BFF on the road: Die 31. Internationale Kurzfilmwoche Regensburg


©  DREAMS LIKE PAPER BOATS, Samuel Suffren, Internationale Kurzfilmwoche Regensburg
© DREAMS LIKE PAPER BOATS, Samuel Suffren, Internationale Kurzfilmwoche Regensburg

Die Denkräume frei machen

Edouard schaltet den Kassettenrecorder an, die Stimme seiner heiß geliebten Frau erklingt. Sie begleitet mit ihren Worten den Alltag des alleinerziehenden Vaters. Es ist ihre Stimme, zu der er mit seiner kleinen Tochter isst, zu der sie einschläft – es ist aber auch die Stimme, zu der er in einem kurzen Moment des Alleinseins masturbiert. Samuel Suffrens in schwarz-weiß gedrehter Film DREAMS LIKE PAPER BOATS (Haiti, 2024) ist einer der stärksten Beiträge der 31. Internationale Kurzfilmwoche Regensburg (20.-30. März), die ein reichhaltiges Programm nebst erstaunlich großen Slowenien-Schwerpunkt aufgefahren hatte: Konzentriert, dicht und effektvoll geschnitten erzählt er von Verlust, von Liebe und von der Gewöhnung an neue Umstände. Und er macht dabei Assoziationsräume auf – wir erfahren in Suffrens atmosphärisch-stilisierten Kurzfilm nämlich nicht, warum seine Frau gegangen ist (auch wenn es nahe liegt, dass sie in den USA bessere Jobchancen sah). Aber es spielt auch keine Rolle: Edouard wäre schließlich so oder so gezwungen, die Geburtstage der Tochter ohne seine Frau zu begehen.

Auch andere Filme des Internationalen Wettbewerbs forderten die Zuschauer*innen. Am visuell beeindruckendsten vielleicht VALERIJA von Sara Jurinčić (Kroatien, 2023), der verschiedene Frauengenerationen porträtiert. Jurinčić arbeitet mit alten Fotografien, die sie zum Teil überblendet, auf Bettlaken projiziert, in Spiegelungen erscheinen lässt – und zwar so virtuos, dass man gar nicht immer begreift, in welcher Form man die Gesichter gerade eigentlich gesehen hat, ob es nicht doch nur Schemen waren. Damit greift Jurinčić den Topos der Vergänglichkeit auf, aber sie sucht auch nach Ähnlichkeiten, nach Staffelübergaben, einer Art weiblichem Erbe. Und sie wird schließlich auch konkreter, als zwei Frauen – Mutter und Tochter – das Grab der Großmutter putzen und wieder schön herrichten.

Wie gewohnt bewegt sich auch der Animationsfilmregisseur Sasha Svirsky zwischen ADHS-Bilderflut und assoziativen Textversatzstücken: In seinem DULL SPOTS OF GREENISH COLOURS arbeitet er mit digitalen Zeichnungen, die vom Konkreten ins Abstrakte gleiten, manchmal grob sind, und dann wieder detailliert. Er verarbeitet in seinem Deutschen-Wettbewerbs-Beitrag die Überforderung angesichts des Nachrichtenchaos auf dem eigenen Smartphone, das sich ja ausschalten ließe, wenn man nur wöllte… Das gleichzeitig freiwillige und unfreiwillige Ertrinken in der Bilderflut bezieht er konkret auf den Angriffskrieg auf die Ukraine – der russische Filmemacher selbst lebt mit seiner Frau Nadya im Berliner Exil. Dass diese Überflutung vielleicht auch eine konkrete systemische Strategie der Gesellschaftsbetäubung ist, ist dabei ebenso Thema des Films wie die selbstkritische Frage: Hatte ich mich als russischer Staatsbürgerin schon so sehr an Putins Allgegenwart gewöhnt, dass ich blind wurde für seine Motive?

Etwas tun gegen die eigene Lethargie, auch gegen die gesellschaftliche – Constanze Wolpers kurzer Dokumentarfilm EINE EINZELNE TAT, der auch den Max-Bresele-Gedächtnispreis für politische Relevanz gewann, ist ein bildgewordener Nachweis aktivistischer Filmkunst im besten Sinne: Wolpers konnte es nicht glauben, dass dem Mord am 15-jährigen Êzîden Arkan Hussein Khalaf, der 2020 im niedersächsischen Celle erstochen wurde, keine rassistischen Motive zu Grunde lagen (Khalaf, so die Polizeiberichte, sei einfach zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen). Sie sah die 1700 Seiten umfassenden Ermittlungsakten ein und arbeitete sie für den Film auf; kommentiert mit nüchterner Stimme – wie das Wort „Kanake“ verschwindet, wie das Liken von rechtsextremen Inhalten als eklektisches User-Verhalten bagatellisiert wird. Die schmucklose, bewusst emotionslos gehaltene Intonierung der Fakten ist wirkungsvoll: man ist wütend, traurig und fassungslos und verliert wieder ein bisschen mehr den Glauben in die Institutionen. Komisch, dass ein Gast beim Q&A Wolpers so effektvolle Inszenierung als Zurückhaltung, gar als Nicht-Positionierung interpretierte – als müsse diese offen postuliert, ausgesprochen werden. Sind wir vielleicht auch durch die permanente Reizüberflutung der Sozialen Medien nicht mehr empfänglich für die Zwischentöne einer gekonnten Montage, für die Subtilitäten eines Textes?

