From Berlin to Hollywood – Fritz Lang im City Kino Wedding


Fritz Lang bei Dreharbeiten zu DIE FRAU IM MOND © Bundesarchiv, Bild 102-08538 / CC-BY-SA 3.0
Fritz Lang bei Dreharbeiten zu DIE FRAU IM MOND © Bundesarchiv, Bild 102-08538 / CC-BY-SA 3.0

Mitte der 1930er Jahre erlebt Hollywood, zu diesem Zeitpunkt schon Kristallisationspunkt des internationalen Kinos, eine stürmische Zeit der Veränderungen. 1927 beginnt mit THE JAZZ SINGER die Ära des Tonfilms, 1935 mit dem Technicolor-Melodram BECKY SHARP die Zeit des Farbfilms. Beide technische Innovationen sind für die weitere Entwicklung des Kinos ohne Frage von herausragender Bedeutung. Die dritte große Veränderung Hollywoods hat allerdings mit den politischen Ereignissen in Europa zu tun. Dort werden immer mehr Staaten von autokratischen Regimen regiert. In Deutschland herrschen seit 1933 die Nazis und betreiben eine rigorose, weite Teile der bisherigen Kulturlandschaft ausschließende Politik, verfolgen Andersdenkende, Juden, Homosexuelle und unterwerfen die Kunst ganz generell ihrem antimodernen Weltbild. Für viele Künstler_innen ist die Flucht aus Deutschland nicht nur der prekären Arbeitssituation geschuldet. Für Viele geht es ums nackte Überleben.

Der nach 1933 einsetzende Brain Drain ist für den deutschen Film ein herber Rückschlag. Die vielen Migrant_innen prägen das amerikanische Kino nachhaltig, beleben es mit der Kunst und Technik, die sie im bewunderten deutschen Kino der 1920er Jahre erlernt haben. Unter den vielen Neuankömmlingen, die es in jener Zeit an die kalifornische Küste verschlägt, befindet sich auch der vielleicht aufregendste Regisseur seiner Zeit: Fritz Lang, der Mann mit dem Monokel.

Der aus gut bürgerlichem Hause stammende Fritz Lang (1890 in Wien geboren), zeigt schon früh Interesse an Kunst, studiert Malerei und hat Kontakt in die Wiener Theaterwelt. Nach dem Ersten Weltkrieg zieht Lang nach Berlin und beginnt in der jungen Weimarer Republik seine Karriere als Filmregisseur. Seine ersten Filme HALBLUT und DER HERR DER LIEBE (beide 1919) gelten heute als verschollen. Doch schon sein drittes Projekt, das Abenteuerspektakel DIE SPINNEN wird ein großer Erfolg und enthält Elemente, die auch seine späteren Filme prägen: einen Helden, der, um einen sagenumwobenen Schatz zu heben, um die halbe Welt jagt und dabei in Konflikt mit einer mysteriösen Geheimgesellschaft gerät. Auch seine folgenden Filme DAS WANDERNDE BILD (1920) und DER MÜDE TOD (1921) haben fantastische Elemente und schlagen das Publikum mit aufregenden Bildkompositionen in den Bann.

Das Weimarer Kino entwickelt seinen eigenen Expressionismus, ist geprägt vom Spiel mit Licht und Schatten. Motive der Romantik kollidieren mit Bildern der modernen Welt. Die Aufhebung der Zensur befreit die deutschen Filmemacher in der Wahl ihrer Themen und ihrer Mittel. Zugleich spiegelt dieses Kino die Ängste der Zeit und das Chaos der jungen Republik. Es bringt den fantastischen Film, das Horrorkino und das Gangsterepos hervor. Und Fritz Lang wird zum seinem bekanntesten Gesicht. 1922 bringt er den Zweiteiler DR. MABUSE, DER SPIELER ins Kino und erschafft den Archetyp des sinistren Verbrecherkönigs, der einer die Gesellschaft durchdringenden kriminellen Organisation vorsteht und nach der Weltherrschaft strebt. Sämtliche Bond-Bösewichte haben hier ihren Ursprung.

