39. Interfilm: Kurzfilme für Berlin


Interfilm Trailer von Anne Isensee © Interfilm 2023
Interfilm Trailer von Anne Isensee © Interfilm 2023

Kurzfilme und Konfetti, Diversität und Denkanstöße

Vom 14. bis 19. November 2023 findet das Internationale Kurzfilmfestival Interfilm zum 39. Mal statt. Mehr als 300 Filme aus über 60 Ländern präsentiert das Festival in 50 Wettbewerbs- und Spezialprogrammen in zehn Berliner Kinos und Spielstätten. Euch erwarten auch in diesem Jahr Kurzspielfilme, kurze Animations- und Dokumentarfilme, experimentelle Filme, Workshops, Partys und vieles mehr.

Im internationalen Wettbewerb, dem Herzstück des Festivals, sind acht vielfältige Filmprogramme zu sehen, die aus den insgesamt über 3000 Filmeinreichungen ausgewählt wurden. Famoses, Fantastisches und Feinfühliges, Erschütterndes, Mutiges und Nachdenkliches, Absurditäten des Alltags, lustige Zwischenfälle oder philosophische Betrachtungen – das Themenspektrum der diesjährigen Kurzfilmauswahl ist wie gewohnt enorm. Auch in diesem Jahr qualifizieren sich die Gewinner der Awards „Bester Spielfilm“ und „Beste Animation“ im internationalen Wettbewerb automatisch für die Long List der Oscars.

Im Dokumentarfilmwettbewerb laden drei Programme zu filmischen Entdeckungen ein. So zeigen etwa die Filme des Programms Resistance in Patriarchy Empowerment und Widerstand in patriarchalen Strukturen auf. In TOXIC MAGNUS von Nasos Gatzoulis spricht Magnus Alexander, Life Coach aus Kopenhagen, offen über seinen manipulativen, gaslightenden und brutalen Vater – und die Folgen toxischer Männlichkeit. Im Deutschen Wettbewerb bilden die drei Filmprogramme das breite Themenspektrum des aktuellen Kurzfilmschaffens in Deutschland ab. Dabei ist DER ANTRAG von Antonia Lindner, in dem B. in der Ausländerbehörde in eine kafkaeske Situation gerät.

Diversität ist Normalität in den antirassistischen, feministischen, queeren, intersektionalen und dekolonialen Filmen des Fokus Das *andere* deutsche Kino. Im InterForum berichtet Morgane Frund in Adressing the Male Gaze Through Its Own Image, wie aus einer Naturdoku ungeplant ihr feministischer Film OURS wurde: Sie entdeckte, dass der Amateurfilmer, dessen Material sie sichtete, nicht nur Bären filmte, sondern auch Frauen – ohne deren Wissen.

OURS hat schon Marie Ketzscher bei der 73. Berlinale gut gefallen. Lest hier ihren Beitrag über die Sektion Berlinale Shorts.

Lieblingsfilme von acht europäischen Filmfestivals, u. a. Clermont-Ferrand (Frankreich) und Curtas Vila do Conde (Portugal), sind im Wettbewerb European Short Film Audience Award zu sehen. Dabei ist SHARING von Natalia Sara Skorupa, die ihre Familie in Polen an Weihnachten fragt, was sie über queere Menschen und deren Lebenssituation denkt, und überraschende Antworten erhält. In TONDEX 2000 von Jean-Baptiste Leonetti kommen eine gestresste CEO und ein wütender Kleinkrimineller ins Gespräch, nachdem er ihr Auto geklaut hat – inklusive Kleinkind im Kindersitz.

Im Umweltfilmwettbewerb brennt die Erde und Meerestiere leiden unter Plastikmüll, eindrücklich bebildert in Laen Sanches‘ PLSTC. Reality Bites, eins der elf Spezialprogramme, überlässt dem Publikum die Entscheidung zwischen Fakt und Fiktion. So stellt etwa Richard Misek in A HISTORY OF THE WORLD ACCORDING TO GETTY IMAGES die Frage, wie viel Macht Bilder haben und wie sie unseren Blick auf die Welt prägen.

Ein Spotlight richtet das Festival in diesem Jahr auf den zentralafrikanischen Staat Uganda – mit Kurzfilmen, in denen die Filmemachenden Sexualität, Feminismus oder Missstände reflektieren. Im Rampenlicht steht außerdem Afghanistan. Frauenrechte, gesellschaftliche und politische Konflikte sowie die Auswirkungen der gewalttätigen Gefechte beleuchten die Regisseur*innen in ihren Werken, die Interfilm unter dem Namen From Afghanistan to Exile in Kooperation mit dem Goethe-Institut im Exil zeigt.