EINE EINZELNE TAT © radpaar films
EINE EINZELNE TAT © radpaar films

Dieses Bedürfnis nach lauter, ausformulierter Positionierung auf Seiten des Publikums – es scheint jedenfalls verbreitet zu sein. Denn auch Filmemacherinnen packen in ihren Stoffen inzwischen vermehrt Erklärbären aus. Die Denkräume werden manchmal regelrecht in Worten ertränkt, beispielsweise im Film KEIN WUNDER von Lia Sudermann und Simon Nagy, der die Erfindung der Hausfrau als kapitalistischen Fiebertraum so sehr entlarven möchte, dass er am Ende droht, in vereinfachende, bebilderte Polemik abzugleiten. Besonders stark war diese Tendenz zur Selbsterklärung aber im Programm SEXY SHORTS zu beobachten. Bis auf den amüsanten SEX AT THE SKI CENTER, der die Stakkato-Mechanik einer Steiff-Tier-Auslage zum Anlass nimmt, sie zum Porno umzudeuten, oder den wunderbaren, queer-explizit-lustigen CARROTICA von Daniel Sterlin-Altman (eine richtig neue, originelle Stimme im Bereich der Animation!) verloren sich alle Filme in didaktischen Formeln. Schade, dass auch KEINE NUDELN FÜR COURBET von Alma Weber und Joey Arand keine Ausnahme bildete, der doch beim Kurzfilm Festival Hamburg beim Dreifachen Axel mit seiner einfachen Idee so sehr überzeugte: Wir hören eine ältere Frauenstimme, die ein Kochrezept vorliest – und sehen einen Courbets L’ORIGENE DU MONDE nachempfundenen Schoss, und eine dazu gehörige Hand, die sich Kochrezept-Zutat für Kochrezept-Zutat in die Vagina einführt. Das ist lustig, das ist völlig absurd. Und ja, so ganz passen die Dinge vielleicht nicht zusammen, aber trotzdem bilden sich Assoziationsketten, beispielsweise dazu, wie Häuslichkeit und weibliche Sexualität zusammenhängen könnten. Und was das mit (männlicher) Projektion zu tun hat. Mehr braucht es doch nicht. Die schönen drei Minuten Film sind aber seit Hamburg mit einer Art Erklärvideo zur Entstehung zusammengefügt worden: Alma Weber und Joey Arand verlieren nun gemeinsam mit Expertinnen viele Worte darüber, warum der Courbet-Film am Ende ausschaut wie er ausschaut. Dieses Erklärvideo ist völlig ernst, ohne Augenzwinkern, und enthält Allgemeinplätze über den male gaze. Es wirkt bisweilen gar, als würden sich die Filmemacher*innen für ihre Courbet-Referenz entschuldigen.

© FRIED BRAIN OF PUPILJA FERKEVERK, Karpo Godina, Internationale Kurzfilmwoche Regensburg
© FRIED BRAIN OF PUPILJA FERKEVERK, Karpo Godina, Internationale Kurzfilmwoche Regensburg

Sex spielte auch in einer Retrospektive zu slowenischen Klassikern eine Rolle, und zwar in SLAVICA EXCEPTION von Mako Sajko (1971). Der kurze Dokumentarfilm begleitet eine Stripperin durch ihren Alltag, ungeschönt, naturalistisch, und überraschenderweise auch völlig urteilsfrei. Ohne Voyeurismus zeigt der Film sie bei der Arbeit oder im Auto darüber sinnierend, dass sie ihr Gehalt nicht wie andere versäuft und sich davon einmal ein Haus kaufen können wird. Neben dem irritierend langen Propaganda-Streifen MLADINA GRADI (YOUTH BUILDS) über eine Kinderbrigade, die eine Brücke wieder aufbaut, waren in diesem schönen Programm auch Filme über einen Zufluchtsort für Obdachlose und Außenseiter*innen in den 70er Jahren, CUKRARNA, oder psychedelische Animationsfilme zu sehen (POJUBI MEHKA ME RADIRKA / KISS ME GENTLE RUBBER von Zvonko Coh). Als visuell und akustisch eingängigster Beitrag erwies sich aber der schon bei der Eröffnung gezeigte GRATINIRANI MOŽGANI PUPILIJE FERKEVERK (FRIED BRAIN OF PUPILJA FERKEVERK) von Karpo Godina, eine Art überlanges Musikvideo, in dem die neo-avantgardistische Theatergruppe Pupilja Ferkeverk zu Rorry Galagher & Tastes Song „On the Boards“ auf einem überschwemmten Feld ihren LSD-Trip zwischen Performance und Tanz auslebt (1970). Im Song heißt es „I don’t know what it means. But it’s too much to bear“ – die Worte und die Melodie nisten sich hartnäckig ein. Sie passen zu Svirsky, zu Ambivalenz, Grautönen und auch Überforderung. Es ist ein schönes Ohrwurm-Andenken an die Kurzfilmwoche Regensburg, die in einer der schönsten bayerischen Städte beeindruckend viel Diskursfutter aufgefahren hat.