DR. MABUSE ist Langs vierte Zusammenarbeit mit Drehbuchautorin Thea von Harbou, die er 1922 auch ehelicht. Harbou, später eine glühende Anhängerin des Nationalsozialismus, wird alle weiteren deutschen Filme Langs schreiben. Als nationales Großprojekt darf daher auch sein nächster Film, der Zweiteiler DIE NIBELUNGEN (1924), betrachtet werden. Der opulente Monumentalfilm bietet einen strahlenden Helden, der einer Intrige zum Opfer fällt, Ritter, Drachen, rachsüchtige Frauen, Spezialeffekte und ein blutiges Finale, das die Nibelungentreue der Deutschen am Ende des Zweiten Weltkriegs vorweg nimmt. Der Film ist zunächst ein Flop, erfährt aber international viel Beachtung. Da das Stummfilmkino keine sprachlichen Beschränkungen kennt und die deutsche Reichsmark nach wie vor schwach ist, liegen im Export die größten Erfolgschancen des deutschen Films. Langs internationales Renommee wächst mit jedem weiteren Werk.

Inspiriert u.a. von einer Reise nach New York kommt 1927 Fritz Langs berühmtester Film ins Kino: METROPOLIS. Die Science Fiction-Dystopie, in der eine amorphe graue Masse an Arbeitern, die in einer Unterwelt ohne natürlichem Licht lebt und gewaltige Maschinen bedienen muss, von einer dekadenten Oberschicht beherrscht wird und dagegen aufbegehrt, enthält Motive, die spätere Klassiker wie BLADE RUNNER (1982/1991), GHOST IN THE SHELL (1995) oder THE MATRIX (1999) prägen werden. Technisch ist der Film seiner Zeit weit voraus. Er zeigt Roboter, Einschienenbahnen und Bildtelefonie. Die Architektur ist beeinflußt von den Straßenschluchten New Yorks. Aufwendige Stop-Motion-Aufnahmen simulieren futuristischen Großstadtverkehr. Das für den Film entwickelte Schüfftan-Verfahren ermöglicht es, Schauspieler in gewaltige Kulissen hinein zu spiegeln. Die relativ simple Story und die fragwürdige Botschaft verschwinden hinter der auch heute noch erstaunlichen Ästhetik des Films.

METROPOLIS ist der zu diesem Zeitpunkt teuerste Film der Welt und bringt das produzierende Ufa-Studio an den Rand des Ruins. Die Kritiken sind vernichtend, das Publikum desinteressiert. Im Laufe der Jahre wird der Film immer weiter zerstückelt bis nur noch verstümmelte Kopien existieren. Seit den 1960er Jahren erlebt der Klassiker mehrere Wiederaufführungen, die seinen Ruhm bis in unsere Tage mehren. Schließlich wird 2008 in Argentinien eine 16mm-Kopie gefunden, die eine weitgehende Rekonstruktion des Originals ermöglichte. Nur einige wenige Szenen (etwa 8 Filmminuten) bleiben weiterhin verschollen. Die filmhistorische Bedeutung von METROPOLIS ist heute unumstritten. Trotz seiner narrativen Schwächen ist er der wahrscheinlich berühmteste Stummfilm überhaupt.

Mit seinem nächsten Film, dem Agententhriller SPIONE (1928), kann Lang kommerziell an frühere Erfolge anknüpfen, während FRAU IM MOND (1929), ein weiteres aufwendiges Science Fiction-Spektakel, von der Ankunft des Tonfilms überschattet wird. Den neuen technischen Möglichkeiten steht Lang zunächst skeptisch gegenüber und bemängelt die offensichtlichen Beschränkungen, die sie den andererseits „außerordentlichen Möglichkeiten“ des stummen Films, „heute im letzten Stadium der Vollkommenheit,“ auferlegt. Im Vergleich mit den dynamischen, visuell berauschenden späten Stummfilmen, wirken die frühen Tonfilme oft statisch und wenig inspirierend. Man müsse beide Stile kombinieren, den Film von den Fesseln, die ihm die aufwendige Tontechnik auferlegt, befreien.

M - EINE STADT SUCHT EINEN MÖRDER © Deutsche Kinemathek
M – EINE STADT SUCHT EINEN MÖRDER © Deutsche Kinemathek

Langs erster Tonfilm, M – EINE STADT SUCHT EINEN MÖRDER (1931), ist im Ergebnis ein Musterbeispiel für die sinnvolle und erfolgreiche Symbiose von Bild und Ton, ein Meisterwerk des Weimarer Kinos und wahrscheinlich Langs bester Film. Der Kindermörder Hans Beckert (Peter Lorre) versetzt die Berliner Gesellschaft in Hysterie. Die Polizei sucht fieberhaft nach dem Täter, Eltern fürchten um ihre Kinder, auffällige Passanten werden misstrauisch beobachtet, Freunde beschuldigen sich gegenseitig und die Unterwelt fürchtet um ihre Geschäfte. Schließlich suchen die Verbrecher selbst nach dem Mörder, um nicht länger von der Polizei drangsaliert zu werden. Als sie seiner habhaft werden, stellen sie ihn vor ein improvisiertes Gericht, dessen Urteil schon feststeht.