Female Empowerment ist auch dieses Jahr das Motto des Spezialprogramms Girls* Riot!, das 15- bis 18-jährige Kuratorinnen während des KUKI-Workshops in den Sommerferien zusammengestellt haben. Die ausgewählten Filme handeln von Mutter-Tochter-Beziehungen, sexualisierter Gewalt, Endometriose, Freundschaft und Zusammenhalt und der Macht des männlichen Blicks.

Die Feierwütigen unter euch bekommen wieder mehrere Gelegenheiten, das Tanzbein zu schwingen. Eröffnet wird die 39. Ausgabe von Interfilm am Dienstag, den 14. November, um 21 Uhr in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz.

Bei eject _XXVI, der langen Nacht des abwegigen Films, dem unter Berliner Cineast*innen bereits berühmten Kindergeburtstag für Erwachsene, könnt ihr als Publikum einen Preis vergeben und mit Tröten, Klatschen, Konfetti und Luftballonwerfen im Verlauf des Abends euren Lieblingskurzfilm küren. Die bunte Sause startet am Freitag, den 17. November, ab 22 Uhr in der Volksbühne. Im Anschluss daran geht’s zur Weird Party im Unterfilm Clubkino.

Sound & Vision, das Event, bei dem 15 Musiker*innen acht Kurzfilme live und kongenial neu vertonen, findet am 18. November ab 21:30 Uhr in der Volksbühne statt. Ab 23 Uhr startet dann die große Festivalparty im Unterfilm Clubkino, das während des Festivals täglich ab 22 Uhr als Treffpunkt für alle Filmfans fungiert.

Auch online gibt es spannende Kurzfilme zu erleben: Ab 14. November um 15 Uhr sind Kurzfilme, u. a. PIX, sowie der Langfilm VÄTER UNSER der preisgekrönten Regisseurin Sophie Linnenbaum auf der Arthouse-Streaming-Plattform Sooner.de zu sehen.

Wer jetzt noch nicht voller Vorfreude wild durch die Gegend tanzt, kann auf der Website des Festivals unzählige weitere Events und Spezialprogramme entdecken und sein persönliches Interfilm-Highlight finden. Wie gewohnt gibt es viel zu entdecken!

Stefanie Borowsky

Hier einige Tipps aus dem Programm für euch…

MARGARETHE 89

MARGARETHE 89 © Interfilm 2023
MARGARETHE 89 © Interfilm 2023

Darum geht es:
Leipzig 1989. Der Wind of Change weht, allerdings noch nicht kräftig genug. Margarethe rebelliert gegen das noch mächtige DDR-Regime – und wird in die Psychiatrie gesteckt. Verzweifelt hält sie sich an ihrer Liebe zu dem jungen Punkmusiker Heinrich fest.

Was du zum Film wissen musst:
Der deutsch-französische Regisseur Lucas Malbrun erzählt in seinem mit Filzstiftbildern und Animationen in klaren Linien überzeugenden Kurzfilm, der seine Premiere 2023 in Cannes bei der Directors‘ Fortnight erlebte und auch auf dem DOK Leipzig im Internationalen Wettbewerb Animation lief, eine bewegende Geschichte von Liebe und Verrat vor dem Hintergrund der letzten Monate der DDR. – StB

Termine beim 39. Interfilm
INTERNATIONALER WETTBEWERB, Programm: The Inevitability of Tomorrow
16. November 2023, 20:00 Uhr, Cinestar Kino in der KulturBrauerei 
17. November 2023, 17:00 Uhr, Pfefferberg Theater 
18. November 2023, 20:30 Uhr, Rollberg Kino 

AS IT WAS

Darum geht es:
An Weihnachten macht sich die junge Ukrainerin Lera, die seit fast einem Jahr in Berlin lebt, auf den Weg zurück nach Kyiv. In ihrer Heimatstadt durchlebt sie mit alten Freund*innen und ihrer Familie den neuen Alltag im Krieg.

Was du zum Film wissen musst:
Der bewegende Kurzspielfilm AS IT WAS des ukrainisch-polnischen Regie- und Drehbuchduos Anastasiia Solonevych und Damian Kocur (CHLEB I SÓL) war bei den Filmfestspielen von Cannes 2023 als Bester Kurzfilm nominiert. – StB

Termine beim 39. Interfilm:
INTERNATIONALER WETTBEWERB, Programm: Emotions in Motion
16. November 2023, 17:00 Uhr, Pfefferberg Theater 
17. November 2023, 18:00 Uhr, Zeiss-Großplanetarium Kino 
19. November 2023, 15:30 Uhr, Rollberg Kino 

ERLKÖNIGIN

Darum geht es:
Was tun, wenn die kleine Tochter eine schwere Lungenentzündung hat? Der völkisch-nationalen Ideologie der Mecklenburger Gemeinschaft folgen und weiterhin nur Lieder zur Genesung singen – oder mit der kleinen Sieglinde ins Krankenhaus fahren? Freyja muss eine weitreichende Entscheidung treffen – für sich selbst und ihre Tochter.

