen: Eine Eröffnungsveranstaltung ist ein besonderes Ereignis mit vielen sehr unterschiedlichen Gästen. Und nicht zu vergessen, der Verleih muss mitspielen und der Regisseur Zeit haben, um für die Zuschauer Frage und Antwort zu stehen. Wir haben es auch in diesem Jahr geschafft, die Voraussetzungen stimmen schon mal, jetzt sind wir auf die Reaktionen des Premierenpublikums gespannt.

Russlands Kino feiert große internationale Festivalerfolge, die sich auch im Programm spiegeln, wo mit „Ayka“ und „Die Bohnenstange“ Werke stehen, die beide in Cannes geadelt wurden. Was zeichnet diese Werke aus?
Ästhetisch wie thematisch sind diese beiden ausgeprägten Autorenfilme ganz besonders, sie setzen neue Maßstäbe. „Ayka“ – die ergreifende Geschichte einer illegalen Arbeitsmigrantin in Moskau, beeindruckt durch ihre Aktualität und Authentizität. Der vom Dokumentarfilm kommende Regisseur Sergey Dvortsevoy konfrontiert den Zuschauer schonungslos mit dem Überlebenskampf der jungen Kirgisin, der sich unmittelbar hinter der glänzenden Fassade der russischen Metropole abspielt. Samal Jesljamowa verkörpert mit unglaublicher Intensität eine faszinierende und starke Frauenfigur und wurde dafür in Cannes mit dem Preis für die beste Darstellerin ausgezeichnet.
Die Bohnenstange“ ist ein eindringliches visuell kraftvolles Drama über zwei Frauen, die aus dem Krieg in ihre Heimatstadt Leningrad zurückkehren und versuchen, sich ein neues Leben aufzubauen, die so im russischen Kino noch nicht erzählt wurde. Kantemir Balagovs Film ist Anwärter für den Oscar in der Kategorie „bester ausländischer Film“ und wurde in Cannes für die beste Regie („Un Certain Regard“) ausgezeichnet. Der 27-jährige Balagov gilt als Wunderkind des russischen Kinos und feierte mit seinem Film „Tesnota“ („Closeness„) in Cannes 2018 seinen ersten internationalen Erfolg.

Wie fördert Russland dieses Kino?
Solche Regisseure, die international für Ruhm sorgen, werden gefördert. Wie Balagov ist auch der Regisseur des Films „Ein russischer Junge„, Alexander Zolotukhin, ein Schüler von Aleksandr Sokurov, dem berühmten Altmeister des russisch-sowjetischen Films. Zolotukhins Spielfilmdebüt über einen naiven Jungen, der freiwillig in den ersten Weltkrieg zieht und schon im ersten Gefecht sein Augenlicht verliert, begeisterte im Forum der diesjährigen Berlinale Liebhaber des experimentellen Arthouse-Kinos. Die Wechselwirkung zwischen Musik, Ton, Malerei und Film macht dieses ungewöhnliche Kriegsdrama zu einem Sinneserlebnis. Ein weiteres bemerkenswertes Debüt ist das Kriminaldrama „Der Stier“ von Boris Akopov. Der Film erforscht die jüngste Vergangenheit der „wilden“ 90er und sorgte bereits auf dem Festival in Karlovy Vary für Aufsehen und gewann beim wichtigsten nationalen Festival in Sotschi den Hauptpreis.

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