„Dredd“ von Pete Travis


Karl Urban ist der neue Mann mit Kinnlade. Foto: Universum

Karl Urban ist der neue Mann mit Kinnlade. Foto: Universum

Das Gesetz der Serie

In nicht allzu ferner Zukunft hat der Scherz des Kalten Krieges endlich seine Pointe entfaltet und die Erde in ein atomar-verseuchtes Ödland verwandelt. Übriggeblieben sind einige urbanisierte Zentren, die schon auf Grund ihrer monströsen Ausdehnung kurz vor dem Zusammenbruch stehen. Megacity One ist ein solches Zentrum. 800 Millionen Menschen wohnen zusammengepfercht wie in einer Legebatterie und sind die meiste Zeit damit beschäftigt, sich selbst zu dezimieren oder eine Droge mit Namen „Slo-Mo“ zu konsumieren, die die gelebte Zeit um den Faktor 100 verlangsamt. Neben dem allzu offensichtlichen Fehlen eines intakten Wirtschaftssystems fehlt über weite Strecken noch etwas anderes – der Staat. Dieser ist im wahrsten Sitze des Wortes zu einem Nachtwächterdasein zusammengeschrumpft und vereint in der Gestalt des Judges Exekutive und Judikative.

Die Judges sehen aus wie eine Mixtur aus de Maistres Henker und einem Pizzaboten. Sie tragen mit Gewalt Gerechtigkeit in eine selbstvergessene Welt. Die meisten von Ihnen überleben dabei keine 24 Stunden. 95 Minuten lang begleiten wir den Härtesten und Erfahrensten unter Ihnen – Judge Dredd. Dabei hat man fast ein schlechtes Gewissen, mit anzuschauen, wie sich dieser erzreaktionäre Bastard, der das Gesetz mit einer Bibeltreue und autistischen Pedanterie auslegt, durch 200 Stockwerke strukturelle Armut ballert. Seine Gegner sterben wie die Fliegen und manchmal gewinnt man den Eindruck, dass sie förmlich um einen Kopfschuss betteln.

Das bemerkenswerte an dieser Comic-Verfilmung ist das stereotype und eigentlich völlig verbrauchte Action-Elemente wie ausgedehnte Schießereien auf Korridoren, Bullettime-Intermezzos, knackige One-Liner und ein Schauspieler (Karl Urban), der nur mit seinem Unterkiefer mimen darf, dank kluger Schnitte und einer sehr geradlinigen Story in einen verdammt guten Film münden. Hier geht es nicht um das große Ganze oder das Aus- und Beleuchten abgründiger Charaktere. Es ist nicht Judge Dredds großer Endkampf gegen einen finalen übermenschlichen Gegner. Es ist die Verfilmung eines von vielen Butterbrotheftchen. Sein Auftrag ist ein Routinejob. Mit voller Hingabe bekämpft er das Drogenmatriarchat von Ma-ma (Lena Headey), siegt und ändert an der desolaten Situation von Megacity One rein garnichts. Damit macht er viele kleine (große) Jungs sehr glücklich und so wartet man voller Ungeduld auf sein nächstes Abenteuer. Regisseur Pete Travis und Drehbuchautor Alex Garland haben ihre Hausaufgaben gemacht, denn sie kitzeln aus der Comicfigur Judge Dredd keine philosophische Sentenz heraus, sondern zeigen ihn als Konstante in einer Welt voller Variablen, die zähe Beharrung bei gleichzeitig eiliger Zerstörung praktiziert. Eben das Gesetz der Serie, das jeder gute Comic-Held auf seiner Seite weiß.

Joris J.

„Dredd“ Regie: Pete Travis, Darsteller: Karl Urban, Olivia Thirlby, Lena Headey, Kinostart: 15. November 2012