Was du zum Film wissen musst:
Benjamin Kramme ist Schauspieler (WAS AM ENDE ZÄHLT, GUNDERMANN), Hörspielsprecher, Drehbuchautor und Regisseur. Für seinen Kurzfilm ALTERNATIVEN erhielt er 2019 u. a. den Kurzfilmbiber bei den Biberacher Filmfestspielen, den Kurzfilmpreis des Kinofests Lünen und den Publikumspreis der Bamberger Kurzfilmtage. In ERLKÖNIGIN schaut er auf eindrückliche Weise hinter die Fassade völkisch-nationaler Ideologie. – StB

Termine beim 39. Interfilm:
INTERNATIONALER WETTBEWERB, Programm: Roads Not Traveled
15. November 2023, 19:30 Uhr, Pfefferberg Theater 
17. November 2023, 20:30 Uhr, ACUD Kino 
18. November 2023, 18:00 Uhr, Rollberg Kino

THE THIRTEENTH YEAR

Darum geht es:
Helia aus dem Iran ist 13 – und das heißt für ihre Eltern, dass sie von nun an nicht mehr Rad fahren darf. Als ihr Vater plant, Helias Rad gegen ihren Willen an den Nachbarsjungen zu verkaufen, begehrt das junge Mädchen gegen die vorherrschenden starren Geschlechterrollen auf.

Was du zum Film wissen musst:
Regisseur Samad Alizadeh, der gemeinsam mit Bahram und Bahman Ark auch das Drehbuch zum Geschlechterungerechtigkeit veranschaulichenden THE THIRTEENTH YEAR schrieb, gewann für seinen ersten Kurzfilm NAHID (2020) u. a. den Preis für das Beste Drehbuch beim Tehran International Short Film Festival und den Preis für den Besten Kurzfilm beim Zanzibar International Film Festival. THE THIRTEENTH YEAR, seinen zweiten Kurzfilm, produzierte der preisgekrönte iranische Schauspieler Navid Mohammadzadeh (EINE MORALISCHE ENTSCHEIDUNG). – StB

Termine beim 39. Interfilm
INTERNATIONALER WETTBEWERB, Programm: Pulling Away The Curtain
15. November 2023, 20:30 Uhr, Zeiss-Großplanetarium Kino 
16. November 2023, 18:00 Uhr, Rollberg Kino 
19. November 2023, 17:00 Uhr, Pfefferberg Theater 

LA BOUCHE EN CŒUR (IT: CUPID’S BOW)

Darum geht es:
Auf einer Party bekommt Jess mit, wie Alana sexuell bedrängt wird. Am nächsten Tag am Strand versucht sie vorsichtig, ihre Freundin darauf anzusprechen. Doch Alana scheint noch nicht bereit dazu zu sein, sich Jess gegenüber zu öffnen.

Was du zum Film wissen musst:
Die französische Animationsfilmregisseurin Manon Tacconi hörte viele Geschichten über sexualisierte Gewalt von den Frauen in ihrem Umfeld. Ihre Eindrücke verarbeitete sie in LA BOUCHE EN CŒUR, den sie an der Schule für Animationsfilm École de la Poudrière realisierte. Darin konzentriert sie sich auf starke Frauen und deren Zusammenhalt – Männer sind nur im Hintergrund anwesend, jedoch omnipräsent. – StB

Termine beim 39. Interfilm
SPEZIALPROGRAMME, TeenScreen: Teenage Riot!
15. November 2023, 18:00 Uhr, ACUD Kino 
19. November 2023, 18:30 Uhr, Unterfilm Clubkino 

VERRÜCKTES BLUT

Darum geht es:
Der neunjährige Halbwaise Kenan aus Berlin-Kreuzberg soll nach muslimischer Tradition beschnitten werden. Doch der Junge fühlt sich damit nicht wohl. Während der Feier kommen auch Kenans Vater, der die Beschneidung vor allem für seinen eigenen Vater organisiert hat, immer mehr Zweifel.