Lang führt mit M gleich mehrere Techniken ein, die für das Thrillergenre, aber auch das Kino im Allgemeinen heute Standard sind. Einzelne Szenen werden nicht nur visuell, sondern auch akustisch durch Parallelmontagen miteinander verbunden. In einer Szene beginnt ein Polizist einen Satz, der dann von einem Verbrecher beendet wird. Zwei Strukturen, die eigentlich gegeneinander arbeiten, gleichen sich an. Der Film besitzt keine Filmmusik. Doch pfeift die Hauptfigur gerne eine Melodie aus Edvard Griegs „Peer Gynt“-Suite. Die eigentlich heitere Klangfolge wirkt in Verbindung mit dem Mörder bedrohlich – die erste Erkennungsmelodie der Filmgeschichte.

Der Film wechselt zudem öfter das Genre. Wirkt er in den ersten Minuten wie eine Studie des Arbeitermilieus, wird anschließend die akribische Detektivarbeit der Polizei quasi dokumentarisch gezeigt, woraufhin der Film zu einem fast schon satirisch überspitzten Porträt einer in Hysterie verfallenden Gesellschaft des Denunziantentums und der Lynchjustiz übergeht. Erst dann lernt das Publikum die Hauptfiguren kennen: den Mörder, die Polizisten, die Gangster. Vom Kriminalfilm gleitet M zum Thriller mit Horroranleihen, um schließlich beim Justizdrama zu landen, das u.a. die Frage nach der Gerechtigkeit der Todesstrafe stellt. Alle möglichen Ängste, Verzweiflungen, Vorurteile und Abgründe der späten Weimarer Republik kommen aufs Tablett und die menschenverachtende Logik der in der Nazizeit noch zu begehenden Verbrechen lässt sich hier schon erahnen. M ist ein vielschichtiger und weitsichtiger Film.

Neben Peter Lorres exzellenter Darstellung des Mörders, für den der reale Fall Peter Kürten Pate stand, gibt es mit Otto Wernickes’ Kriminalkommissars Lohmann ein Quasi-Porträt des berühmten Berliner Kommissars Ernst Gennat. Wernicke taucht als Lohmann auch in Langs vorerst letztem in Deutschland realisierten Film wieder auf. Mit DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE (1933) kehrt Lang nochmal zu seinem Superschurken zurück. Dieser sitzt inzwischen in einer Nervenklinik, kann aber auf wundersame Weise selbst nach seinem Tod noch seine Verbrecherorganisation zu scheinbar zusammenhanglosen Terroranschlägen motivieren.

Der spannende Kriminalfilm hat eine deutlich politischere Ausrichtung als das Original und zeigt eine Terrorgruppe, die den Sinn ihrer Taten nicht mehr hinterfragt, nur auf Befehl handelt und die Gesellschaft einschüchtert. Die Rezeption von M wie von DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE fällt entlang politischer Linien und überschreitet diese bisweilen. Während die Einen in M eine Befürwortung der Todesstrafe sehen, entdecken Andere (der Autor eingeschlossen) eine klare Kritik daran. Josef Goebbels ist von beiden Filmen tief beeindruckt und setzt sie nichts desto trotz auf den Index. Der frisch ins Amt gehobene Propagandaminister will sich die Talente Langs jedoch sichern und bietet ihm – so hat es Lang später selbst kolportiert – bei einem Abendessen die Leitung des deutschen Films an. Lang verlässt noch am selben Abend Deutschland. Die Ehe mit der Hitler-Verehrerin Harbou ist da bereits geschieden.

Nach einer kurzen Zwischenstation in Paris, wo er das Melodram LILIOM (1934) inszeniert, geht Lang nach Hollywood, wo er sich zunächst mit den dortigen Produktionsbedingungen schwer tut. Zwar wird er für seine früheren Arbeiten verehrt, doch sieht Hollywood in einem Regisseur in erster Linie einen Handwerker und Dienstleister und erst in zweiter einen Künstler. Die relative Freiheit, die Lang in Deutschland genoß, wird ihm hier nicht gewährt. Nach anfänglichen Problemen kann er sich aber mit dem Studiosystem arrangieren und eine zweite Karriere in Hollywood starten. Den Filmen, die Lang in Hollywood inszeniert, wird von Publikum und Kritik aber weit weniger Liebe zuteil, als seinen deutschen Arbeiten. Lang ist in seinen Möglichkeiten beschränkt und das sieht man diesen Filmen auch an. Dennoch kann er, wie auch andere emigrierte Kollegen, dem Film Noir seinen Stempel aufdrücken.

Gleich sein erster amerikanischer Film, FURY (1936), ist thematisch seinen letzten deutschen Arbeiten verwand. Ein unbescholtener Bürger (Spencer Tracy) wird als Mordverdächtiger eingesperrt, als ein Lynchmob kommt und das Gefängnis in Brand steckt. Der Held kann entkommen, versteckt sich aber anschließend, während den Rädelsführern des Mobs der Mordprozess gemacht wird. Der Film zeigt einen anfangs noch moralisch integren Mann, der durch die Umstände vom Hass zerfressen wird und bereit ist, andere für ein nicht begangenes Verbrechen an den Galgen zu bringen.

SCARLET STREET © Deutsche Kinemathek
SCARLET STREET © Deutsche Kinemathek

Während des Zweiten Weltkriegs inszeniert Lang einige bemerkenswerte Agenten- und Paranoia-Thriller wie MANHUNT (1941), HANGMEN ALSO DIE (1943, über das Attentat auf Reinhard Heydrich) oder MINISTRY OF FEAR (1944), in denen die Helden in Konflikt mit dem Naziregime geraten und die stilistisch von Langs Erfahrungen mit dem expressionistischen Kino profitieren. Zu Langs besten amerikanischen Arbeiten kann auf jeden Fall SCARLET STREET gezählt werden, in dem ein biederer älterer Mann (Edward G. Robinson) einer jungen Frau (Joan Bennett) verfällt, die ihn gemeinsam mit ihrem zwielichtigen Geliebten ausnimmt. Als der Schwindel auffliegt, kommt es zur Katastrophe. Der Film ist ein Krimi, der in ein Drama mündet und von zwei brillanten Hauptdarstellern getragen wird.

Zu Langs bekanntesten Nachkriegsfilmen gehört der Kriminalfilm THE BIG HEAT (1953), der weniger visuell denn in der zynischen Beschreibung der Gangsterszene noch dem Film Noir zugeordnet werden kann. Optisch flacher als seine früheren Filme, erzählt er von dem aufrechten Polizisten Bannion, der sich, von seinen korrupten Kollegen im Stich gelassen, mit einem Gangsterboss anlegt. Als der Bannions Frau ermorden lässt, sinnt dieser auf Rache. Während B-Movie-Darsteller Glenn Ford als Bannion eine ganz passable Figur macht, stechen vor allem Gloria Graham und Lee Marvin als Gangsterpärchen hervor. Marvin, der einen Handlanger des Gangsterbosses spielt, überzeugt einmal mehr als brutaler Schurke, der seiner Freundin das halbe Gesicht verbrüht, während Grahams flamboyante Erscheinung etwas Farbe in den kaltschnäuzig inszenierten Film bringt. THE BIG HEAT hat gewiss nicht die Qualität früherer Filme von Fritz Lang, kann aber als Vorbote des harten Polizeifilms der 1970er Jahre gelesen werden.

Das City Kino Wedding widmet Fritz Lang am kommenden Wochenende eine kleine aber feine Werkschau, die fünf exemplarische Filme jeweils mit einer Einführung durch den Filmdozenten John Digance vorstellt. Zeit, sich die wichtigsten Werke dieses bedeutenden Filmkünstlers nochmal oder erstmals auf der großen Leinwand anzuschauen und darüber ins Gespräch zu kommen.

Das Programm:

Freitag, 23. Mai 20 Uhr
20:00 Uhr METROPOLIS (1927/147 Min) – restaurierte Fassung mit Livevertonung durch
Brytpunkt 2 (Electronic/Experimental)

Samstag, 24. Mai
Serial Killer and the criminal Mastermind, Power and Insanity
18:00 Uhr M – EINE STADT SUCHT EINEN MÖRDER (1931, 117 Min)
20:30 Uhr DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE (1933/121 Min)

Sonntag, 25. Mai
17:00 Uhr Lecture: Wartime anti fascist Entertainment by John Digance mit Auszügen aus
MANHUNT und MINISTRY OF FEAR
Crucial Noirs
18:00 Uhr SCARLET STREET (1945/102 Min)
20:15 Uhr THE BIG HEAT (1953/90 Min)