30. Jüdisches Filmfestival Berlin Brandenburg


TREASURE © Łukasz Bąk, Alamode Film
TREASURE © Łukasz Bąk, Alamode Film

Vorhang auf für jüdisches Filmschaffen weltweit

Das Jüdische Filmfestival Berlin Brandenburg feiert in diesem Jahr Jubiläum – und zeigt in seiner 30. Ausgabe wie gewohnt „Jewcy Movies“, 71 aktuelle internationale Filme aus 15 Produktionsländern und verschiedenen Genres von Blockbuster bis Arthouse, die vom 18. bis zum 23. Juni 2024 dem Berliner und dem Brandenburger Publikum Einblicke in die vielfältige und lebendige jüdische Film- und Kulturszene weltweit ermöglichen.

Das Herzstück des Festivals bilden auch in dieser Ausgabe der Spielfilm- und der Dokumentarfilmwettbewerb. Viele Regisseur*innen werden während der Filmvorführungen anwesend sein. Kurzfilmprogramme und Filmreihen, unter anderem die durch thematisch passende Panels ergänzte Auswahl DER ANGST BEGEGNEN – FILMISCHE REFLEKTIONEN VON TERROR, TRAUMA UND WIDERSTÄNDIGKEIT, vervollständigen das Festivalprogramm, mit dem sich die Kurator*innen dem erstarkenden Antisemitismus vehement entgegenstellen. Auch die Erinnerung an die Shoa schreibt das Festival in seiner Selbstbeschreibung groß.

In DER ANGST BEGEGNEN – FILMISCHE REFLEKTIONEN VON TERROR, TRAUMA UND WIDERSTÄNDIGKEIT werden (zumeist dokumentarische) Filme über terroristische Anschläge gezeigt – eine Antwort des Festivals auf den 7. Oktober. Wobei sich nicht auf den ersten Blick erschließt, warum die dort gezeigten Werke, die von unterschiedlichen Terrorismusformen (ethnisch-separatistisch bis rechtsterroristisch) der ETA, über Utoya, NSU, die Brüssel-Anschläge 2016, Bataclan bis eben zum Angriff der Hamas auf das Supernova-Festival reichen, in dieser Form in einen Sinn-Zusammenhang gehören. Aber vielleicht lässt auch das sich beim Sichten des gewohnt vielfältigen Programms herausfinden.

Hier einige Tipps aus dem Festivalprogramm.

WETTBEWERB SPIELFILM

LESS THAN KOSHER

LESS THAN KOSHER © JFBB
LESS THAN KOSHER © JFBB

Darum geht es:
Für die junge Sängerin Viv (Shaina Silver-Baird) lief es schon mal besser. Sie lebt vorübergehend bei ihrer Mutter (Sarah Orenstein) und ihrem Stiefvater (Sugith Varughese) im Keller und hat sich im Streit von ihrer Musikmanagerin getrennt. Da die Bat-Mizwa ihrer Halbschwester Gabbi (Arielle Halili) bevorsteht, kommt Viv widerwillig mit in Synagoge. Während die Gemeinde ein Lied anstimmt, entdeckt der Rabbi (David Eisner) Vivs Gesangstalent. Obwohl sie sich selbst als schlechte Jüdin bezeichnet, die Schinken liebt und ihre eigene Bat-Mizwa geschwänzt hat, nimmt Viv eine Stelle als Kantorin an – und versteht sich immer besser mit Ash (David Reale), dem Sohn des Rabbis…

Was du zum Film wissen musst:
Mit LESS THAN KOSHER ist dem kanadischen Regisseur Daniel am Rosenberg eine witzige und in nur 67 Filmminuten rasant erzählte Musical-Komödie gelungen, die vor allem die Schauspielerin und Sängerin Shaina Silver-Beard mit ihrem überzeugenden Spiel und Gesang trägt. Im Film erfindet sie als Viv gar ein eigenes Musikgenre: den „Judeo-Pop“, mit dem sie auf TikTok Erfolge feiert. Für LESS THAN KOSHER gewann Daniel am Rosenberg bereits einige Preise, u. a. den Publikumspreis beim Toronto Jewish Film Festival 2023. – StB