Was du zum Film wissen musst:
Regisseur Can Tanyol wirft in seinem Abschlussfilm der Filmuni Babelsberg auf feinfühlige Weise die Frage auf, was Männlichkeit eigentlich ausmacht. VERRÜCKTES BLUT war 2023 bei den Internationalen Hofer Filmtagen zu sehen und erhielt dort den Jury-Kurzfilmpreis der Stadt Hof. – StB

Termine beim 39. Interfilm
DEUTSCHER WETTBEWERB, Programm: Identities in Motion
16. November 2023, 19:30 Uhr, Pfefferberg Theater 
17. November 2023, 20:30 Uhr, Rollberg Kino 
18. November 2023, 20:00 Uhr, Cinestar Kino in der KulturBrauerei 

FOCUS ON : Das *andere* deutsche Kino, Intergeneration
16. November 2023, 20:30 Uhr, SİNEMA TRANSTOPIA 
18. November 2023, 18:00 Uhr, Pfefferberg Haus 13 

MA MÈRE ET MOI (IT: MY MOTHER AND I)

Darum geht es:
Die junge Kees hat große Pläne: Sie möchte nach Südfrankreich ziehen, um Französisch zu lernen. Doch auf der Autofahrt nach Marseille merkt sie, dass ihre Mutter noch nicht bereit für den bevorstehenden Abschied ist.

Was du zum Film wissen musst:
Die niederländische Regisseurin Emma Branderhorst aus Amsterdam gewann für ihre Kurzfilme UNDER THE SKIN, SPOTLESS und MY MOTHER AND I, die sie alle auf der Berlinale vorstellte, zahlreiche Preise. Für SPOTLESS erhielt sie auf der Berlinale 2022 den Gläsernen Bären für den Besten Kurzfilm im Wettbewerb von Generation Kplus. Sie beschäftigt sich vor allem mit dem Thema Erwachsenwerden aus weiblicher Perspektive. – StB

Termine beim 39. Interfilm
SPEZIALPROGRAMME, TeenScreen: Girls* Riot!
16. November 2023, 18:00 Uhr, Pfefferberg Haus 13 
18. November 2023, 18:30 Uhr, Unterfilm Clubkino 

POWERNAPPER’S PARADISE

Darum geht es:
Wer hat nicht schon mal von einem Powernap auf der Arbeit geträumt? Auf den Philippinen ist das kein Problem. Egal ob Verkäufer*in, Imbissmitarbeiter*in oder Näher*in – alle machen hier ein Nickerchen und niemanden stört’s.

Was du zum Film wissen musst:
Regisseur Samir Arabzadeh lebt als Schwede auf den Philippinen – und stellt erhebliche und spannende Unterschiede im Arbeitsleben und der Einstellung dazu fest. – StB

Termine beim 39. Interfilm
DOKUMENTARFILM WETTBEWERB, Programm: Of Self, Care & Work
16. November 2023, 18:00 Uhr, SİNEMA TRANSTOPIA 
17. November 2023, 17:30 Uhr, Cinestar Kino in der KulturBrauerei 
19. November 2023, 20:30 Uhr, ACUD Kino 

LA MUJER COMO IMAGEN, EL HOMBRE COMO PORTADOR DE LA MIRADA (IT: WOMAN AS IMAGE, MAN AS BEARER OF THE LOOK)

Darum geht es:
Frauen der Filmgeschichte: Sie liegen im Bett, stehen unter der Dusche oder sitzen am Schminktisch – von männlichen Regisseuren inszeniert. Eine temporeiche Collage des Male Gaze.

Was du zum Film wissen musst:
Regisseur Carlos Velandia aus Kolumbien schnitt aus etwa 40 Hollywoodfilmen, von den 1920er-Jahren bis in die 2000er, seinen feministischen Kurzfilm zusammen, in dem er eindrücklich die Macht des männlichen Blicks aufzeigt – und wie wenig sich in all den Jahrzehnten daran geändert hat. – StB

Termine beim 39. Interfilm
EJECT_XXVI – die lange Nacht des abwegigen Films
17. November 2023, 22:00 Uhr, Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz

SWEET DREAMS

SWEET DREAMS © Interfilm 2023
SWEET DREAMS © Interfilm 2023

Darum geht es:
Rache im Motel „Sweet Dreams“: Als eine Hotelangestellte die ständigen Demütigungen, die sie durch die Gäst*innen und die Kolleg*innen erfährt, nicht mehr erträgt, wird’s blutig im Pool.

Was du zum Film wissen musst:
Die italienischen Regisseurinnen Sara Priorelli und Maria Zilli lernten sich als Studentinnen an der Kunstakademie in Urbino kennen. Ihre rebellische schwarze Komödie SWEET DREAMS war bereits auf mehreren internationalen Filmfestivals zu sehen, etwa beim Ottawa International Animation Festival. – StB

Termine beim 39. Interfilm
EJECT_XXVI – die lange Nacht des abwegigen Films
17. November 2023, 22:00 Uhr, Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz