Gewitter in geschlossenen Räumen – Filmplakate in Zeiten der 74. BERLINALE


Kulturforum © Ralf Krämer
Kulturforum © Ralf Krämer

„Was könnte uns das Filmplakat sein?“ fragte Walter Herzfeld 1929 in der Zeitschrift „Weltbühne“. Die Antwort lieferte er gleich mit: „Ein lustiges Aufblitzen in der Straßentrübsal, ein kleines Gelächter, ein kurzes Aufmerken, vielleicht sogar ein wenig Nachdenklichkeit“. Herzfeld zufolge müsste es also auf der Berlinale gerade regelrechte Gewitter geben, schließlich sind hier in zehn Tagen 236 Filmen zu sehen, die normalerweise auch mit Plakaten vor Ort auf sich aufmerksam machen würden. Darunter wären auch spezielle Festivalposter, die oft origineller gestaltet sind, als jene Plakate, die später den regulären Kinostart bewerben. Bisher glichen die Straßen im Berlinale-Zentrum am Potsdamer Platz einmal im Jahr einer Freiluftgalerie, wo sich auf großen Displays, auf Bauzäune oder in Fenstern, die filmische Vielfalt des Festivals in den unterschiedlichsten Plakaten widerspiegelte. Wer derzeit rund um den Berlinale-Palast unterwegs ist, bekommt allerdings nur die offiziellen rot-schwarzen Festival-Plakate mit den Fragementen eines gezeichneten Bären zu sehen. Auch entlang der gigantischen Fassade des Cinemaxx, wo in diesem Jahr nur die Branche auf dem Europäischen Filmmarkt shoppen geht, fristen lediglich drei Plakate ihr Schattendasein. Nur das Motiv der ORF-Miniserie KAFKA fällt wirklich auf. Es zeigt ein erwartbar melancholisches Schwarz-Weiß-Porträt von Joel Basman in der Titelrolle – übermalt von einem „lustig aufblitzenden“ roten Smiley-Mund.

Gar nichts zu Lachen in Sachen Plakat-Präsenz gibt es im Cubix am Alexanderplatz. Das Multiplex mit seinen neun Sälen hat seit der Schließung des Cinestars im Sony Center als kompakte Spielstätte der Berlinale noch an Bedeutung gewonnen. Aber auch hier hängen, auf dem ersten Blick, nur die üblichen roten Bären-Poster. Eigentlich sei es so gedacht, erzählt eine Mitarbeitende des Festival-Teams, dass zumindest vor den Sälen ein Plakat des jeweils laufenden Films hängt. Aber anscheinend kümmere sich niemand wirklich darum. Sie seufzt: „Schade, eigentlich“. Hinter ihr steht eine weiße Magnetwand an der tatsächlich ein Film-Plakat mit herabhängender oberer Ecke haftet. Es wirbt für HULING PALABAS, eine Produktion aus den Philipinen und Teil des Generation-Programms. Die bunte Zeichnung eines Jungen mit einer VHS-Kassette als Kopf weckt Neugier. Ist das der Film, der hier gerade läuft? Die Mitarbeiterin weiß es nicht. Gleich daneben, im Barbereich vor der großen Fensterfront mit dem schönen Ausblick auf den nicht ganz so schönen Alexanderplatz, weist nur ein Aufsteller auf die Berlinale hin, wieder mit dem offiziellen Festivalplakat. Der Blick schweift hoch und siehe da, etwa sechs Meter höher, ist die Balustrade im obersten Stockwerk an der schattigen Außenseite mit Plakaten von verschiedenen Festival-Filmen verhängt. Deren Details könnte aber höchstens die lebensgroße Spider-Man-Skulptur erkennen, die dort seinen vielen Jahren in mehreren Metern Höhe auf der Wand festsitzt.

Als wäre es das Non-Plus-Ultra an Außenwerbung, steht nun ein klobiger Riesenmonitor gegenüber vom Cubix, wo eine Dauerschleife stummer Fernsehbilder vor sich hin flimmert, vor allem vom Roten Teppich der Berlinale. Das alles gibt ein ziemlich armseliges Bild ab, erst recht, wenn man an andere Filmfestivals denkt. In Locarno beispielsweise scheint jedes Jahr die ganze Innenstadt zur Werbefläche für Filme zu werden. Dort gibt es dann kaum ein Geschäft, das seine Auslage nicht thematisch am Kino ausrichtet – jede Betonwand ist voll von Plakaten, die wahrscheinlich von Filmteams höchstselbst mit Klebeband aufgehängt werden, ohne, dass sie vom Ordnungsamt binnen Sekunden wieder heruntergerissen würden. Dass Letzteres in Berlin passiert, ist eine Unterstellung, wundern würde es freilich nicht.

Zum Glück gibt es derzeit aber auch zwei Ausstellungen, die der Kunstform Filmplakat in Berlin eine würdige Bühne bieten. Zum einen läuft bereits seit November die Ausstellung „Großes Kino, Filmplakate aller Zeiten“ im Kulturforum, wenige hundert Meter vom Berlinale-Palast entfernt. Von dort stammen auch die zu Anfang zitierten Zeilen von Walter Herzfeld. Sie stehen im Treppenhaus, zwischen den zwei Etagen, in denen 300 Filmplakate aus 120 Jahren Kinogeschichte präsentiert werden. Zunächst mag das nur bedingt spannend klingen, schließlich muss man kein Cineast sein, um sehr viele der hier präsentierten Werbemotive bereits zu kennen (von METROPOLIS und BUSTER KEATONS BOXER über ROCKY HORROR PICTURE SHOW und SOLO SUNNY bis hin zu TONI ERDMANN und BARBIE). Dem Prinzip der Sammlung Grafikdesign der Kunstbibliothek folgend, sind aber in der Regel keine Reprints zu sehen, sondern Plakate, die in dem Jahr gedruckt wurden, in dem die Filme ihre Premiere hatten. Ob es nun die riesigen Formate sind, die an den Fassaden damaliger Kinopaläste hingen, oder hochwertig gedruckte Normalformate in A0- oder A1, von dem historischen Werbematerial geht eine ganz eigene Aura eingeschlossener Filmgeschichte aus. Während der Aufbau im Großen und Ganzen chronologisch durch die Jahrzehnte führt, werden hin und wieder thematische oder gestalterische Zusammenhänge betont. Extras wie eine Soundinstallation bei TATIS SCHÜTZENFEST oder eine Vitrine voller Merchandise zu JURASSIC PARK (vom Monopoly-Spiel bis zur Spieluhr) stehen für den offenen, auch Entertaiment ernstnehmenden Blick des kuratierenden Teams. Passenderweise kann man sich vor der Tür auch noch von einem hübschen Automaten ein Tütchen frischen Popcorns zubereiten lassen.

Die Brücke von der Filmgeschichte zur Gegenwart ist hier auch auf besonders persönliche Weise geschlossen worden. Man bat Filmschaffende von heute, einen Favoriten für die Ausstellung auszuwählen. So entschied sich etwa Liv Lisa Fries‘ für das DDR-Plakat (gestaltet von Helmut Brade) eines japanischen Spielfilms von Kei Kumein aus dem Jahr 1974 – eine Kollage aus dem schlichten Schwarzweißbild eines Frauenkörpers (von Hals bis zu den Oberschenkeln), einem kleinen Porträt (wohl der Hauptdarstellerin) und dem vertikal angeordneten Filmtitel SANDAKAN HAUS NO 8. Ein ums andere Mal regen hier Plakate dazu an, sich für Filme zu interessieren, von denen sicherlich der größte Teil des Publikums nie zuvor gehört hatte. Ebenso positiv fällt auf: Plakate von Kurzfilmen finden hier ihren gleichberechtigten Platz.

Trailer zu SOMNI.

So ist zum Beispiel das traumhafte scherenschnittartige Motiv (Design: Inês Ferreira) zu Sonja Rohleders SOMNI zu sehen, einem drei Minuten kurzen Animationsfilm, der im letzten Jahr auf der Berlinale im Generation Kplus-Programm gezeigt wurde.

RUMMEL von Benjamin Teske.

Gut vier Minuten länger ist RUMMEL von Benjamin Teske, in dem sich ein Paar (mehr oder weniger) streitet – und dabei in verschiedenen Fahrgeschäften unterwegs ist. Der Film entstand vor 14 Jahren; jetzt und hier ist sein, von der Designerin Ute Hintersdorf gestaltetes Plakat, ein Hingucker – gerade weil darauf weder Protagonisten, noch rotierende Karussells zu sehen sind. Wie bei jedem gelungenen Filmposter, wird die beworbene Geschichte atmosphärisch verdichtet, anstatt nur formelhaft Informationen zu präsentieren; die statischen warmen Budenlichter reiben sich mit dem Titel RUMMEL, so wie im Film die dauernde Bewegung des Paares im Kontrast zu ihrer offenkundig stagnierenden Beziehung steht.

Von Ute Hintersdorf ist nun auch, in einem ganz kleinen, aber ebenso würdigen Rahmen, eine Werkschau zu sehen. Im Kino Babylon zeigt die Berliner Kommunikationsdesignerin bis zum 25.2. noch ihre „Pix And Colours Postershow“ und präsentiert eine Auswahl ihrer Plakate aus den letzten Jahren. Hier findet sich neben RUMMEL auch das Plakat zu Benjamin Teskes jüngster Youtube-Serie CRÉME DE LA CRÉME – ein Verweis darauf, wie Plakate auch zum öffentlichen Bild von filmischen Arbeiten beitragen können, die jenseits der schillernden Kino- oder Festivalbühne zu sehen sind. Folgerichtig wird Ute Hintersdorf auch am Samstag, den 24. Februar 2024 auf dem Symposium zur Ausstellung im Kulturforum zu Gast sein. Ihr Thema: Über den Einfluss marktwirtschaftlicher Zwänge auf die Gestaltung von Filmwerbung in Deutschland.

Unter ihren im Babylon ausgestellten Plakaten befindet sich auch das zu Ulrike Ottingers wunderbarem, autobiografischen Essay PARIS CALLIGRAMES (und zusätzlich ein alternativer Entwurf). Der Film feierte vor vier Jahren seine Weltpremiere auf der Berlinale. So findet auch hier noch ein Plakat zu einem Berlinale-Film in diesem Jahr einen angemessenen, öffentlichen Platz.

GROSSES KINO, FILMPLAKAT ALLER ZEITEN, noch bis zum 03.03.24 im Kulturforum Berlin
PIX AND COLOURS POSTERSHOW, noch bis zum 25.02.24 im Kino Babylon, Berlin-Mitte
SYMPOISUM FILMPLAKATE, BILDER DER MACHT, 23. und 24.02.24, im Kulturforum Berlin