Termine beim 30. Jüdischen Filmfestival Berlin Brandenburg:
Donnerstag, 20. Juni 2024, 21 Uhr, Filmkunst 66, Saal 1
Sonntag, 23. Juni 2024, 21:15 Uhr, Kino Central (Open Air)
Freitag, 21. Juni 2024, 16 Uhr, Thalia – Das Programmkino (Potsdam)

SÜDSEE

Darum geht es:
Eine junge Frau (Liliane Amuat) im Pool, im Hintergrund Palmen und ein strahlend blauer Himmel. Das WLAN-Netzwerk heißt „Südsee“ oder jedenfalls fast. Doch der paradiesische erste Eindruck täuscht. Die Schwimmerin taucht unter und überhört das Geräusch des Raketenabwehrsystems, das die hochsommerliche Stille durchbricht. Anne heißt sie, ist eine deutsche Filmemacherin und verbringt mit Nuri (Dor Aloni), einem Freund und Schauspieler, ein paar Wochen in dessen Heimatland Israel, im Haus seiner Mutter. Dort haben die beiden viel Zeit zum Reden – über Deutschland und Israel, Aktuelles und Historisches, Schuldgefühle und Sehnsüchte. – StB

Was du zum Film wissen musst:
Regisseurin Henrika Kull, geboren 1984, verwebt in SÜDSEE, dessen Drehbuch sie auch schrieb, geschickt Persönliches mit Politisch-Philosophischem. Während Anne und Nuri, die sich fast ausschließlich im geschützten Raum des Hauses bewegen, den Rahmen ihrer freundschaftlichen interkulturellen Beziehung abstecken, ist das Verteidigen von Grenzen auch im Außen ständig als angespanntes Hintergrundrauschen präsent. Kull, die unter anderem an der DFFB und in Babelsberg studierte, stellte sowohl ihren Abschlussfilm JIBRIL als auch ihren zweiten Langfilm GLÜCK/BLISS, mit dem sie auf über 100 Filmfestivals weltweit zu Gast war, auf der Berlinale vor. 2022 gewann sie den DEFA-Preis für junge Regie. – StB

Hier weiterlesen: Bianca Jasmina Rauchs Filmkritik zu GLÜCK von Henrika Kull.

Termine beim 30. Jüdischen Filmfestival Berlin Brandenburg:
Mittwoch, 19. Juni 2024, 18:45 Uhr, Filmkunst 66, Saal 1 (OmeU; in Anwesenheit von Henrika Kull und Darstellerin Liliane Amuat)
Freitag, 21. Juni 2024, 18:30 Uhr, Moviemento (OmeU; in Anwesenheit des Hauptdarstellers Dor Aloni)
Samstag, 22. Juni 2024, 13:30 Uhr, Filmkunst 66, Saal 1 (OmeU; in Anwesenheit des Hauptdarstellers Dor Aloni)
Donnerstag, 20. Juni 2024, 18 Uhr, Thalia – Das Programmkino (Potsdam) (OmeU; in Anwesenheit von Henrika Kull)

DER ANGST BEGEGNEN – FILMISCHE REFLEKTIONEN VON TERROR, TRAUMA UND WIDERSTÄNDIGKEIT

RECONSTRUCTING UTØYA

RECONSTRUCTING UTOYA © Henrik Bohn Ipsen

Darum geht es:
Am 22. Juli 2011 tötete ein Rechtsextremer auf der norwegischen Insel Utøya innerhalb von 72 Minuten 69 Menschen, vor allem Teenager*innen. Vier Überlebende, Rakel, Mohammed, Jenny und Torje, stellen die Ereignisse in diesem Filmprojekt mit der Unterstützung von 12 jungen norwegischen Laiendarsteller*innen in einem Filmcamp in Nordnorwegen nach – und gewinnen wieder Macht über die Situation, der sie ausgeliefert waren.

Hier weiterlesen: Stefanie Borowskys Filmkritik zu RECONSTRUCTING UTØYA aus dem Jahr 2019.

Was du zum Film wissen musst:
Der schwedische Dokumentarfilmregisseur Carl Javér stellte RECONSTRUCTING UTØYA, ein bewegendes Reenactment-Projekt, bei der Berlinale 2019 vor. Gerade durch die Reduktion der Inszenierung und den Fokus auf die Überlebenden und deren Traumata erschüttert der Film, für den Javér u. a. zwei Guldbagge Awards, die „schwedischen Oscars“, für den Besten Dokumentarfilm und die Beste Regie gewann. – StB

Termine beim 30. Jüdischen Filmfestival Berlin Brandenburg:
Samstag, 22. Juni 2024, 20 Uhr, Berlin, Filmkunst 66, Saal 2 (OmU)
Freitag, 21. Juni 2024, 19 Uhr, Thalia – Das Programmkino (OmU) (Potsdam)

MAALBEEK

MAALBEEK © JFBB
MAALBEEK © JFBB

Darum geht es:
Um den terroristischen Anschläge von IS-Selbstmordattentätern am 22. März 2016, bei denen 32 Menschen ums Leben kamen und über 300 verletzt worden. Regisseur Ismaël Joffroy Chandoutis konzentriert sich dabei auf den Anschlag in der U-Bahn-Station Maalbeek, den er aus der Perspektive eines der überlebenden Opfer schildert – und die ist blurry, verwackelt, ohne Fixpunkte. Wie eine schreckliche Erinnerung an ein unbeschreibliches, traumatisches Erlebnis vielleicht, das man durch den Qualm der zündenden Bomben wahrnimmt.

Was du zum Film wissen musst:
Ismaël Joffroy Chandoutis nutzt für seinen Kurzfilm Archivmaterial, das er mit Animation in tausende, zusammenhängende Punkte verwandelt. So entsteht eine Art entromantisierter Pointilismus, der Schock und Trauma und Gedächtnislücken – sprich die Erinnerung von Sabine, der Protagonistin – sehr passend abzubilden weiß. – MK

Termine beim 30. Jüdischen Filmfestival Berlin-Brandenburg (Vorfilm von CLOSED CIRCUIT)
Donnerstag, 20. Juni, 17 Uhr, Thalia – Das Programmkino (Potsdam)
Samstag, 22. Juni, 11 Uhr, Filmkunst66

Kurzfilmprogramm REAL JEWCY SHORTS

THE MEN BEHIND THE WALL

Darum geht es:
Inés Moldavskys THE MEN BEHIND THE WALL ist ein humanistisch-humoristische Versuchsanordnung: Wie wäre es, wenn ich als israelische Jüdin Männer date, die „hinter der Mauer“ leben, also Palästinenser? Unaufgeregt, unprätentiös und voller entwaffnender Offenheit inszeniert die Regisseurin ihre Tinder-Dates in ihrem anrührenden autobiografischen Doc-Essay, das das Thema Nahost anders angeht, als man es kennt.

Was du zum Film wissen musst:
Inés Moldavsky gewann 2018 mit THE MEN BEHIND THE WALL den Silbernen Bären als bester Kurzfilm. Moldavsky arbeitet derzeit an ihrem ersten Langfilm, CHRONICLES OF A SUMMER IN PALESTINE, einer Weiterentwicklung ihres Kurzfilms. – MK

Termine beim 30. Jüdischen Filmfestival Berlin-Brandenburg (im Programm REAL JEWCY SHORTS)
Donnerstag, 20. Juni, 20 Uhr, Filmkunst66
Freitag, 21. Juni, 20:15 Uhr, Moviemento
Sonntag, 23. Juni, 14 Uhr, Filmkunst66
Samstag, 22. Juni, 21 Uhr, Thalia – Das Programmkino (Potsdam)